Projektionsfläche Nahost-Konflikt: Mehr als nur entweder oder

Der Nahost-Konflikt polarisiert auch hierzulande. Nicht selten wird Antisemitismus gegen Rassismus ausgespielt. Dabei wäre Differenzierung nötig.

Ein Raketeneinschussloch in einer Mauer

Einschussloch einer Rakte in einer Hauswand, die vom Gazastreifen aus auf Israel abgefeuert wurde Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Seit zwei Wochen häufen sich in meinem Postfach Aufforderungen, „endlich was zu Palästina“ zu sagen, als sei ich Außenminister_in. Was soll ein Halbwissen-Statement oder das hektische Teilen von Infografiken bringen – außer dem Befeuern der derzeitigen Fußballstadiondynamik?

Lieber sage ich nichts, als unwissentlich Propaganda in Umlauf zu bringen. Mein Sharepic wird nicht ausschlaggebend für das Überleben von Zivilist_innen in Israel und Palästina sein. Für Jüdinnen_Juden und Muslim_innen in Deutschland hingegen schon. Der Konflikt wird als Projektionsfläche für Antisemitismus und Rassismus missbraucht, wie Anetta Kahane (FR) und Meron Mendel (FAZ) in ihren Kolumnen schildern.

Neben antisemitischen Parolen auf Demos, die teils vor Synagogen (!) stattfinden, werden Jüdinnen_Juden derzeit on- und offline mit Hassbotschaften und Bedrohungen überhäuft – egal, ob sie einen Israelbezug haben oder sie sich überhaupt zum Konflikt geäußert haben. Doch nichts auf der Welt rechtfertigt die Gewalt, die Jüdinnen_Juden derzeit aushalten müssen. Um dies zu kritisieren, muss maus kein_e Nahost-Expert_in sein.

Gleichzeitig sind Bilder von Migrant_innen, die antisemitische Parolen skandieren, ein gefundenes Fressen für rassistische Kampagnen. Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein müsste es seines Jobs wegen besser wissen, wenn er Antisemitismus als Importprodukt bezeichnet. Doch es ist mit ihm wie mit vielen anderen Almans: Wenn nicht ein kleiner Freifahrtsschein für rassistische Forderungen dabei rausspringt, lohnt sich das Engagement gegen Antisemitismus nicht.

So veröffentliche die Instagram-Page @ideologiekritischeaktion ein Foto von einer migrantischen antiisraelischen Demo mit dem Slogan „Antifa heißt Abschiebung“. Auch Die Linke aus dem Kreisverband Osnabrück postet ganz locker: „Wir haben Antisemitismus importiert“.

Kaum differenzierte Kritik

Sich über Hans-Georg Maaßen, Sahra Wagenknecht und irgendwelche Rechtsantideutschen aufzuregen, ist easy. Schmerzvoller ist, dass bei diesem Teile-und-herrsche-Spiel auch Organisationen und Personen mitmachen, die sich sonst als antifaschistisch und/oder antirassistisch positionieren. Sie reproduzieren eine gefährliche Dichotomie: Entweder, du verharmlost Islamismus, die Shoah und forderst die Auslöschung Israels, oder du freust dich über Gewalt an Palästinenser_innen. Differenzierte Kritik findet sich selten.

Dieses Gegeneinanderausspielen stärkt lokal wie global in erster Linie Rechte – egal, ob maus sich noch schnell in der Instagram-Story von den Grauen Wölfen distanziert oder auf dem Weg zur antiisraelischen Demo schreibt, dass Antisemitismus nicht okay ist.

Antifa heißt, konsequent jeden Antisemitismus und Rassismus bekämpfen und sich auch dann voreinander stellen, wenn es bedeutet, der eigenen Community zu widersprechen.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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