Nach dem Sturm auf das Kapitol: Unsere Bananenrepublik
Ein alter rassistischer Begriff taucht wieder auf. Er ist eine hochmütige Metapher für Momente, die nicht in das eigene Selbstbild passen.
Z um Entsetzen gehört offenbar immer ein obskurer sprachlicher Vergleich. Nach dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Capitol in Washington war schnell zu hören, es herrschten in den USA Zustände wie in einer „Bananenrepublik“. Ex-Präsident George W. Bush baute sein entrüstetes Statement auf dieser Vokabel auf: „So werden Wahlergebnisse in einer Bananenrepublik angefochten.“
Aber auch hierzulande wurde der Begriff ausgiebig gebraucht, so etwa ZDF-Journalist Elmar Theveßen bei Markus Lanz: „Das hier hat mehr etwas von einer Bananenrepublik als von einer funktionierenden Demokratie“. Mit diesem Vergleich war offenbar das äußerste Maß an Besorgnis ausgedrückt.
Wo liegen aber diese Bananenrepubliken? Welche Länder sind damit gemeint? Oder ist die Namenlosigkeit ein Synonym für das Fremd-Unheimliche schlechthin? Der rhetorische Trick, der hier wirkt, funktioniert so: Das aktuelle Drama in den USA ist ein Ausnahmefall, nur ein Ausschnitt der Realität in fernen, uns unvertrauten Ländern, in denen es wirklich schlimm zugeht. Ein Ausrutscher, dieser Sturm aufs Kapitol, bizarr, aber exotisch; das eigentliche Chaos herrscht nicht bei uns, sondern in den „Bananenrepubliken“. Die Banane als Symbol für wilde chaotische Topografien und ihre Bewohner:innen ist eine altbekannte Vokabel in verschiedenen rassistischen Kontexten.
Die ursprünglich aus dem Englischen stammende Bezeichnung „banana republic“ ist pikanterweise eine ureigene Vokabel aus der US-amerikanischen Wirtschafts- und Kulturhistorie. Die 1899 gegründete Firma United Fruit Company, die heutige Chiquita Brands International, erwarb im frühen 20. Jahrhundert in zahlreichen Ländern Mittelamerikas Land und kontrollierte das Transportsystem von Südfrüchten, vor allem von Bananen. Länder wie Honduras, Guatemala, Nicaragua, Panama und Costa Rica wurden abhängig von den Geldern und Netzwerken des Unternehmens. Sie firmierten daher als „Bananenrepubliken“.
Gernot Wolfram ist Autor und Kulturwissenschaftler. Er lehrt Kultur- und Medienmanagement an der Macromedia-Hochschule in Berlin und an der Universität Basel. Zuletzt erschien von ihm der Essay „Kontinentpfade. Eine kurze Anleitung, Europa lieben zu lernen“ (Verlag Hentrich & Hentrich).
Der Name war mehr ein mitleidiger Ausdruck für die Abhängigkeit von korrupten Unternehmenspraktiken als eine Beschreibung der jeweiligen politischen Kultur in diesen Ländern. Es gibt beeindruckende Beispiele für den Widerstand gegen die Dominanz der Vereinigten Staaten, wie etwa den „Great Banana Strike“ in Costa Rica 1934. Organisiert wurde der Streik von lokalen Initiativen, welche für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpften.
Lateinamerikanische Journalist:innen bezeichneten Unternehmen wie die United Fruit Company immer wieder als „Oktopus“. Wie ein vielarmiges Tier griffen die Manager in das politische Geflecht der Staaten ein. Durch Bestechung, Förderung von Paramilitärs und Einflussnahme auf die örtlichen Regierungen versuchten sie, geringe Steuern auf den Fruchtexport und dauerhaft niedrige Löhne durchzusetzen. Es gab viele lokale Akteure aus den „Bananenrepubliken“, die gegen das verwilderte System kämpften.
Die mafiösen Strukturen innerhalb des Geschäfts mit Südfrüchten, an dem die US-amerikanische Wirtschaftspolitik, Unternehmen und örtliche Regierungen beteiligt waren, sind tief in der ökonomischen Logik der USA des 20. Jahrhunderts verwurzelt. Wenn westliche Politiker:innen und Journalist:innen heute von einer Bananenrepublik sprechen, müssten sie konsequenterweise ergänzen: Unsere Geschichte kehrt zurück. Und nicht: Die Strukturen der anderen zeigen sich überraschenderweise auch bei uns.
Die „Bananenrepublik“ ist auch eine Schöpfung der US-amerikanischen Literatur: Der Schriftsteller O. Henry, eigentlich William Sydney Porter, hatte Ende des 19. Jahrhunderts eine Zeit lang in Honduras gelebt und 1904 das Buch „Kohlköpfe und Caballeros“ (Cabbages and Kings) veröffentlicht, in dem er die fiktive zentralamerikanische Republik Anchura erfand. Er bezeichnete sie als „Bananenrepublik“, als Ort, der sich gegen die Knebelverträge der großen Unternehmen wehrte.
In den folgenden Jahren wurde die Metapher dann zu einem abschätzigen Wort für unterentwickelte Länder und mafiöse Regierungsstrukturen. In den achtziger Jahren gewann das Wort im Westen für verschiedene Länder Afrikas und Lateinamerikas an Popularität. Auch wenn die betreffenden Länder gar keine Bananen vertrieben, die Metapher sollte den Leser:innen im Westen einen distinktiven Schauer über den Rücken jagen: Das ist das Andere, das Unwägbare und Chaotische, von dem wir uns absetzen müssen. Die Erkenntnis, dass möglicherweise das Chaos in der eigenen Kultur tief verankert sein könnte, war und ist selten.
Politische Rhetorik muss bildhaft sein. Sie will provozieren und Aufmerksamkeit erregen. Sie wird jedoch dann problematisch, wenn sie suggestiv andere Kulturen und Systeme abwertet. Die Bananenrepublik ist die hochmütige Metapher für Ereignisse, die nicht in das eigene Selbstverständnis passen.
Dass nun ausgerechnet die USA, das große Symbol für eine selbstbewusste westliche Demokratie, zeitweise in Gewalt und Chaos versinken, soll nichts mit den inneren Widersprüchen an sich zu tun haben. Fast alle Statements europäischer Regierungen präsentieren diese Lesart: Die starken Kräfte der Demokratie werden sich durchsetzen. Das sind nicht unsere USA. Das ist nicht amerikanisch.
Wäre es aber nicht ehrlicher und demokratiefördernder zu fragen: Ist das aktuelle Chaos nicht eine Folge der amerikanischen Politik und der gesellschaftlichen Verhältnisse im Land? Eine Diagnose sollte an die Wurzel der Probleme gehen. Eine dieser Wurzeln ist die Sprache, der wir im politischen Raum vertrauen und die wir verwenden. Es geht nicht um Bananen und Zustände „wie woanders“. Es geht um einen klaren analytischen Blick auf die Voraussetzungen für solche Gewaltphänomene in der westlichen Kultur. Mit der Sprache zu beginnen, mit der Geschichte der Begriffe, die wir verwenden, ist dabei ein verlässlicher Schritt zur Selbsterkenntnis.
Gernot Wolfram ist Autor und Kulturwissenschaftler. Er lehrt Kultur- und Medienmanagement an der Macromedia-Hochschule in Berlin und an der Universität Basel. Zuletzt erschien von ihm der Essay „Kontinentpfade. Eine kurze Anleitung, Europa lieben zu lernen“ (Verlag Hentrich & Hentrich).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit