Rechtsextremismus in Ostdeutschland: Fremdeln mit der Demokratie

Viele Ostdeutsche wollen einen autoritären Staat. In drei Bundesländern sind rechtsextreme Einstellungen besonders verbreitet, laut einer Studie.

Ein Demonstrant hält einen Schwibbogen in die Kamera

Demonstration gegen Coronamaßnahmen und die Bundesregierung in Chemnitz im Oktober 2022: Foto: HärtelPRESS/imago

LEIPZIG/BERLIN taz | Viele Menschen in Ostdeutschland wünschen sich einen autoritären Staat und fremdeln mit der Demokratie. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) der Universität Leipzig, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Die For­sche­r:in­nen haben die rechtsextreme Einstellung und die Zufriedenheit mit der Demokratie in Ostdeutschland untersucht. Darüber hinaus sind sie der Frage nachgegangen, inwiefern eine „ostdeutsche Gruppenidentität“ und die Erfahrungen der Wende- und Nachwendezeit Einfluss auf die politische Einstellung in der Gegenwart haben.

„Rechtsextreme Einstellungen sind in den neuen Ländern seit Jahrzehnten in hohem Maße vorhanden“, sagte Elmar Brähler, einer der Studienleiter bei der Vorstellung in Berlin. Zugenommen hätte diese aber nicht. Oliver Decker ergänzte mit Blick auf das derzeitige Umfragehoch der AfD: „Ausländerfeindlichkeit ist das Bindeglied für rechtsextreme Parteien.“ Sehr viel Potential nach oben sahen die beiden allerdings nicht mehr, Wäh­le­r:in­nen mit rechten Einstellungen anderer Parteien hätte die AfD bereits mobilisiert, eine Reserve gebe es höchstens noch bei den Nichtwähler:innen. Für die Erhebung haben sie auch Fragen zur Einstellung mit der Sonntagsfrage gekoppelt.

Insbesondere spielten bei der AfD-Wahl Ausländerfeindlichkeit, Verschwörungsmentalität und Wunsch nach Autorität eine Rolle, sie seien ein Scharnier in die Mitte der Gesellschaft mit der die AfD Wahlkampf machen könne. Interessant auch: „Die Einschätzung der eigenen wirtschaftliche Lage spielt bei rechtsextremen Einstellungen überhaupt keine Rolle“, sagte Decker.

3.500 Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen

Die derzeitige Lage im Osten sei kompliziert: „Wir befinden uns in einem Schraubstock. Auf der einen Seite ist eine gut organisierte rechte Szene, wie die Bündnisbewegung der Freien Sachsen, die verschiedene Milieus über Merkmale wie Ausländerfeindlichkeit ansprechen“, so Decker. „Auf der anderen Seite kommen jetzt vorhandene ausländerfeindliche und autoritäre Einstellungen in der Bevölkerung zum Tragen.“ Sie seien relevanter geworden für die Wahlentscheidung. Davon profitierten rechtsextreme Parteien wie die AfD.

Um herauszufinden, inwiefern rechtsextreme Einstellungen in den ostdeutschen Bundesländern verbreitet sind, hat das For­sche­r:in­nen­team den rund 3.500 Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen 18 Aussagen vorgelegt. In diesen Aussagen geht es um die Befürwortung einer Diktatur, Antisemitismus, NS-Verharmlosung, Sozialdarwinismus, Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus. Die Befragten hatten fünf Antwortmöglichkeiten: lehne völlig ab, lehne überwiegend ab, stimme teils zu/teils nicht zu, stimme überwiegend zu, stimme voll und ganz zu.

Die Aussagen, in denen eine Diktatur befürwortet wird, finden bei den Befragten großen Anklang. 26 Prozent glauben, Deutschland brauche nun „eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, ein Viertel sieht das zum Teil so. 14 Prozent sind der Ansicht, dass es einen „Führer“ brauche, der Deutschland „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. 19 Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu. 8,6 Prozent halten eine Diktatur unter bestimmten Umständen für die bessere Staatsform, 22 Prozent sehen das zum Teil so.

