Nebeneinkünfte der Kanzlerkandidatin: Baerbocks umstrittener Corona-Bonus
Nachdem sie Nebeneinkünfte verspätet angemeldet hat, steht die grüne Kanzlerkandidatin in der Kritik. Nur: Worum geht es eigentlich genau?
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht wegen zu spät gemeldeter Nebeneinkünfte in der Kritik. Worum geht es?
Annalena Baerbock hat in den Jahren 2018, 2019 und 2020 Sonderzahlungen ihrer Partei erhalten, etwa Weihnachtsgeld und einen Corona-Bonus. Es geht nach Angaben der Grünen um eine Summe von 25.220,28 Euro. Baerbock erhält von der Partei kein Gehalt, weil sie als Bundestagsabgeordnete eine Diät bezieht. Sie hätte die Sonderzahlungen aber dem Bundestag angeben müssen, so schreiben es die Verhaltensregeln für Abgeordnete vor – tat es jedoch jahrelang nicht. Im März fiel der Fehler in der Grünen-Zentrale auf. Baerbock meldete die Sonderzahlungen daraufhin eigenständig an.
Ist diese Vergesslichkeit außergewöhnlich?
Nein, dass Abgeordnete Nebeneinkünfte nachträglich angeben, kommt immer wieder vor. Nach der Berichterstattung über Baerbock meldete auch der Grüne Cem Özdemir der Bundestagsverwaltung Weihnachtsgeld nach, das er als Parteichef von 2014 bis 2017 erhalten hatte. Auch der Sozialdemokrat Karl Lauterbach gab am Sonntag auf Twitter bekannt, dass er einen Honorarvorschuss für ein Buch zwei Monate zu spät gemeldet habe – und dass auch Einnahmen aus vier Vorträgen nachgereicht worden seien. „Riesenfehler, für den ich geradestehe“, twitterte Lauterbach. „17.850 Euro spende ich für Indien.“
Wollte Baerbock die Sonderzahlungen der Partei vielleicht bewusst verheimlichen?
Dafür gibt es keine Indizien. Sie hätte keinen finanziellen Vorteil gehabt, wenn sie das Weihnachtsgeld nicht an den Bundestag gemeldet hätte. Die Grünen betonen, dass sie die Sonderzahlungen selbstverständlich korrekt versteuert habe. Und wie gesagt: Baerbock wurde bei der Nachmeldung von sich aus aktiv. „Das war ein blödes Versäumnis“, sagte sie vergangene Woche. „Ich habe mich darüber selbst wahrscheinlich am meisten geärgert.“
Bekommen die Grünen-ChefInnen Erfolgsprämien, wie es die politische Konkurrenz behauptet?
Laut einem Grünen-Sprecher: nein. Aber die Kommunikation der Grünen zu diesem Punkt war ungenau. Baerbock selbst bringt die Sonderzahlungen im Transparenzhinweis auf ihrer aktualisierten Homepage mit „Jahren erfolgreicher Wahlkämpfe (Europawahlkampf 2019)“ in Verbindung. Mehrere Medien berichteten in den vergangenen Tagen von „Erfolgsprämien“. Ein Grünen-Sprecher sagte der taz jedoch am Montag: Das Weihnachtsgeld sei im Jahr 2019 lediglich aufgrund der guten finanziellen Situation nach der Europawahl und der gestiegenen Mitgliederzahl an alle Beschäftigten der Geschäftsstelle „in voller Höhe“ ausbezahlt worden. „Die Zahlung ist also von der finanziellen Situation abhängig; es ist keine Extraprämie.“
Und was ist mit dem Corona-Bonus?
Zu den Sonderzahlungen der Partei an Baerbock gehörte ein Corona-Bonus von 1.500 Euro. Das Bundesfinanzministerium hatte für Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, im Jahr 2020 eine Sonderzahlung bis zu dieser Höhe für Beschäftigte steuer- und sozialversicherungsfrei zu leisten. „Die Sonderzahlung in Höhe von 1.500 Euro ging an alle Mitarbeitenden der Geschäftsstelle und an alle Mitglieder des Bundesvorstands“, sagte der Parteisprecher. Baerbock mache als Abgeordnete von der Steuerfreiheit keinen Gebrauch. Sie habe sie mit allen anderen Unterlagen beim Steuerberater eingereicht, um sie zu versteuern.
Ist das Ganze nun eigentlich ein Skandal?
Nein. Baerbocks Integrität oder Politikfähigkeit wird durch die Nachlässigkeit nicht wirklich in Frage gestellt. Der Fall ist nicht vergleichbar mit den Affären von Unions-Abgeordneten, die sich mutmaßlich mit dubiosen Schutzmasken-Deals bereicherten – und er wird von Medien wie der Bild-Zeitung und der politischen Konkurrenz etwas aufgebauscht. Ein Weihnachtsgeld ist legal, ebenso der Corona-Bonus – und eine unstatthafte Einflussnahme steht nicht im Raum, weil die Zahlungen von der eigenen Partei kamen. Die Causa Baerbock sei „mit Blick auf Interessenkonflikte grundsätzlich anders zu bewerten als Einkünfte von privaten Dritten oder ausländischen Regierungen“, teilte die Organisation Lobbycontrol mit.
… aber?
Aber peinlich ist das Ganze doch. Den Grünen hängt das Image an, die Welt von einer hohen Warte aus moralisch zu beurteilen. Sie werben auch für schärfere Transparenzregeln für Abgeordnete. „Für uns ist die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte ab dem ersten Cent ein wichtiger Schritt“, heißt es auf der Homepage der Bundestagsfraktion. Dass nun ausgerechnet die Kanzlerkandidatin in diesem Feld patzt, ist ärgerlich für die Partei.
Haben Grünen-Abgeordnete eigentlich besonders hohe Nebeneinkünfte?
Nein. Die Grünen-Fraktion liegt bei den Nebeneinkünften laut dem Datenanbieter Statista ganz hinten, sowohl bei der Summe als auch bei der Zahl der Abgeordneten, die überhaupt welche erwirtschaften. Rund ein Drittel der CDU-Abgeordneten habe in der aktuellen Wahlperiode meldepflichtige Nebeneinkünfte erzielt, teilte Statista im März mit – und sie kämen bis Juli 2020 zusammen auf 8,7 Millionen Euro. Die Abgeordneten der CSU lagen mit 5,8 Millionen Euro dahinter, dann kamen die der FDP mit 5 Millionen Euro. Grünen-Abgeordnete erwirtschafteten zusammen lediglich 122.000 Euro. Während laut Statista 53 Prozent der FDP-Abgeordneten Nebeneinkünfte erzielten, waren es bei den Grünen nur 13 Prozent.
Verdient Baerbock im Vergleich mit anderen SpitzenpolitikerInnen besonders viel?
Nein. Die Grünen zahlen ihr – wie gesagt – kein Parteigehalt, weil sie Abgeordnete ist. Als solche bekommt sie laut Bundestag eine Entschädigung von monatlich 10.083,47 Euro. Andere Parteien handhaben die Gehaltsfrage großzügiger. SPD-Chefin Saskia Esken, die ebenfalls Abgeordnete ist, wird zum Beispiel doppelt bezahlt. Zusätzlich zu ihren Diäten beziehe sie ein Gehalt von 9.000 Euro von der Partei, schreibt der SPIEGEL. Und FDP-Chef Christian Lindner, der auch im Bundestag sitzt, nehme regelmäßig Geld für Vorträge. Das tue Baerbock nicht, heißt es in der Grünen-Zentrale.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch