Matheleistungen an Grundschulen: Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Die Timss-Studie zeigt: In Mathe und Naturwissenschaften haben sich deutsche Schüler:innen nicht verschlechtert. Das ist noch die beste Nachricht.

Aus Sicht des nationalen Studienleiters Knut Schwippert von der Universität Hamburg ist das ein positives Ergebnis: „Wir hatten ehrlich gesagt damit gerechnet, dass sich die Leistungen verschlechtern würden.“ Als Grund führt Schwippert die coronabedingten Schulschließungen an, die die getesteten Schüler:innen in der ersten und zweiten Klasse getroffen hätten. „Vor diesem Hintergrund werten wir die Ergebnisse als sehr positiv.“
Zu dieser Bewertung kommen auch die für Schulpolitik zuständigen Länder. Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) etwa bezeichnete die Ergebnisse angesichts der monatelangen Schulschließungen als einen „Erfolg“, der „nicht zwingend zu erwarten“ gewesen wäre. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Christine Streichert-Clivot, sprach von einer „sehr guten Nachricht“.
Zuvor hatten mehrere Grundschulstudien wie der IQB-Bildungstrend oder Iglu deutliche Leistungsabfälle festgestellt. Hubig, die in der KMK die SPD-geführten Länder vertritt, dankte deshalb den Lehrkräften, die sich „offensichtlich in besonderem Maß eingesetzt“ hätten, um die Lernrückstände aufzuholen.
Pandemie gut weggesteckt
Insgesamt sind damit zumindest die Matheleistungen seit 2007, als Deutschland das erste mal an Timss teilgenommen hat, konstant geblieben. Die Autor:innen der Studie betonen, dass in diesem Zeitraum die Anteile der Schüler:innen „mit besonderen Unterstützungsbedarfen“ (von 3 auf 6 Prozent) sowie von Schüler:innen mit Migrationsgeschichte (von 28 auf 40 Prozent) jeweils stark gestiegen sind und die Schulen damit vor zusätzliche Herausforderungen gestellt hätten. Die konstant gebliebenen Mathe-Kompetenzen seien auch deshalb erfreulich, so Schwippert.
Die übrigen Befunde geben jedoch wenig Anlass zur Freude: allen voran die seit 2007 anhaltend große Gruppe leistungsschwacher Schüler:innen. In Mathe hat auch heute jedes vierte Kind zum Ende der Grundschule Probleme mit einfachen Rechen- und Anwendungsaufgaben, in den Naturwissenschaften ist es mittlerweile sogar jedes dritte Kind. An weiterführenden Schulen werden diese Schüler:innen „erhebliche Schwierigkeiten“ haben, warnt die Studie.
Zum Vergleich: In den Timss-Spitzenländern Singapur, Taiwan und Südkorea liegt der Anteil der abgehängten Schüler:innen in Mathe zwischen 3 und 7 Prozent. Umgekehrt gehören bis zu 50 Prozent der Kinder in diesen Ländern zu den leistungsstarken Schüler:innen, in Deutschland ist diese Gruppe in Mathe zwar leicht gewachsen, aber mit 8 Prozent immer noch relativ klein.
Sorge bereitet den Studienautor:innen vor allem, dass die Leistungen wie in kaum einem anderen Land von der sozialen Herkunft abhängen. Ein Befund, der sich seit dem ersten „Pisa-Schock“ vor gut 20 Jahren im Wesentlichen nicht verändert hat. So stellt auch die Timss-Studie 2023 fest: Kinder aus Familien mit mehr als 100 Büchern zu Hause – was als Indikator für die Bildungsaffinität gilt – haben in Mathe in Klasse vier bereits einen Vorsprung von etwa einem Lernjahr. Ähnlich hoch fällt der Leistungsunterschied zwischen Schüler:innen aus, deren Eltern in Deutschland – und jenen, deren Elternteile beide im Ausland geboren sind. Auch dieser Zusammenhang hat sich seit 2007 kaum verbessert.
KMK hat einiges vor
„Es ist uns nicht gelungen, das Problem in den letzten 20 Jahren in den Griff zu kriegen und alle Kinder so gezielt zu fördern, dass wir die ungleichen Startchancen ausgleichen konnten“, sagte Rainer Schulz, der im Hamburger Senat als Staatsrat für Schule und Berufsbildung zuständig ist. Schulz verwies aber darauf, dass Bund und Länder zwei wertvolle Programme gestartet hätten, die genau dort ansetzen.
Von dem Startchancen-Programm, das in den nächsten zehn Jahren 4.000 sogenannte Brennpunktschulen unterstützt, sollen Schüler:innen aus sozial benachteiligten Familien profitieren. Das 2023 angelaufene Programm „QuaMath“ soll Lehrkräfte für einen besseren Matheunterricht qualifizieren. KMK-Präsidentin Streichert-Clivot hält das für einen „wichtigen Schritt“ in die richtige Richtung. Der Anteil auf den unteren Leistungsstufen sei ihr aber „immer noch deutlich zu hoch. Hier müssen wir uns weiter engagieren.“
Auch Bildungsministerin Hubig appelliert an ihre Amtskolleg:innen: „Alle Bundesländer sind hier gefordert, weitere Anstrengungen zu unternehmen, mit dem jetzigen Zustand dürfen wir uns niemals zufriedengeben.“
Um die Basiskompetenzen an Grundschulen zu stärken, haben sich die Länder im April bereits auf eine verbindliche Anzahl an Mathe- und Deutschstunden geeinigt. Die KMK hat jedoch noch weitere Pläne: Laut Schulz soll ab 2025 bundesweit zum Eintritt in die Grundschule der Leistungsstand aller Kinder erhoben werden – idealerweise schließt daran eine individuelle Förderung an.
Mehr frühe Bildung
Lehrerverbandschef Stefan Düll allerdings fordert eine verpflichtende Sprachförderung bereits vor der Einschulung, wie es bislang nur in einigen Ländern wie Hamburg der Fall ist. Die sei nötig, sagte Düll der taz, um auch in Mathe und in Naturwissenschaften von Klasse eins an „Erfolgserlebnisse“ haben zu können.
Bildungsforscher:innen wie Kai Maaz betonen schon länger, dass Kitas eine große Rolle beim Abbau der Chancenungleichheit spielen könnten – sofern sie personell besser ausgestattet würden. Eine ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung macht jedoch wenig Mut: An Kitas arbeiten demnach immer weniger Fachkräfte.
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