Linke Coronaleugner: Macht’s wieder gut, Genoss*innen!

Warum nimmt Corona bei manchen Linken einen so schweren Verlauf? Selbst die gute alte internationale Solidarität hat keine Chance.

Portrait einer italienischen Krankenschwester

Auf der Intensivstation statt im Debattierzirkel: eine Krankenschwester in Bergamo Foto: Antonio Calanni/ap/picture alliance

Zwei alte Freunde habe ich im letzten halben Jahr an Corona verloren. Sie erfreuen sich zwar noch bester Gesundheit – allerdings inzwischen ohne mich. Mit Freund 1, den ich seit 25 Jahren kannte, teilte ich im Grunde meine komplette linke Sozialisation: Endlose Plena im Uni-AStA, Blockaden in Gor­leben, ungezählte Demos und genüss­liche Ent­eignungen von allzu kapitalistischen Symbolen wie Mercedes­sternen oder Messingschilder schlagender Burschenschaften mit anschließender Feedbackrunde bei viel Bier.

Als ich zu Beginn des Lockdowns vorschlug, statt eines Treffens doch vorerst lieber zu telefonieren, erhielt ich von ihm folgende Nachricht: „das ist nur die instrumentalisierung eines normalen, alljährlichen virologischen geschehens, mit der alle zum mitspielen in einer gigantischen umstrukturierung gezwungen werden sollen. ich kann dich bei bedarf mit infomaterialen versorgen, falls du von deiner obrigkeits­hörigkeit abfallen möchtest. wünsche einen milden verlauf – oder besser, daß dein hirn virusresistent werde!“ Ich antwortete mit einem beherzten „Fick dich“ und warf ihn umgehend aus meinem Leben.

Freundin 2 bewegte sich seit jeher in avantgardistischen Politzirkeln und bezog ihre Informationen aus links­elitären Nischenpublikationen – was ich durchaus interessant und anregend fand. Und grundsätzlich waren wir uns einig in unserer Sicht auf die Welt. Doch auch bei ihr nahm Corona einen schweren Verlauf. Erst leugnete sie dessen Existenz, dann wähnte sie sich als Opfer einer Diktatur (die Belarussen hätten sicher Verständnis, dass ein Mundschutz eine deutlich größere Menschenrechtsverletzung darstellt als ein bisschen Haue von der Staatsmacht) und feierte irgendeinen Youtube-Schwurbel als alternative Wahrheit – weil ja „alle Medien selbstverständlich tendenziös und dubios“ seien. Was willste da noch sagen außer: Adieu?

Vielleicht eint alle, die sich weit über die eigene Bequemlichkeit hinaus engagieren, eine bis tief an die Seele rührende Erkenntnis der Welt als etwas Mangelhaftes, das es an verschiedenen Stellen zu flicken gilt. Wobei ich um Gottes willen nicht meine, dass politisches Bewusstsein lediglich einer persönlichen Meise geschuldet sein muss. Der Wille, sich für ein Ziel, das größer ist als man selbst, für ein larger than life, in die Bresche zu schmeißen, ist und bleibt ehrenwert, auch wenn er meist von den Beibooten Eitelkeit, Helfer­syndrom und Überheblichkeit flankiert wird – und ich nehme mich selbst da keinesfalls aus. Interessant ist aber, wie sich diese Anteile in der jeweiligen Persönlichkeit verteilen. Welche Module im jeweiligen Synapsen­geflecht dafür sorgen, dass der eine so weit in der Spur respektive bei den Fakten bleibt, während der andere in die unendlichen Parallelrealitäten driftet.

Rückzug ins Narrativ

Bei meinen beiden Verlusten hatten sich irgendwann im Leben wohl mal ein paar unverrückbare Überzeugungen ins Bewusstsein einbetoniert: Dem Staat ist grundsätzlich nicht zu trauen. Wenn in meinem Leben mal was nicht rund läuft, folgt das natürlich einem höheren Plan. Alles Arschlöcher außer ich. Und ob Katholik, K-Gruppe oder Verschwörungsfreund – wer einmal in sehr hermetischen Denkgebäuden heimisch war, für den ist der Wechsel von einem Apartment ins nächste leider nur ein kurzer Weg. Fakten, Quellen und Stringenz fliegen in hohem Bogen aus dem Fenster, die stören nur beim gemütlichen Rückzug allein aufs Narrativ. Natürlich möchte niemand für sich in Anspruch nehmen, eine Wurst zu sein, die von den komplexen Zusammenhängen dieser Welt kognitiv überfordert ist. Das hält die Seele nicht gut aus. Das Menschlein will halt Einigkeit, verstanden werden, sich ins Rudel kuscheln und gerne auch mal recht haben. Das wollen wir alle. Und auch mal ein bisschen wichtig sein. Am Rad der Weltgeschichte mitdrehen oder gar zur Elite gehören, die vor allen anderen kapiert hat, wie’s wirklich läuft.

