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Landrat will Kinder abschiebenAus der Pflegefamilie nach Vietnam

Im Herbst 2022 tötete ein Mann seine Frau in Schleswig-Holstein. Die Kinder kamen in Pflegefamilien und sollen nun nach Vietnam abgeschoben werden.

Wurde wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt: der Vater der drei Kinder (links) Foto: Axel Heimken/dpa

Hamburg taz | Nicht eine, sondern gleich zwei Familien drohen die vier Kinder im Kreis Ostholstein zu verlieren: Im Oktober letzten Jahres mussten sie mit ansehen, wie ihr Vater Van N. die Mutter in dem gemeinsamen Asia-Imbiss in Bad Schwartau totschlug. Kurz darauf wurden sie in unmittelbarer Nachbarschaft auf drei Pflegefamilien im schleswig-holsteinischen Ratekau aufgeteilt. Obwohl diese den Kindern im Alter von drei, vier, acht und 12 Jahren ein langfristiges Zuhause bieten wollen, will der Landrat sie nach Vietnam abschieben – zur Familie des Vaters.

Nachdem das Jugendamt die Angehörigen das erste Mal kontaktiert hatte, fand sich weder mütterlicher- noch väterlicherseits jemand, der die Kinder aufnehmen wollte, erzählt Matthias Steinebach der taz. Er ist derzeit der Pflegevater des dreijährigen Mädchens. Auf Drängen des Vater habe sich dessen Bruder lange Zeit später dann doch bereit erklärt. Zuerst habe er mit der Begründung abgelehnt, dass er selbst drei Kinder habe und ihm durch seinen Beruf als Lehrer so schon wenig Zeit für die Erziehung bliebe.

Laut Steinebach kennen die Kinder den Onkel nicht einmal. Der Pflegevater befürchtet nicht nur ein „kulturbedingtes Totschweigen des Traumas“, sondern sogar akute Lebensgefahr. „Schließlich ist der Vater in der Vergangenheit auch den Kindern gegenüber gewalttätig geworden“, weswegen die Mutter mehr als einmal im Frauenhaus gewesen sei.

Nachdem Van N. seine Frau in einem Streit vor den Augen der Kinder dann so sehr schlug, dass sie an inneren Blutungen starb, verurteilte das Landesgericht Lübeck ihn im Juli zu zehn Jahren Haft wegen Totschlags. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, der Mann habe Revision eingelegt, teilte ein Gerichtssprecher der taz mit.

Landrat hält Abschiebung für ungefährlich

Sollten die Kinder tatsächlich nach Vietnam zu seiner Familie abgeschoben werden, wären sie ihm nach Ende der Haftstrafe ausgeliefert. Steinebach ist besorgt: „Ich sag mal übertrieben: Die sind jetzt schon tot.“

Der Landrat des Kreises Ostholstein, Timo Gaarz, sieht indes keine Gefährdung bei einer sogenannten Rückführung. Nach Abstimmung unter anderen mit dem Jugendamt und der Ausländerbehörde, beruft man sich auf den in Artikel sechs des Grundgesetzes festgehaltenen besonderen Schutz der Familie. „Das ist unser oberstes Gebot“, sagt die Sprecherin des Landrates der taz. „Die Entscheidung wäre bei einer deutschen Familie nicht anders ausgefallen“.

Die Sprecherin bestätigt außerdem, dass auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) eine Rückführung als unbedenklich eingestuft hat. Als Teil der Vereinten Nationen hat die IOM die Umstände in Vietnam überprüft: unter Beachtung der „sozioökonomischen Situation der Familie, den Aufnahme- und Lebensbedingungen sowie den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung“, schreibt die Organisation.

