Mit E-Auto in den Urlaub: So weit die Akkus tragen
Elektroautos sind für den Stadtverkehr ideal. Doch taugen sie auch für eine Frankreich-Reise? Unser Autor hat es mit einem Corsa-E probiert.
D er Pressesprecher bei Opel ist besorgt. Ein bisschen gemein sei das ja schon, ausgerechnet einen kleinen Corsa über die Autobahn jagen zu wollen. „Elektroautos sind dafür einfach nicht gemacht“, sagt er. Und ergänzt: „Die glänzen vor allem im Stadtverkehr.“ Nach einem längeren Telefonat stellt der Konzern trotzdem ein Testfahrzeug bereit – verbunden mit der dringenden Empfehlung, nicht schneller als 120 km/h zu fahren.
Gemein zu sein ist nicht das Ziel dieses Autotests. Stattdessen soll er herausfinden, ob man in einem elektrischen Kleinwagen auch über längere Strecken verreisen kann. Keine Frage: Im Stadtverkehr sind E-Autos alltagstauglich, besonders dann, wenn man zu Hause eine eigene Ladesäule hat. Doch auch E-Auto-Besitzer möchten irgendwann einmal die Oma am anderen Ende des Landes besuchen oder in den Urlaub fahren. Und nicht jeder hat 100.000 Euro für einen „Tesla Model S“ (Norm-Reichweite: 610 Kilometer) übrig. Daher die Frage: Geht ein solcher Langstrecken-Trip auch im Kleinwagen?
Level 1: Aufwärmen
Vom Opel-Stammwerk in Rüsselsheim bis zu meinem Wohnort Bonn sind es knapp 160 Kilometer. Angesichts der Tatsache, dass der Corsa mit einer Ladung bis zu 330 Kilometer weit kommen soll, handelt es sich also lediglich um eine Aufwärm-Runde. Obwohl die Klimaanlage aufgedreht ist und das Radio läuft, bewegt sich die Akku-Anzeige nur langsam nach unten. Der Verkehr auf der A 3 spielt dem E-Auto in die Hände. Es ist Freitagnachmittag und dementsprechend viel los. Schneller als 100 km/h ist ohnehin niemand unterwegs.
Kurz vorm Ziel ist der Akku noch immer halb voll. Trotzdem wagen wir einen kleinen Versuch: Wie gut klappt das Aufladen an einer Schnellladesäule? Theoretisch sollte das Stromtanken genauso einfach gehen wie jenes mit Benzin. In der Praxis gibt es aber oft Probleme, weil innerhalb Deutschlands (und Europas) Hunderte von Anbietern existieren, die alle ihre eigenen Systeme betreiben: von kommunalen Stadtwerken bis hin zu großen Energiekonzernen.
An der Raststätte Bad Honnef wird die E-Tanke von „Ionity“ betrieben, einem Ladeverbund, in dem sich mehrere Autokonzerne zusammengeschlossen haben. Fünf Säulen stehen zur Verfügung, Kostenpunkt: happige 0,77 Euro pro Kilowattstunde. Um das „Tanken“ zu starten, muss zunächst ein QR-Code gescannt werden. Website öffnen, Kreditkarten-Daten eingeben, los geht’s! Oder doch nicht? Nach wenigen Sekunden erscheint eine Fehlermeldung: keine Internetverbindung. Seltsam, denn alle anderen Websites funktionieren auch.
Anruf bei der Hotline. „Steckt das Kabel schon drin?“, fragt die Dame am anderen Ende der Leitung. Nein. „Komisch, mir wird angezeigt, dass die Säule belegt ist. Da scheint irgendwas nicht zu stimmen.“ Die Mitarbeiterin empfiehlt, eine andere Säule zu nutzen und sicherheitshalber die dazugehörige App zu installieren. „Am besten funktioniert es aber mit einer Ladekarte“, sagt sie noch. „Nur so als Tipp.“
Steckbrief Opel Corsa-E
Motor: Elektromotor mit 100 kW/136 PS
Höchstgeschwindigkeit: 150 km/h
Reichweite: 337 km*
Verbrauch: 16,8 kWh/100 km*
Maße: Länge 4,06 m, Breite 1,77
Kofferraum: 264 Liter
Leergewicht: 1.530 Kilo
Preis: ab 29.900 Euro
Preis inkl. Umweltprämie: ab 19.667 Euro
*Laut WLPT-Testnorm. In der Stadt ist dieser Wert durchaus realistisch, bei reinen Autobahnfahrten schrumpfte die Reichweite im Test auf ca. 200 Kilometer zusammen.