Die Zustimmung zu den Aussagen, die den Nationalsozialismus verharmlosen, ist etwas schwächer ausgeprägt, aber immer noch erschreckend hoch. Je sechs Prozent gaben an, dass der Nationalsozialismus „auch seine guten Seiten“ gehabt habe und dessen Verbrechen „in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“ seien. Diesen beiden Aussagen stimmten 17 beziehungsweise 14 Prozent teilweise zu.

Antisemitischen Aussagen wird zugestimmt

Deutlich stärker wiederum ist die Zustimmung zu sozialdarwinistischen Aussagen. Je­de:r zehn­te Be­frag­te bejahte, Deutsche seien „anderen Völkern von Natur aus überlegen“. Wiederum je­de:r Zehn­te gab an, dass es „wertvolles und unwertes Leben“ gebe. Der Anteil derer, die diesen Aussagen teils zustimmten, liegt bei 20 Prozent.

Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen ist ebenfalls weit verbreitet. Neun Prozent der Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen sind der Ansicht, Juden arbeiteten „mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“. 19 Prozent sehen das zum Teil so. Der Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ stimmten knapp 24 Prozent teilweise oder voll zu. Die soziale Sanktion gegen Antisemitismus werde in Ostdeutschland schwächer empfunden als in Westdeutschland und die Abwertung offener gezeigt, schreiben die Autor:innen.

Noch stärker ist die Zustimmung zu den chauvinistischen und ausländerfeindlichen Aussagen. Knapp 27 Prozent finden, „wir sollten endlich wieder mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl“ haben. 27,5 Prozent wünschen sich ein „hartes Durchsetzen deutscher Interessen“. Rund 30 Prozent stimmten den beiden Aussagen zum Teil zu.

Sachsen-Anhalt: Viele mit geschlossen rechtsextremem Weltbild

Mehr als 40 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass „die Ausländer“ nur deswegen hierherkämen, um den Sozialstaat „auszunutzen“, fast 30 Prozent sehen das teilweise so. Knapp 37 Prozent glauben, Deutschland sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Ein Viertel stimmte dieser Aussage zum Teil zu. Dass man „Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken sollte“, sobald die Arbeitsplätze in Deutschland knapp würden, finden knapp 30 Prozent. 23 Prozent teilen diese Ansicht zum Teil. Gerade die Ausländerfeindlichkeit, schreiben die Autor:innen, sei eine der großen Herausforderungen für die demokratische Gesellschaft in Ostdeutschland.

Vergleicht man die ostdeutschen Bundesländer miteinander, fällt auf, dass rechtsextreme Einstellungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besonders verbreitet sind. „Hier ist damit das Potenzial für extrem-rechte und neonazistische Parteien, Wähler zu finden, besonders hoch“, teilte Studienautor Elmar Brähler mit.

Sieben Prozent der Befragten weisen der Studie zufolge ein geschlossen rechtsextremes Weltbild auf. Als geschlossen rechtsextrem gelten jene Menschen, die durchschnittlich allen 18 Aussagen des Fragebogens zustimmten. Mit 11,6 Prozent ist der Anteil der geschlossen Rechtsextremen in Sachsen-Anhalt mit Abstand am höchsten. Zum Vergleich: In Thüringen sind knapp sieben Prozent der Befragten geschlossen rechtsextrem, in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg rund sechs Prozent, in Ost-Berlin fünf Prozent.

Die For­sche­r:in­nen haben außerdem untersucht, inwiefern die Menschen in Ostdeutschland mit der Demokratie zufrieden sind. Zwar könne sich eine deutliche Mehrheit der Befragten mit der Demokratie als Idee identifizieren, heißt es in der Studie. Allerdings sei nicht einmal die Hälfte zufrieden mit der Demokratie, die sie im Alltag erlebe. Eine „überwältigende Mehrheit“ fühle sich politisch einflusslos. „Wir beobachten ein ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie“, sagte der Studienautor und Direktor des EFBI, Johannes Kiess.

