Reaktionen auf BDS-Beschluss: Protestpost aus Palästina
Die palästinensische Zivilgesellschaft wendet sich gegen den BDS-Beschluss des deutschen Bundestags. In der Westbank und Gaza kam es zu Protesten.
Der Bundestag hatte die BDS-Bewegung vorvergangene Woche als antisemitisch verurteilt. In dem Beschluss von Union, SPD, Grünen und FDP heißt es, der Bundestag trete entschlossen „jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz“ entgegen. Kritiker bemängeln, dass der Beschluss durch eine pauschale Verurteilung jeglicher Boykottaufrufe die palästinensische Zivilgesellschaft gefährde.
Mit dem Beschluss verstoße der Bundestag „gegen die Menschenrechte, nämlich gegen das Recht auf Meinungs-, Äußerungs- und Versammlungsfreiheit“, heißt es in dem Schreiben der NGOs weiter. Er schränke den „Raum der palästinensischen Zivilgesellschaft weiter ein und bringt sie effektiv zum Schweigen.“ Die Unterzeichner warnen vor Bestrebungen, den Beschluss in Gesetzesform zu gießen.
In der Westbank-Stadt Ramallah sowie in Gaza-Stadt war es vergangene Woche zu Demonstrationen gekommen. In arabischen Medienberichten war von einigen Dutzend bis zu einigen hundert Teilnehmern die Rede, die mit Plakaten vor die Vertretungen der Bundesrepublik zogen, um gegen den „rassistischen Beschluss des deutschen Parlaments“ zu protestieren. Die israelische Regierung gab an, unter den Aktivisten hätten sich Terroristen befunden.
FDP-MdB „verwundert“ über Kritik aus Palästina
In einem weiteren Schreiben werfen rund fünfzig NGOs, Gewerkschaften und Studierendenvereinigungen dem Bundestag vor, seinen Beschluss auf Lügen zu stützen. „BDS ruft zu gewaltfreiem Druck auf Israels Besatzungsregime (…) auf, bis es mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Einklang ist“, heißt es. „BDS ruft auf, Israels Besatzung von 1967 und sein System von Rassendiskriminierung gegen seine palästinensischen Bürger zu beenden sowie das auf UN-Ebene festgelegte Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge anzuerkennen.“
Der FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt, der maßgeblich auf den Bundestagsbeschluss hingewirkt hatte, zeigte sich gegenüber der taz „verwundert“ über die Kritik. Sie basiere auf grundlosen Behauptungen. „Viele Kritiker suggerieren, dass es ohne die – ausgesprochen problematische – BDS-Bewegung keine zivilgesellschaftliche Aktivität und keinen Einsatz für Menschenrechte aufseiten der Palästinenser geben könne.“ Dies sei jedoch nicht der Fall.
Gilad Erdan, Minister für Strategische Angelegenheiten
Unter den Unterzeichnern der beiden Protestbriefe finden sich zahlreiche Organisationen, die von Deutschland und anderen Ländern gefördert werden – etwa die Menschenrechtsorganisation al-Haq, das Maan Development Center oder die Gefangenenrechtsorganisation Addameer. Bevor Projekte mit staatlichen Mitteln aus Deutschland gefördert werden – etwa durch politische Stiftungen, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder kirchliche Hilfswerke –, prüft das Auswärtige Amt die Vorhaben auf Unbedenklichkeit.
Eine Nähe der Organisationen zu BDS gilt bislang nicht als Ausschlusskriterium. Palästinensische NGOs und ihre deutschen Partner befürchten, dass sich dies ändern könnte. Der israelischen Regierung ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den besetzten Gebieten seit langem ein Dorn im Auge.
Entsprechend positiv fielen die offiziellen Reaktionen auf den Bundestagsbeschluss aus Jerusalem aus. „Ich gratuliere zu der wichtigen Entscheidung, BDS als antisemitische Bewegung zu brandmarken“, schrieb Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und forderte konkrete Schritte. Gilad Erdan, Minister für Strategische Angelegenheiten, sagte: „Ich hoffe, die Entscheidung führt zu ähnlichen Entscheidungen in anderen europäischen Ländern.“
Die Netanjahu-Regierung und ihr nahestehende Organisationen wie NGO-Monitor und Im Tirtzu arbeiten auf eine Delegitimierung von Besatzungskritikern in den palästinensischen Gebieten, Israel sowie im Ausland hin. Die EU hat in der Vergangenheit kritisiert, dass die Regierung dabei die Grenzen zwischen den Themen Boykott, Antisemitismus und Terrorismus verwische. Federführend in der Anti-BDS-Kampagne ist das israelische Ministerium für Strategische Angelegenheiten unter Erdan, das sich schwerpunktmäßig mit dem Thema befasst.
Netanjahu und Erdan würden jetzt jauchzen, schrieb der israelische Journalist Gideon Levy in einer scharfen Kritik an dem Bundestagsbeschluss. „Ab jetzt kann sich Deutschland nicht mehr für seine Meinungsfreiheit rühmen“, so Levy er in der Tageszeitung Ha'aretz. „Deutschland sollte sich schämen“ für „eine der empörendsten und bizarrsten Resolutionen seit Ende des Zweiten Weltkrieges.“ Neben der Lobbyarbeit der Netanjahu-Regierung führt er Schuldgefühle der Deutschen als Erklärung für die seines Erachtens „moralische Blindheit“ des Bundestags an.
Hilfswerk warnt vor humanitären Folgen
Auch in Deutschland hatte es neben viel Lob für das entschlossene Eintreten gegen Antisemitismus Kritik an dem Beschluss gegeben. Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt veröffentlichte ein Plädoyer für eine „differenzierte Debatte“. „Wir sehen die Gefahr, dass nun alle Organisationen, die ein Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung fordern, verunglimpft werden und ihnen damit die Finanzierungsgrundlage entzogen wird“, schreibt Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel.
Brot für die Welt
Das Hilfswerk lehne Boykottaufrufe entschieden ab, dennoch müsse sowohl die Heterogenität der BDS-Bewegung als auch ihre Geschichte wahrgenommen werden. „Als der BDS-Aufruf 2005 (…) gestartet wurde, stellte er einen so verzweifelten wie ernsthaften Versuch der Bevölkerung dar, von nun an gewaltfrei gegen die Besatzung zu protestieren – gerade auf Grund der Erfahrungen mit massiver Gewalt, vielen Toten und Verletzten (…) im Zuge der sogenannten zweiten Intifada.“
Darüber hinaus warnt die Organisation vor humanitären Folgen, sollten Hilfsorganisationen in Palästina keine Unterstützung mehr erhalten. Deutschland sei einer ihrer wichtigsten Geldgeber. Der Wegfall der Hilfe „würde die (…) Bevölkerung (…) ohne Aussicht auf und ohne Zugang zu irgendeiner Form sozialer Dienstleistung lassen, sie neben den politischen auch noch ihrer wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte berauben.“ Dies wiederum sei ein gefährlicher Nährboden für Gewalt.
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