Mit der App klappt es tatsächlich, 20 Minuten später ist der Akku wieder fast voll. Immerhin eine lehrreiche Erfahrung für die weitere Tour. Lektion eins: Man braucht guten Handy-Empfang. Lektion zwei: Ohne Ladekarte wird es kompliziert.
Level 2: Deutschland-Reise
Drei Tage später trifft die Ladekarte ein. Sie heißt „Shell Recharge“ und soll an über 165.000 öffentlichen Ladestationen in Europa einsetzbar sein. Ein verlockendes Angebot, wenn es denn stimmt. Richtig teure Autos wie der Tesla machen es einem einfach: Sobald man das Ziel ins Navi eingibt, berechnet der Bordcomputer automatisch die passenden Zwischenstopps.
Ganz so komfortabel funktioniert es in einem Kleinwagen zwar nicht, doch dafür gibt es zahlreiche Websites, die diesen Job übernehmen. Ich nutze den Routenplaner „Going Electric“, um den Weg von Bonn nach Freiburg zu berechnen. Die 420 Kilometer lange Strecke soll über die A 3 und die A 5 führen. Geplante Zwischenstopps: zwei.
Weil aber auf beiden Autobahnen Stau ist, empfiehlt das Corsa-Navi die Parallelstrecke über die A 61 – was die extra ausgedruckte Route wieder zunichtemacht. Ein kurzer Schreckmoment: Wird es unterwegs trotzdem genügend Ladestationen geben?
Die Sorge stellt sich schnell als unbegründet heraus. Fast jede Raststätte auf dem Weg verfügt über Stromtankstellen. Nach 130 Kilometern mache ich im Hunsrück halt. Zwar ist der „Tank“ immer noch fast halb voll, aber sicher ist sicher. Die Ladestation, die vom Energieanbieter EnBW betrieben wird, harmoniert mit meiner Ladekarte. Einfach dranhalten, Kabel reinstecken, los! Nach 36 Minuten geht es weiter.
Obwohl der Akku nur zu 80 Prozent voll ist, steuere ich das 180 Kilometer entfernte Baden-Baden an – eine kleine Herausforderung. Wieder hält der Kleinwagen, was er verspricht. Trotz Klimaanlage und Radio steht die Akku-Anzeige bei der Ankunft immer noch auf 20 Prozent. Allerdings halte ich mich auch eisern an das mir selbst auferlegte Tempolimit von 120 km/h. Bei höheren Geschwindigkeiten würde es mit solchen Distanzen knapp werden. Richtig knapp.
Die nächste Stromtankstelle, diesmal von Eon, rührt sich nicht. Weder die Handy-App noch die Ladekarte vermögen sie in Gang zu setzen. Auch das Drücken diverser Tasten nützt nichts. Wieder ein Anruf bei der Hotline. „Da hat der letzte Kunde wohl den Not-Aus-Schalter gedrückt“, erklärt die Mitarbeiterin. „Wenn das passiert, muss ich das System neu starten.“ Gesagt, getan. Kurze Zeit später fließt der Strom. Die nächsten 35 Minuten verbringe ich damit, die Raststätte zu erkunden. Die Autobahnkirche St. Christophorus thront wie eine Pyramide inmitten von Bäumen. Am Wegesrand erinnert eine Messing-Skulptur an verunfallte Straßenarbeiter. Im Raststätten-Shop liegen Zeitschriften aus, die das VW-Elektroauto „ID.3“ als „Volksstromer“ feiern – alles Dinge, die bei einem Fünf-Minuten-Stopp im Benzin-Auto wahrscheinlich nicht aufgefallen wären.