Wunsch nach autoritärer Unterwerfung

Zwar sei die Identifikation mit der DDR und als Ost­deut­sche:r weit verbreitet – zwei Drittel sehnen sich sogar nach der DDR zurück, ein Drittel zählt sich zu den Wendeverlierer:innen. Doch diese Identifikation habe nur einen geringen Einfluss auf die rechtsextreme Einstellung der Menschen, schreiben die Autor:innen. Am besten erklären lasse sich der weitverbreitete Rechtsextremismus mit einer Verschwörungsmentalität und dem Wunsch nach autoritärer Unterwerfung.

„Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit“, erklärte Studienleiter Oliver Decker.

Landtagswahlen in Ostdeutschland seien mögliche Kipppunkte

Die Ergebnisse verdeutlichten, dass extrem rechte Parteien mit ihren ideologischen Angeboten zahlreiche Anknüpfungspunkte in der breiten Bevölkerung hätten, schreiben die Autor:innen. Auch wenn die AfD ihr Potenzial unter den An­hän­ge­r:in­nen der demokratischen Parteien nahezu ausgeschöpft habe, gebe es unter den Unentschiedenen und Nicht­wäh­le­r:in­nen „immer noch eine große Zahl“ an Adressat:innen.

Mit Blick auf die Zukunft sehen die Au­to­r:in­nen „deutliche Anzeichen“ dafür, dass die seit zwei Jahrzehnten voranschreitende Polarisierung der Gesellschaft in den nächsten Jahren „in einer weitergehenden Radikalisierungsspirale mündet“. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024 bezeichnen die Stu­di­en­au­to­r:in­nen als „Kipppunkte“.

Für die Studie „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“ hat das Forscherteam im Sommer 2022 mehr als 3.500 Menschen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Ost-Berlin befragt.

Aufgrund der großen Stichprobe konnten erstmals Aussagen zu rechtsextremen Einstellungen in einzelnen ostdeutschen Bundesländern getroffen und Vergleiche zwischen den Ländern gezogen werden. Einen Teil der Fragen haben die Pro­ban­d:in­nen in persönlichen Interviews beantwortet, einen Teil schriftlich. So wollten die For­sche­r:in­nen verhindern, dass sie ihre Antworten zu stark an sozialer Erwünschtheit ausrichten.

Sesselmann nicht überbewerten

Den kürzlich zum ersten AfD-Landrat in Sonneberg gewählte Robert Sesselmann wollten die Stu­di­en­au­to­r:in­nen nicht überbewerten. Derzeit führt die Rechtsaufsicht in Thüringen eine Einzelfallprüfung durch, ob dieser überhaupt amtstauglich sei und als Mitglied der als rechtsextrem eingestuften AfD auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung stehe. Decker warnte vor einer möglichen Abberufung gewählter Vertreter:innen: „Wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht über eine Auseinandersetzung mit der AfD demokratische Möglichkeiten delegitimieren.“ Seine Stimme abzugeben sei Kernelement der Demokratie, das dürfe nicht durch die Überprüfung von Personen nach der Wahl abgewertet werden – sonst käme es irgendwann vielleicht einmal umgekehrt zum Einsatz.

Mit Blick auf andere Landratswahlen und die 2024 anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg warnte Brähler vor allem die CDU, die bereits ihre rechten Wäh­le­r:in­nen an die AfD verloren habe, vor einem Rechtskurs: „Sie dürfen nicht auch noch ihre liberalen Wähler verlieren. Parteien sollten nicht gegen Sündenböcke hetzen, sondern ihre Hausaufgaben machen.“ Im europäischen Ausland habe dies christlich-konservative Parteien zerrissen.

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