Jürgen Trittin zur Boykottbewegung BDS: „Ein Klima der Einschüchterung“
Laut Bundestag ist die Boykottbewegung BDS antisemitisch. Der Grüne Jürgen Trittin sieht nun die Meinungsfreiheit in Gefahr.
taz: Herr Trittin, am Freitag befasst sich das Parlament mit der Israel-Boykott-Bewegung. Halten Sie BDS für antisemitisch?
Jürgen Trittin: Ich halte BDS für sehr kritikwürdig, aber nicht als Ganzes für antisemitisch. Man muss BDS kritisieren, auch weil sie Antisemitismus in den eigenen Reihen nicht bekämpft. Aber BDS in toto für antisemitisch zu erklären, bedeutet, weite Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung, die seit mehr als 50 Jahren unter der Besatzung leidet, in die antisemitische Ecke zu stellen. Es bedeutet auch, Gruppierungen, die sich gewaltfrei für die Zwei-Staaten-Lösung starkmachen, mit dem Label „Antisemiten“ zu belegen. Das ist falsch.
Laut Bundestagsbeschluss sind die „Methoden der BDS-Bewegung antisemitisch“ …
Schon die Überschrift insinuiert BDS und Antisemitismus als gleich. Zudem sollen Kommunen hierzulande BDS oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, keine Räume mehr zu Verfügung stellen. Das hatte in München den bizarren Effekt, dass sogar eine Debatte über dieses Verbot nicht in städtischen Räumen stattfinden durfte. Dazu passt, dass in dem Bundestagsantrag auch ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit fehlt.
64, sitzt für die Grünen im Bundestag. Von 2009 bis 2013 war er Co-Vorsitzender der Fraktion.
Also wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt?
Nehmen Sie den Fall des Journalisten Andreas Zumach, dem wegen vermeintlicher Nähe zu BDS Räume für eine Veranstaltung verweigert wurden. Es gibt ein Klima der Einschüchterung gegenüber Kritikern der israelischen Besatzungspolitik. Auch solche, die sich seit Jahrzehnten für die deutsch-israelische Aussöhnung eingesetzt haben, werden als Antisemiten angegriffen. Da fehlt dem Antrag die nötige Differenzierung.
Ihre Fraktion unterstützt den BDS-Beschluss. Warum?
Es gab in der Fraktion eine intensive Debatte. Eine Mehrheit ist für diesen Antrag, eine starke Minderheit ist dagegen. Bezeichnend ist allerdings, dass auch die Unterstützer in der grünen Fraktion nicht für den Inhalt des Antrags argumentiert haben. Ich glaube, dass die Zustimmung bei vielen von dem Motiv geleitet war, sich nicht selber dem unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Ich finde aber, wir sollten die Debatte austragen. Das ändert aber nichts daran, dass wir uns einig sind, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsraison ist.
BDS ist in Deutschland marginal …
Der Beschluss adelt eine Bewegung, die laut, aber klein ist. Bei den wichtigen Fragen – wie erreicht man die Zwei-Staaten-Lösung, wie verhindert man die sich abzeichnenden Annexion von weiten Teilen des Westjordanlands? – spielt sie überhaupt keine Rolle. Die Gefahr ist, dass gerade kirchliche Organisationen, die sich mit diesen zentralen Fragen befassen, nun als antisemitisch gebrandmarkt werden. Deshalb gibt es von deren Seite, auch aus Israel, etwa von der Partei Meretz, die Aufforderung, diesem Antrag nicht zuzustimmen.
Laut Bundestag sollen „keine Projekte mehr gefördert werden, die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen“. Hat das praktische Auswirkungen?
Viele Stiftungen und kirchliche sowie nichtkirchliche Organisationen befürchten, dass dies ihre Projekte in Israel und Palästina massiv gefährden wird.
Zu Recht?
Leider ja. Schon heute versuchen israelische Behörden, GIZ-Projekte in den besetzen Gebieten zu verhindern. Dieser Bundestagsbeschluss wird die rechtsnationalistische Netanjahu-Regierung ermuntern, diese Praxis fortzusetzen. Diese Regierung benutzt den Vorwurf des Antisemitismus in Israel, um alle zu delegitimieren, die ein Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung wollen. Die Regierung hat dort ja versucht, nach russischem Vorbild die Aktivitäten von NGOs einzuschränken. Damit ist sie vor Gericht gescheitert. Der Rechtsstaat funktioniert im israelischen Kernland noch. Die rechte Regierung in Israel wird weiter versuchen, die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Würden Sie so weit gehen, zu sagen: Der Bundestag macht sich zum Sprachrohr der Netanjahu-Regierung?
Nein. Ich habe nichts für Verschwörungstheorie übrig. Viele Unterstützer dieses Antrags fühlen sich massiv unter Druck – und fällen eine in meinen Augen falsche Entscheidung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“