So weit, so verständlich. Aber wenn das so weit geht, dass man, statt sich mit glasharten Fakten auseinanderzusetzen, sich in eine Weltverschwörung hineinfabuliert, in der auch der größten Abstrusität mehr Gewicht und Wahrheitsgehalt zugesprochen wird als einer Meldung vom RKI, dann spricht das zwar für einen beeindruckenden Reichtum an Fantasie, aber ganz sicher nicht für die Kompetenz, hier irgendwas zu reißen, was die Welt voranbringt. Selbsterhalt und En­dor­phin­ausschüttung sind Trumpf, wenn es gilt, das Gefühl der eigenen Wurstigkeit unter allen Umständen zu vermeiden.

Das, was Hannah Arendt „das Bekenntnis zur gemeinsamen Fiktion“ genannt hat. Die eigene Überhöhung als Speerspitze der Avantgarde – das fühlt sich natürlich ungleich geiler an als einfach nur ekelhaft staatsbürgerlich die Maßnahmen der Regierung ab­zunicken. Weil es mir Schlafschaf und Obrigkeitsknechtin halt an Vorstellungskraft mangelt, wie man eine ­Seuche besser in den Griff bekäme, ohne dass das komplette Land wirtschaftlich und demokratisch vollends in die Grütze geht. Unter meinen ehemaligen Freunden schießt das Adrenalin also in ungeahnte Höhen – nach langer Zeit der politischen Küchentisch­abende ist auf der Straße endlich mal wieder richtig was los: Es gilt Feinde zu bekämpfen, Kriege zu führen, Land­gewinne zu verzeichnen – und man selbst ist ganz vorne dabei. Ich-will-jetzt-so-fort-meine-Re-vo-lu-tion!, krakeelt es aus der Sandkiste, in der sich die ehemals linken Ehemalsfreunde inzwischen mit Nazis und Vollspinnern Eimerchen und Schaufel teilen.

Unter Menschen, die ich bis Anfang des Jahres also noch für gestandene Linke mit gut abgewogenen Ideal- als auch Pragmatismus gehalten hatte, hat die grundsätzliche Skepsis gegenüber Staatsorganen und Exekutive (die ich durchaus teile), dank Corona nun endgültig klinisch-paranoides Terrain erobert. Natürlich kann/darf/muss man jede einzelne Maßnahme genau betrachten, überprüfen, gegebenenfalls kritisieren und bisweilen auch laut dagegen anzetern. Und das ist ja auch ohne Einschränkungen möglich. Vor zwei Wochen demonstrierten Zehntausende gegen die Coronamaßnahmen der Regierung. Und ich erfuhr mit Schrecken, dass sich dort auch ehemalige Freunde tummelten.

Schwestern und Brüder in Brasilien

Leute, ihr findet also nichts dabei, Seit an Seit, die Reihen fest und infektiös geschlossen, mit Nazis, Reichsbürgern und ausgewiesenen Demokratiefeinden gegen eine angebliche Diktatur auf die Straße zu gehen? ­Deren Existenz sich allein schon dadurch negiert, dass ihr diesen Irrsinn überhaupt betreiben könnt, ohne ­größere Sanktionen befürchten zu müssen. Nicht euer Ernst, oder? Ich erlebe, wie Genoss*innen den Schwurbel von Ken Jebsen mit begeisterter Lese­empfehlung durch die sozialen Medien jagen und das immergleiche Lied von der Grippe, die weitaus schlimmer als Corona sei und die weitaus mehr Leben dahinraffe, chorisch mitgrölen. Und dabei neben frappierender Parallel­realität auch noch einen Egoismus an den Tag legen, dass es einer Sau graust.

Wo ist sie denn geblieben, die seit Jahrzehnten auf jeder Demo laut skandierte, internationale Solidarität? Und wenn sie schon nicht für Oma Else aus Sachsen-Anhalt gilt, der man vielleicht keine potenziellen Viren entgegen­rotzen sollte, dann doch wenigstens den unterprivilegierten schwarzen Schwestern und Brüdern in Brasilien, die unter dem faschistischen ­Bolsonaro-Regime zu Tausenden verrecken und sich mutmaßlicher nichts sehnlicher wünschen als die Maßnahmen in der „Meinungsdiktatur“ BRD?

Kann man sich nicht allein schon aus diesen Gründen mal kurz einen Staubsaugerfilter vor die Visage schnüren, um zu signalisieren: Hier geht’s um mehr als nur um meine eigene Bequemlichkeit? Wo allein die bereits ein zutiefst neoliberaler Markenkern ist, der sich unter Linken normalerweise schon von selbst verböte. Und ist es nicht ungleich viel aufwändiger, sich all diesen Schwurbelkram einigermaßen sinnhaft zusammenzubasteln, als sich einfach nur an Fakten zu halten? Die ihr ja keineswegs leugnet, wenn es um den Klima­wandel geht. Also, stellt eure Hirne gefälligst wieder auf die Vor-­Corona-Werkseinstellungen zurück! Denn Bekloppte gab’s auch vorher schon mehr als genug.

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