Nazis und Coronademos: Das „linke“ Aushalten

Wieso fällt einigen Linken nichts Besseres ein, als jene in Schutz zu nehmen, die Minderheiten unverhohlen auslöschen wollen?

Eine Menschenmenge protestiert an der Berliner Siegessäule

Antifaschismus kennt keine okayen Nazis Foto: Kay Nietfeld/dpa

Vergangenes Wochenende marschierten Zehntausende Rechtsextreme durch Berlin. Bitte? Zu undifferenziert? Um gleich zu Beginn Missverständnisse zu vermeiden: Jene, die tolerant bis jubelnd neben ausgewiesenen Nazis flanieren, können meinetwegen getrost ebenfalls als Nazis bezeichnet werden. Interessant war in diesem Zusammenhang eine spezifische Reaktion vom vermeintlich anderen Ende des politischen Spektrums.

Da tauchten tatsächlich Stimmen auf, die sich selbst als „links“ bezeichnen und die mit vollem Einsatz und großen Emotionen das Demonstrationsrecht für alle verteidigten. So im Sinne von: Ist nicht schön, muss man aber aushalten.

Auf sozialen Medien und in Kommentarforen ging es dabei wild durcheinander, schnallen Sie sich also an: Einige „Linke“ argumentierten beispielsweise, dass man sich nicht über Proteste in Beirut, Minsk oder Hongkong freuen und gleichzeitig den Nazis in Berlin das Recht auf freie Meinungsäußerung verweigern könne. Meinungsfreiheit, so die „linke“ Logik, könne nicht nach Meinungen sortiert werden. Berlin-Mitte sei schließlich für alle da.

Ein Herz für Rechtsextreme

Als sei Antisemitismus mit Ansage – inklusive Reichsflaggen, Hitlergrüßen und entsprechenden Verschwörungstheorien – eine legitime Meinung. Selbst das deutsche Gesetzbuch ist schlauer als so manche „linke“ Person in diesem Land und das sagt viel über den Zustand der deutschen Linken aus. Wenn die Mitläufer von Nazis auch Nazis sind, wie soll man eigentlich jene bezeichnen, die sich als Anwält*innen mit Herz für Rechtsextreme einsetzen?

Jaja, hier schwingt sie wieder, die sogenannte Nazi-Keule. Klar ist aber auch: Diese „Linken“ werden jene sein, die auf die Demokratie verweisen, sollte Beatrix von Storch irgendwann als Justizministerin vereidigt werden. Das „linke“ Skript dafür steht schon bereit: „Es ist nicht schön, dass die nun an der Macht sind, das Volk hat allerdings gesprochen und das Ergebnis müssen wir nun aushalten.“

Überhaupt: Anstatt sich mit Juden*Jüdinnen, Schwarzen Menschen, People of Color und Antifaschist*innen zu solidarisieren, fällt der Nazi-Positivity von „links“ nichts Besseres ein, als jene in Schutz zu nehmen, die Minderheiten unverhohlen auslöschen wollen. Mag sein, dass die verwirrte Coronaleugner*in aus Reutlingen ein wenig „linkes“ Mitleid hervorruft, Antifaschismus kennt aber keine okayen Nazis, die ruhig demonstrieren dürfen. Grundgesetz und Liebe reichen nun mal nicht aus, marginalisierte, rassifizierte und verletzbare Gruppen in diesem Land zu schützen.

Manche „Linke“ denken, sie seien Jesus und könnten mit einem Tweet Frieden herstellen und das Gute in den Menschen hervorbringen. Guess what? Wenn eines Tages die braune Justizministerin im und der Nazi-Mob vor dem Reichstag anfangen, ihre Agenda durchzuziehen, werden „Linke“ das aushalten. Im Namen von Meinungsfreiheit, Demokratie und dem Reichstag, auch bekannt als unser Haus.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

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