Steinebach ist überzeugt, dass das Kindeswohl dabei keine Rolle gespielt habe. „Da ist für nichts gesorgt.“ Er befürchtet, dass die Kinder eine nachhaltige Bindungsunfähigkeit entwickeln, wenn sie das zweite Mal in kürzester Zeit ihre Familie verlieren. Schon jetzt leide ihr Ziehkind unter großen Verlustängsten. „Allein wenn meine Frau auf Toilette geht, fängt sie an zu weinen. Sie nennt uns ‚Mami und Papi‘.“

Drei der Kinder kennen Vietnam gar nicht

Damit die Kinder in ihren Pflegefamilien bleiben können, hat das Paar eine Petition auf der Webseite change.org gestartet. Bis jetzt haben schon mehr als 62.000 Menschen unterzeichnet. Auf der Webseite wird betont, wie integriert die Kinder hier mittlerweile seien. Mit Ausnahme der Zwölfjährigen kennen sie weder die vietnamesische Sprache noch das Land.

Das Mädchen stammt aus der ersten Ehe des Vaters, die ebenfalls wegen dessen Gewalttätigkeit in die Brüche gegangen sei, erzählt Steinebach weiter. Da sich die leibliche Mutter nicht kümmern könne, habe sie bei ihrer Oma in Vietnam gewohnt. Nach deren Tod sei die Zwölfjährige dann ein halbes Jahr vor der Tat des Vaters nach Deutschland gekommen. Sie könne nicht zurück, weil sie dort niemanden mehr habe – so habe das Mädchen Montagabend im Sozialausschuss im Rathaus Ratekau ihre Lage erklärt, sagt der Pflegevater ihrer Halbschwester.

Derweil findet es der Landrat des Kreises Ostholstein wichtiger, dass die Kinder in ihrem kulturellen Umfeld aufwachsen. Gaarz habe schon einen Antrag zur Genehmigung der Abschiebung beim Familiengericht gestellt, schreibt seine Sprecherin.

Ein bisschen Hoffnung bleibt den Pflegefamilien aber noch: Am heutigen Mittwoch kommen sie mit den zuständigen Behörden zusammen, um den Landrat zu überzeugen, dass den Kinder nur in Deutschland eine „würdevolle Zukunft“ garantiert sei – so heißt es in der Petition.

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20 Kommentare

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  • Soso , der Landrat.



    Butter bei die Fische: Parteilos ? Freier Wähler ? €DU ? FDP ? oder was ?

    Im übrigen ist er ja nur der Vorturner einer seit Jahrzehnten eingeübten, emotional verwahrlosten Verwaltung.



    Köpfe austauschen reicht nicht, es müssen die Täter im Gesetzes-/Befehlsnotstand und "Dabeigewesenen" weg von den Entscheidungsbefugnissen.

    • @frank:

      Durch Benutzung einer Suchmaschine ließ sich herausfinden, dass der Landrat CDU-Mitglied ist.

  • Entschuldigung, das ist doch keine Abschiebung. Die Kinder werden ja nicht aus ausländerrechtlichen Gründen "aus dem Land gebracht", sondern sollen zu einer Familie des familiären Umfeldes.



    Erstaunlich dass es die des Täters ist - aber wenn die Familie des Opfers nicht bereit ist, was soll man tun.

    • @Dr. McSchreck:

      Die Kinder kennen die "Familie" nicht. Können sich dort nicht mal verständigen!

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wie gesagt, wenn der Artikel von Abschiebung spricht, habe ich große Zweifel, was ich glauben soll.

  • Es wäre schön, wenn die Petition verlinkt wäre und ich mir die nicht lange suchen muß

  • Warum schiebt man nicht den Mörder in sein Heimatland ab statt die Kinder seine Tat ausbaden zu lassen!!??

    • @Katrina:

      Vermutlich weil ihn "das Landesgericht Lübeck ihn im Juli zu zehn Jahren Haft wegen Totschlags" verurteilt hat und er diese Strafe nun absitzt.

  • Man stelle sich den Fall in anderer Richtung vor.



    Ein deutsches Auswandererpaar in Vietnam, die Kinder in dortigen Pflegefamilien, ein hier lebender Onkel will die Kinder zurückholen.



    Der Aufschrei wäre mindestens genauso groß, wenn Vietnam die Kinder nicht rausrücken würde.



