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Mindestlohn für ErntehelferBauernverband für weniger Lohn an Aus­länder als Deutsche

Landwirte sollten ausländischen Saisonarbeitern nicht den normalen Mindestlohn zahlen müssen, verlangt der Bauernverband. Gewerkschafter protestieren.

Erdbeerernte: Die mühevolle Handarbeit wird bislang meistens von ausländischen Erntehelfern geleistet Foto: imago

Berlin taz | Ausländische Erntehelfer sollen künftig nach dem Willen des Deutschen Bauernverbands weniger Geld bekommen als den Mindestlohn. „Unser Vorschlag sieht vor, für Saisonarbeitskräfte, die ihren Lebensmittelpunkt in anderen europäischen Ländern haben, 80 Prozent vom gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied der Branchenzeitschrift top agrar. „Das ist aufgrund der geringeren Lebenshaltungskosten in den Herkunftsländern gerechtfertigt“, so der Landwirt. Sollte der Mindestlohn ohne Ausnahme auf 15 Euro pro Stunde erhöht werden, würden viele Betriebe aus dem Gemüse-, Obst- und Weinbau aussteigen, ergänzte Rukwied in der Rheinischen Post vom Montag.

„Wir stehen im europäischen Wettbewerb und unsere Konkurrenten haben jetzt schon deutlich geringere Kosten. Die Politik muss handeln“, forderte der Agrarlobbyist. Der deutsche Mindestlohn in der Landwirtschaft sei schon jetzt „annähernd doppelt so hoch“ als bei den wichtigsten Konkurrenten in Europa. Deutschland importiert Obst und Gemüse zum Beispiel aus Spanien und Italien. Der Anbau in Deutschland geht laut Rukwied zurück.

242.800 Menschen waren etwa von März 2022 bis Februar 2023 nur saisonal in der Landwirtschaft angestellt, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Sie ernten zum Beispiel Spargel, Erdbeeren oder Weintrauben und erledigen auch andere Tätigkeiten auf den Höfen. Die Arbeiter kommen überwiegend aus Osteuropa, sollen in der Regel den Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro erhalten und haben oft keine reguläre Sozialversicherung. Sie würden davon profitieren, wenn die Mindestlohnkommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern wie erwartet bis Ende Juni eine Erhöhung für die Jahre 2026 und 2027 beschließt. Laut dem schwarz-roten Koalitionsvertrag ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 „erreichbar“.

Das ist aufgrund der geringeren Kosten in den Herkunftsländern gerechtfertigt

Joachim Rukwied, Bauernverband

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) wies Rukwieds Forderung zurück. „Unter diese äußerste untere Grenze sollte das Entgelt nicht fallen, damit die Menschen einigermaßen davon leben können“, sagte Harald Schaum, Vizechef der Organisation. Viele der Saisonarbeiter seien „an der Armutsgrenze“. Schon jetzt gebe es Ausnahmen für die Landwirtschaft, zum Beispiel bei der Sozialversicherungspflicht und der Einkommenssteuer. Außerdem könnten Höfe die täglichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung direkt vom Lohn abziehen. „Und das wird weidlich ausgenutzt. In unseren jährlichen Monitorberichten sind das oftmals bis zu 50 Prozent des Lohns“, so Schaum. Trotz der vergangenen Mindestlohnerhöhungen sei in Deutschland zum Beispiel der Erdbeeranbau keinesfalls eingestellt worden, ergänzte ein Gewerkschaftssprecher.

Importanteil konstant

Tatsächlich ist Deutschlands Selbstversorgungsgrad zum Beispiel bei Obst in den vergangenen 10 Jahren kaum gesunken: In den 5 Jahren von 2019 bis 2023 produzierte Deutschland Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zufolge im Schnitt 20,40 Prozent des hierzulande verbrauchten Obstes, in den 5 Jahren davor 20,46 Prozent. Bei Gemüse war der Grad der Selbstversorgung mit rund 36 Prozent in beiden Zeiträumen ebenfalls fast konstant. Dass Deutschland nur so wenig Obst und Gemüse selbst produziert, liegt nicht nur an den Arbeitskosten, sondern zum Beispiel auch am Klima.

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5 Kommentare

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  • Was ist der Bauernverband eigentlich für ein komischer Verein? Wollen sie jetzt gar keine Leute mehr finden, die bereit sind, für sie zu arbeiten? Warum kaufen sie keine Ernte-Roboter?

  • Komisch, dass sich viele Landwirte beklagen, keine Saisonkräfte mehr zu bekommen und deshalb die Menge an angebauten Früchten reduzieren. Ob niedrigere Löhne da zielführend sind, wage ich doch zu bezweifeln.



    Aber bei Rukwied und Co. scheint die Gier schon lange den Verstand ersetzt zu haben.

  • „Unser Vorschlag sieht vor, für Saisonarbeitskräfte, die ihren Lebensmittelpunkt in anderen europäischen Ländern haben, 80 Prozent vom gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied der Branchenzeitschrift top agrar. „Das ist aufgrund der geringeren Lebenshaltungskosten in den Herkunftsländern gerechtfertigt“, so der Landwirt.

    Werden in Deutschland produzierte Waren (z.B. Autos, Waschmaschinen, Kühlschränke, Komputer, usw) in den Herkunftsländern der Saisonarbeitskräfte auch 20 % günstiger angeboten?

  • Hat Ruckwied schon mal was von Gleichbehandlung gehört? Steht im GG! Hat er schon mal was gegen den Betrug an diesen Menschen unternommen? Hier in dieser Ausgabe der TAZ steht ein Artikel über Schamlosigkeit. Hat er den gelesen?

  • Deshalb sollten Ostdeutsche auch weniger als Westdeutsche verdienen und Landbevölkerung weniger als Städter, Menschen ohne Kinder weniger als mit, solche mit teuren Hobbys wiederum mehr. Irre der Vorschlag.