Putin-Fans in Ostdeutschland: Paradoxe Sympathien
Unserem Autor begegnet eine hartnäckige Parteinahme für die Erben der Sowjetunion, ausgerechnet in der ehemaligen Besatzungszone. Wie kommt das?
„Ich liebe ihn heute noch!“, sagt meine Friseurin – und ich liebe sie für diese Liebeserklärung an Wladimir Putin am zehnten Kriegstag nicht. Ich liebe sie noch weniger für die Ansage, dass sie den Medien ohnehin nie traue und jetzt erst recht nicht.
Meine Friseurin liebe ich sonst sehr, sie stammt noch aus dem Laden, der früher in der SED-Bezirksleitung, später sächsischer Landtag, die Bonzen beschnitt. Normalerweise reden wir zwei entspannt über meinen Beruf.
Sie ist nicht die einzige Putinversteherin in Dresden und im Osten des mir plötzlich seltsam näher gerückten Deutschlands. Überhaupt nicht entspannt geht es seit dem Überfall auf die Ukraine in Mailverteilern, Whatsapp-Gruppen oder bei persönlichen Begegnungen zu. Der Tenor: Ist ja schlimm, was der unberechenbare Putin da macht.
Aber hat nicht der Westen, voran die US-Amerikaner, das arme, kuschelbedürftige und gen Westen lächelnde Russland seit 30 Jahren so in die Enge getrieben, dass sein Zar jetzt gar nicht anders konnte? Die Notwehrthese der früheren ARD-Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz nach der Krim-Annexion 2014 steht Pate.
Ein neuer Spaltpilz auf Skatrunden
Bitte nicht schon wieder eine neue Gletscherspalte im vereisten gesellschaftlichen Klima, barme ich. Haben wir besonders im Osten nicht genug mit einer zerklüfteten Landschaft zu kämpfen nach Pegida, Flüchtlingshassern, querdenkenden Totalverweigerern und Impfkriegern? Wieder dringt ein neuer Spaltpilz in Geburtstagsfeiern oder Skatrunden vor, auch in akademische.
Woher rührt ausgerechnet in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone die hartnäckige Parteinahme für die Erben der Sowjetunion, eine latente Sympathie, die sich auch durch die Gräuel eines totalen Krieges nicht beirren lässt? Wir müssten die Sowjets doch am besten kennen! Bei Erklärungsversuchen fühle ich mich von Empirie, Sozial- oder Politikwissenschaften weitgehend allein gelassen und auf eigene Erfahrungen und Beobachtungen verwiesen.
Zuerst kommt mir eine Variante des Stockholm-Syndroms in den Sinn. Also paradoxe Sympathie gegenüber denen, die einem Gewalt antun. Das klappt für meine Generation nur noch bedingt, die Schulkinder der 1960er und 70er Jahre in der DDR, die bloß noch Ausläufer des harten Stalinismus und des 17. Juni 1953 erfuhren. Mit dem Atavismus der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 freilich.
Aber sonst spürten wir die Knute der einheimischen Kremlstatthalter, weniger die der Führer des Sowjetreiches. Wobei das immer in Zusammenhang mit der historischen Schuld des deutschen Überfalls 1941 gefühlt und relativiert wurde.
Und: Wer kannte schon einen Russen persönlich? Berufliche Reisen in die Sowjetunion gab es, Ausgewählte durften dort studieren, aber touristisch war nicht viel los. Die Soldaten, die armen Schweine, wurden abgeschirmt. „Es ist ein Russ entsprungen“, sangen wir unverzeihlich zynisch auf dem Zeltplatz, wenn wieder eine bewaffnete Postenkette nach einem verzweifelten Deserteur suchte – bis wir die Schüsse im Wald krachen hörten.
Ost-Trotz oder trotz Ost?
Der koloniale Status wurde in der DDR mit Ironie sublimiert. Sowjetische Freunde oder Brüder? Freunde nicht, denn die kann man sich aussuchen. Aus einem sowjetischen Arbeiterlied wurde „Machorka her“, aus „Tom Dooley“ die Grigorij-Parodie, aus den Ghost Ridern die „30 Russen am Fuße des Ural“. Das war nicht mehr feindselig, und auch ich trug 1989 eine Gorbatschow-Plakette.
Zweite, nicht wissenschaftlich belegbare These: Der Osttrotz ist im Spiel! Bei der jungen Nachwendegeneration trifft man nämlich keine Putinversteher mehr, nur noch Kriegsgegner. Naiv stolperten die Ossis in die Einheit, im Glauben an den schnellen Wohlstand und an eine individuell narzisstische, nicht verantwortlich empfundene Freiheit. Dieser Glaube musste enttäuscht werden. Reaktion gegenüber den Wessiokkupanten: Ätsch, dafür halten wir weiter zu den Russen!
Das nüchterne Argument fortgesetzter Wirtschaftsbeziehungen zieht kaum. Nur drei Prozent der sächsischen Wirtschaft sollen davon profitieren. Maßgeblich erscheint mir vielmehr die massenhaft gestützte Beobachtung, dass die „Ossis“ 89 zwar demonstrierten, aber von einer solidarisch-gemeinschaftsorientierten Demokratie nichts begriffen hatten.
Hofierung von Putin in Dresden
Bei den Rechten, die am lautesten nach Basisdemokratie schreien, wie bei einer erschreckend hohen Zahl ehemaliger DDR-Bürger ist die Sehnsucht nach autoritärer Führung, mithin nach Entlastung von der eigenen Mitverantwortung latent.
Bei Pegida und deren Derivaten, bei der AfD wird Putin geradezu als Messias verklärt. Als MDR-Reporter hätte man sich dort mit einem Mikrofon von Russia Today tarnen müssen. In der Oberlausitz fordern Inschriften und Banderolen „Schluss mit der Hetze gegen Russland!“.
Es ist dieselbe Region, in der die gegen alles irgendwie Staatliche demonstrierenden Gutbürger sonntags an der B96 schwarzweißrote Fahnen schwenken und die Sozialpolitik des Kaisers loben. Im Kollektiv-Unterbewussten wirkt die autoritäre Prägung der DDR fort, bis hinein in äußerlich demokratische Regierungskreise von Meck-Pomm oder Sachsen.
In Dresden sind die frühere Hofierung des Zaren und die Besuchseinladung an Putin bis heute nicht zurückgenommen worden. Wir befinden uns im adoleszenten Stadium Ostdeutschlands auf dem Weg zu demokratischer Emanzipation, die freilich auch im Westen keineswegs gefestigt erscheint. Ich werde Geduld und Nerven in teils unsäglichen Debatten bewahren, beim Krieg an der Heimatfront nicht mitmachen und meiner Friseurin weiterhin dankbar sein für die Übermittlung von Volkes Stimme.
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