Am Nachmittag kommt das Ortsschild von Freiburg in Sichtweite. Sechs Stunden hat die Fahrt gedauert, mindestens eine Stunde länger als im Verbrenner. Und doppelt so lange wie im ICE. Was die Batterien angeht, hat der Corsa tapfer durchgehalten. Die restlichen 25 Prozent reichen locker, um am nächsten Tag das nahegelegene Schwarzwald-Örtchen Kirchzarten anzusteuern. Dort steht, direkt neben einem Café, eine Ladesäule, die das Auto in einer Stunde wieder randvoll lädt.
Die Rückfahrt nach Bonn verläuft wenig spektakulär, diesmal über die A 5 und die A 3. Erster Zwischenstopp in Bruchsal (30 Minuten Schnellladen), zweiter Stopp in Limburg-Süd. Die dortige Stromtankstelle, genannt „Fastned“, ist tatsächlich superschnell: Mit bis zu 300 Kilowatt können Fahrzeuge aufgeladen werden, im besten Fall also nur 15 Minuten für eine 80-Prozent-Ladung. Leider sind die vier superschnellen Plätze schon alle belegt. Ein holländisches Ehepaar hat Klappstühle aufgestellt, um vor der Ladesäule zu picknicken.
Übrig bleibt eine 50 kW-Säule, mit der es knapp eine Stunde dauert, den Corsa wieder aufzutanken. Doch es gibt ein Trostpflaster: Direkt nebenan befindet sich eine Filiale der Pizzakette Osteria. Im Grunde ein sehr entspanntes Reisen. Nur eilig darf man es nicht haben. Aber das ist im Urlaub ja auch selten der Fall.
Level 3: Tour de France
Jetzt wird’s ernst. Von Bonn aus geht es nach Boulogne-sur-Mer, einer kleinen Hafenstadt südlich von Calais, wobei die Reise vor der Einstufung der Region als Risikogebiet wegen der Coronapandemie durchgeführt wurde. 462 Kilometer muss der elektrische Corsa bewältigen und dabei vier verschiedene Länder durchqueren. Der Online-Routenplaner hat nur zwei Stopps vorgesehen, einmal in Belgien und einmal kurz vor dem Ziel. Wenn das stimmt, wäre das wirklich gut. Alle zwei Stunden würde ich sowieso Pause machen.
Doch ich traue dem Frieden nicht und möchte das Auto gerne auf deutscher Seite noch einmal volltanken. Es ist der Moment, an dem die Sache allmählich aus dem Ruder läuft. Erst verpasse ich die Raststätte Aachen-Nord. Dann wählt das Navi eine andere Route als die, die ich ausgedruckt habe – ohne dass ich es merke. Statt direkt durch Belgien zu fahren, rollt der Corsa nun durch Holland. Nervosität macht sich breit. Was, wenn der Akku leer ist, bevor die nächste Stromtankstelle in Reichweite rückt?
Die Shell-App würde nun helfen, doch bei 120 km/h auf der Autobahn bleibt das Handy lieber in der Ablage. Zum Glück zeigt auch das Navi alle verfügbaren Ladestationen in der Umgebung an, weshalb ich in einem Städtchen namens Geleen lande. Auf dem Bildschirm rückt das Tankstellen-Symbol immer näher. Beim Blick durchs Fenster leider nicht. Einfamilienhäuser sind zu sehen, Fahrräder und Spaziergänger mit Kinderwagen. Von einer Ladesäule keine Spur. Das Spiel wiederholt sich ein paar hundert Meter weiter. Die angeblich öffentliche Ladestation befindet sich auf einem Hotelgelände – hinter einer Schranke.
Also zurück auf die Autobahn. Mit 100 km/h und ausgeschalteter Klimaanlage steuere ich die nächste Schnellladestation an, die Raststätte Zolder in Belgien. Das Schneckentempo zeigt Wirkung, denn der Akku ist bei der Ankunft noch immer zu einem Fünftel voll. Dann der nächste Schock: Die Ladesäulen sind von einem Bauzaun umgeben – außer Betrieb! Die Kassiererin erklärt, dass es ein paar Meter weiter noch eine weitere E-Tanke gebe und die auch wirklich funktioniere. Doch auch dort ist erst einmal Warten angesagt: Die einzige verfügbare Station wird von einem anderen Elektroauto blockiert.
