Polizei schafft gepanzerte Wagen an: Heimliche Militarisierung?

Bürgerrechtler sind alarmiert, weil ein gepanzerter Geländewagen mit der Aufschrift „Polizei“ durch Hannover kurvt. Das Innenministerium schweigt.

Der gepanzerte Geländewagen und vier schwer bewaffnete Männer in Tarnuniformen bei einer Präsentation des Herstellers.

Martialisches Gerät für deutsche Innenstädte: Der Enok bei einer Präsentation des Herstellers Foto: Reportandum/Imago

HANNOVER taz | Die Verschlusssache wiegt um die sechs Tonnen, ist wüsten-beige lackiert, trägt die Aufschrift „Polizei“ und wurde im Juni 2021 plötzlich auf den Straßen Hannovers gesichtet.

Ein aufmerksamer Passant fotografierte den gepanzerten Geländewagen der Marke „Enok“, der aussieht, als wäre er gerade noch in Afghanistan unterwegs gewesen. Doch dieser hier gehört ganz offensichtlich nicht zur Bundeswehr, sondern zur Polizei. Bei der Initiative „freiheitsfoo“, die schließlich die Fotos erhält, ist man deshalb alarmiert. Wird die Polizei Niedersachsen hier heimlich militarisiert?

Die graswurzelartig organisierten Experten für Menschen- und Freiheitsrechte beginnen zu recherchieren und nachzubohren. Doch beim zuständigen Innenministerium beißen sie erst einmal auf Granit. Das „sondergeschützte Offensivfahrzeug speziell für den urbanen Bereich“ sei für besondere Einsatzlagen angeschafft worden und dem Spezialeinsatzkommando Niedersachsen zugewiesen.

Weitere Fragen könnten leider nicht beantwortet werden, weil das Fahrzeug als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft wurde, heißt es aus der Fachabteilung des Ministeriums und der Pressestelle. Grundsätzlich seien Informationen zur Ausstattung und zum taktischen Vorgehen der Spezialeinheiten der Polizei geheimhaltungsbedürftig.

Bayerns Innenminister präsentiert den Enok offener

Nun erwartet wohl niemand ernsthaft, hier detaillierte Auskünfte zur Bewaffnung oder taktischen Szenarien zu erhalten – aber es gibt ein paar Fragen, die ohne solche Einsichten beantwortbar wären: Zum Beispiel danach, wer die Beschaffung des Fahrzeuges wann beschlossen hat, ob weitere Anschaffungen geplant sind, wie viel Geld dafür eingeplant wurde und ob es eine Ausschreibung gegeben hat. Doch auch dazu möchte das Ministerium erst einmal lieber nichts sagen, weder auf die Anfrage von freiheitsfoo, noch gegenüber der taz.

Anderswo ist man weniger geheimniskrämerisch. Es gibt gleich mehrere Medienberichte über die Übergabe von zwei ähnlichen Fahrzeugen in Bayern im Februar 2020, bei denen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stolz vor den „Anti-Terror-Geländewagen“ des Typs Enok 6.1 posiert.

Hersteller ist die Firma ACS Armoured Car Systems im bayerischen Friedberg/Derching. 2,4 Millionen Euro hat Bayern in die beiden Fahrzeuge investiert. Die Entscheidung für diese Art der Aufrüstung sei nach dem Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München gefallen, hieß es bei der Gelegenheit.

Auch das niedersächsische Innenministerium verweist zur Begründung der Anschaffung auf die „stetig steigende Anzahl von Einsatzlagen, in denen Polizeikräfte gegen bewaffnete und gefährliche Gewalttäter (z. B. in politisch und/oder rechtsradikal motivierten Morden, Terroranschlägen oder Amoklagen) vorgehen müssen“.

Auf die spitzfindige Nachfrage, welche Statistik denn diese Annahme untermauern könnte, verweist die Pressestelle des Innenministeriums auf die normale Polizeistatistik. Die belegt nur leider eher das Gegenteil: Straftaten sind insgesamt rückläufig, Amoklagen für die letzten paar Jahre gar nicht verzeichnet.

Aber das gehört zum Wesen von Terrorakten und Amokläufen: Sie sind selten, aber wenn sie passieren, ist die Opfer­zahl oft sehr hoch und die öffentliche Wirkung dramatisch. Wobei sie nicht so singulär sind, wie man vielleicht denkt: Es gibt Studien, wie die von David Jetter, die für Attentate und Amokläufe einen ähnlichen Nachahmereffekt belegen, wie man es als „Werther-Effekt“ beim Suizid kennt.

Helge Limburg, Grüne

„Es ist unklar, was ein einzelner Wagen in einem Flächenland in akuten Notlagen tatsächlich bewirken kann“

Die große Frage ist jedoch, ob Aufrüstung hilft. Theoretisch sollte so ein Fahrzeug dazu dienen, gegen einen oder mehrere schwer bewaffnete Täter vorzurücken, die sich irgendwo verschanzt haben und weiter feuern. Im Rückblick auf die genannten Beispiele muss man sich allerdings fragen, wie viel so ein Panzerwagen in den Situationen wohl genutzt hätte.

„Es ist unklar, was ein einzelner Wagen in einem Flächenland in akuten Notlagen tatsächlich bewirken kann“, meint Helge Limburg, Landtagsabgeordneter der Grünen. Eine schnelle und zielgerichtete Aktion sei wichtiger als ein martialisches Panzerfahrzeug. „Zum Beispiel, dass Notrufe ernst genommen werden.“

Limburg spielt damit auf den rassistischen Terroranschlag im hessischen Hanau am 19. Februar 2020 an. Damals liefen Notrufe ins Leere, die Aufschluss über das Vorgehen des Täters gegeben hätten. Der Polizeinotruf war nicht ausreichend besetzt.

Vorwiegend beim Militär im Einsatz

Bei dem rassistischen Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum wäre die meiste Zeit gar nicht klar gewesen, wo das gepanzerte Fahrzeug überhaupt hätte hingeschickt werden sollen – schließlich suchte die Polizei die halbe Nacht an verschiedenen Stellen in der Stadt nach bewaffneten Mittätern. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie nicht existierten.

Es hat möglicherweise seinen Grund, warum dieser Fahrzeugtypus sonst vorwiegend beim Militär im Einsatz ist. Laut Wikipedia hat neben Niedersachsen und Bayern nur die Bundespolizei noch Enoks geordert. Dort sind sie vor allem bei der GSG9 und an verschiedenen Flughäfen stationiert.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch eine Gelegenheit, Innenminister Boris Pistorius (SPD) mit all diesen Fragen zu behelligen. Man plane „das Fahrzeug im Laufe der zweiten Jahreshälfte der Öffentlichkeit vorzustellen“, heißt es aus dem Ministerium.

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