    Daher kann das einzige Argument der gewalttätige Vater sein. Würde der hier ausreichen, um dem Onkel das Sorgerrecht nicht zu übertragen? Also ganz unabhängig von Grenzen, die zu überwinden sind?



    Das ist die Frage, die Fachleute zu klären haben.

    • @Herma Huhn:

      "Der Aufschrei wäre mindestens genauso groß..."

      Auch da müsste das Kindeswohl im Vordergrund stehen. Und das sagt, abschieben in ein fremdes Land geht nicht.

    • @Herma Huhn:

      Die Geschichte muss lauten Der Onkel soll ungefragt die Kinder nehmen.

  • "wichtiger, dass die Kinder in ihrem kulturellen Umfeld aufwachsen."

    Glaubt der, Kultur ist angeboren und genetisch bedingt? Wenn ich das hier richtig verstehe, sind die Kinder in Deutschland aufgewachsen und damit größtenteils in deutscher Kultur.

    • @Martin Weber:

      Kultur-Essentialismus, bei dem sich dt. Biedermeier*innen und manch moderne Linksliberale leider die Hand reichen.

    • @Martin Weber:

      Der ist Finanzfachwirt, kennt sich also höchstens mit Zahlen aus.

  • Es ist zweifellos richtig, dass Verwandte bevorzugt mit der Sorge für die Kinder berücksichtigt werden. Das darf aber doch nicht ohne Rücksicht auf das Kindeswohl durchgeführt werden. Wenn wie im konkreten Fall zu den in Frage kommenden Verwandten praktisch kein Kontakt bestanden hat und es sich obendrein ausnahmslos um die Verwandten eines gewalttätigen Elternteils handelt, dann sind Pflegefamilien als Dauerlösung in Betracht zu ziehen, erst recht vor dem Hintergrund, dass die Kinder traumatisiert sind und sich dort bereits eingewöhnt haben. Ob der Vorrang eines gewalttätigen Vaters und seiner Blutsverwandtschaft im Ausland wirklich Inhalt des Art. 6 ist, müsste das BVerfG dringend klarstellen.

  • Es braucht also keinen Aiwanger mit Scheisse im Ranzen vor 35 Jahren.



    Der alltägliche Rassismus ist auch jenseits Bayerns aktueller den je.

    • @Tz-B:

      Was soll den das Ganze mit Rassissmus zu tun haben?

      Es geht um die Frage einer Rückführung. Rückführung im Sinne des Sorgerechts ist die Rückübertragung des Sorgerechts von der Pflegefamilie auf die leibliche Familie und zwar ganz unabhängig von Aufenthalt oder Staatsangehörigkeit.

      Im Sorgerecht gilt der grundsätzliche Vorzug der Familie.

      Mit Abschiebung hat das Ganze nichts zu tun. Für einen Antrag auf Abschiebung wäre das Familiengericht überhaupt nicht zuständig.

      Hier bleibt einfach abzuwarten, wie das Familiengericht die verschiedenen Faktoren im Sinne des Kindeswohls gewichtet. Die Auskunft der IOM dürfte dabei ein schweres Gewicht haben.

      Was ist daran also Rassismus?

  • Schwer zu durchschauender Fall. Möglicherweise zieht der Landrat die Familienzusammenführungskarte, weil es die Sache für die Behörde einfacher macht und man dann leicht sagen kann, aus den Augen, aus dem Sinn. Die Zwölfjährige will ja auch offenbar gar nicht zum Onkel. Was an den Befürchtungen des Pflegevaters dran ist, bliebe auch kritisch zu schauen. Traumatisch ist das für die Kinder auf alle Fälle und das Kindeswohl muss für alle Involvierten an oberster Stelle stehen.

  • Manchmal ist das Amtsschimmel unendlich grausam. Und die betreffenden Entscheider sind sich auch noch keiner Schuld bewusst.

    Furchtbar.

  • Kinder in ein Land abzuschieben, dass sie nicht kennen. Darauf muss man erst Mal kommen. Wie kalt können Menschen eigentlich sein?