„Wie lange dauert’s denn noch?“, frage ich den BMW-Fahrer. „Ungefähr drei Stunden“, antwortet er. Selbst mit aufgesetztem Mundschutz ist es offensichtlich, dass er lacht. „Kein Problem. Ich hab Zeit und fahre zur nächsten Station“, sagt er schließlich. Solidarität unter E-Mobilisten, wer hätte das gedacht!
Eine halbe Stunde später ist der Akku wieder fast voll. Weiter geht’s zum nächsten Zwischenstopp, der Raststätte Wetteren. Hier stehen gleich fünf Parkplätze für Stromer bereit, kein einziger ist belegt. Karte ans Lesegerät halten, Stecker ins Auto, los! 30 Minuten und ein Nickerchen später ist der E-Corsa wieder bereit. Und der Fahrer auch.
Doch das Glück währt nicht lange. Obwohl es das Auto bis zum Ziel schaffen würde, nagt an mir eine andere Frage: Woher bekommt es in Boulogne-sur-Mer die Energie? Schnellladestationen gibt es dort nicht, und wer weiß, ob die deutsche Ladekarte in einer französischen Kleinstadt funktioniert. Also wähle ich erneut einen Umweg und steuere in Calais einen Auchan-Supermarkt an. Dort können Kunden 30 Minuten kostenlos laden. Während die Sonne untergeht, vergehen die letzten Kilometer rasch. Am Zielort angekommen, stellt sich heraus, dass die ganze Sorge umsonst war: Direkt vorm Hotel steht eine städtische Strom-Tankstelle. Schnell noch die passende App installieren, schon blinkt die Ladesäule grün. Jetzt hat sich der E-Corsa seine Nachtruhe verdient.
Der nächste Morgen startet mit einer bösen Überraschung: Die Batterie ist noch genauso voll (bzw. leer) wie vorher: 43 Kilometer Restkapazität. Offenbar gab es ein Kommunikationsproblem zwischen Säule und Auto. Oder die Säule ist schlicht defekt, wer weiß das schon. Stünde an diesem Tag die Rückfahrt an, wäre das ein echtes Problem. An einer normalen Ladesäule kann es Stunden dauern, bis das Auto wieder voll ist. Zum Glück gibt es auch in Boulogne einen „Auchan“ – der allerdings kurz nach meiner Ankunft am Sonntagmittag schließt. Also ein neuer Versuch an der Säule vorm Hotel, diesmal am zweiten Anschluss. Und tatsächlich: Der Strom fließt! Billig ist er aber nicht: So wird die komplette Frankreich-Tour (ca. 950 Kilometer) am Ende knapp über 80 Euro kosten, also durchaus vergleichbar mit den Kosten für einen Benziner. Das hängt vor allem an den hohen Preisen an den Schnellladesäulen.
Beim Rückweg versuche ich jegliche Reichweiten-Angst über Bord zu werfen. Abstecher zu Supermärkten oder Ähnlichem soll es nicht mehr geben, stattdessen einen direkten Rückweg mit nur zwei Pausen: einmal in Wetteren (192 km), einmal in Aachen (200 km). Wieder zeigt sich das inzwischen bekannte Muster: Das Auto macht, was es soll, stattdessen hapert es an der Software. In Deutschland ist abermals ein Anruf bei der Service-Hotline nötig, bevor die Ladesäule (diesmal vom Betreiber Ionity) ihren Dienst verrichtet.
Die restlichen Kilometer nach Bonn vergehen wie im Flug. Am Ende zeigt sich, dass trotz mancher Hürde eine Urlaubsfahrt im elektrischen Kleinwagen durchaus möglich ist – wenn man sie entsprechend plant. Und einen kühlen Kopf behält.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut