Krise bei Volkswagen: Deutsche Wirtschaft auf Crash-Kurs
Während Kanzler und Finanzminister die deutsche Wirtschaft zu separaten Treffen einladen, spitzt sich die Lage bei VW zu. Drei Werke sollen schließen.
Nicht nur in Wolfsburg sprachen Betriebsratsvertreter*innen am Montag vor der Belegschaft. In allen zehn deutschen VW-Standorten gaben sie an die Werktätigen weiter, was sie zuvor von der Unternehmensspitze erfahren haben. Denn kein Werk soll laut den Plänen des Managements verschont bleiben. Die, die nicht geschlossen werden, sollen kleiner, schlanker, profitabler werden.
Betriebsratschefin Daniela Cavallo
Über die Pläne berichtete zunächst das Handelsblatt. Dass nicht die Konzernführung, sondern der Betriebsrat vor die Belegschaft trat, zeigt die angespannte Lage bei VW. So mahnte Cavallo: „Es ist der Vorstand, der hier alles angezündet hat. Und dann weggelaufen ist.“ Gleichzeitig lasse das Management „noch immer nicht den Hauch eines Zukunftsplans“ erkennen.
Bereits im September hatte der Autobauer wichtige Tarifverträge wie die seit drei Jahrzehnten bestehende Beschäftigungssicherung gekündigt. Auch Betriebsschließungen brachte er ins Spiel. Schon diese Ankündigung glich einem kleinen Erdbeben. Denn keine andere Marke steht für die deutsche Industrie wie VW. Mit einem weltweiten Umsatz von rund 322 Milliarden Euro und rund 120.000 Beschäftigten allein in Deutschland ist der Gesamtkonzern das größte Industrieunternehmen des Landes. Auch ist VW die beliebteste Automarke Deutschlands. Knapp 39.000 Fahrzeuge der Marke wurden allein im September neu zugelassen.
Problemkind E-Auto
Doch sind das 7,4 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der Konzern spürt, dass die Menschen weniger neue Autos kaufen. Vor allem das Geschäft mit den Elektroautos schwächelt, auch weil es an günstigen Modellen fehlt. Erst ab 2027 soll ein Modell in der Preisklasse um 20.000 Euro produziert werden.
Die Unternehmensführung spricht deshalb von rund 500.000 Autos, die VW zu wenig verkauft. „Nur wer erfolgreich wirtschaftet, kann auch sichere Arbeitsplätze anbieten“, verteidigt Finanzvorstand von Volkswagen Pkw, David Powels, die Kürzungspläne. „Um die dafür notwendigen Investitionen zu ermöglichen, muss allein die Marke Volkswagen Pkw im Jahr 2026 eine Rendite von 6,5 Prozent erwirtschaften.“
Die Krise des Autobauers wird vermutlich auch Thema bei den Gipfeltreffen sein, die diesen Dienstag in Berlin stattfinden. Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner haben dazu separat Industrievertreter*innen eingeladen. Während sich Scholz mit Vertretern von Industrie und Gewerkschaften trifft, empfängt Lindner unter anderem die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu einem eigenen Mittelstandsgipfel.
Die Lobbyisten werden dabei vor allem günstigere Energie fordern. „Eine zentrale Aufgabe für die Politik besteht darin, für die Breite der Unternehmen eine dauerhaft stabile wie wettbewerbsfähige Energieversorgung zu sichern“, sagte etwa DIHK-Präsident Peter Adrian der Rheinischen Post. BDI-Chef Siegfried Russwurm fordert schon länger eine Senkung von Stromsteuer und Netzentgelten.
Für beides offen zeigte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in seinem vergangene Woche vorgestellten Eckpunktepapier zur Stärkung der Wirtschaft. Denn neben wachsendem Protektionismus und verstärkter Konkurrenz aus China beklagt die exportorientierte Industrie vor allem auch im internationalen Vergleich zu hohe Energiepreise.
Arbeitskämpfe allerorten
Wirtschaftsexperten glauben jedoch kaum, dass von den kursierenden Vorschlägen noch etwas umgesetzt wird: „Ein bisschen ratlos macht einen die Flut an Wirtschaftsrettungs- und Wachstumsinitiativen, Wummsen oder Turbos schon – zumal Scholz’ Treffen sogleich vom Gegengipfel seines Finanzministers konterkariert wird“, sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Denn mit der Umsetzung auch nur irgendeiner dieser Ideen sei in dieser Legislatur kaum zu rechnen, weil über entscheidende Fragen kein Konsens herrsche.
Derweil gehen am Mittwoch die Tarifgespräche bei Volkswagen weiter. „Wir wollen Standorte, Auslastung und Beschäftigung langfristig absichern. Wenn die Chefetage den Abgesang Deutschlands einläuten will, muss sie mit einem Widerstand rechnen, den sie sich so nicht ausmalen kann“, kommentierte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger.
Dabei ist VW zwar das größte Industrieunternehmen, in dem die Tarifgespräche von Kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen überschatten sind, aber bei Weitem nicht das einzige. In weiten Teilen der Metall- und Elektroindustrie ist die Stimmung schlecht.
Auf die Forderung nach 7 Prozent mehr Gehalt einigte sich die Tarifkommission der IG Metall für die derzeit laufenden Flächentarifgespräche in der Branche – diese Hausmarke strebt die Gewerkschaft eigentlich auch bei VW an. Bei einer Umfrage der Gewerkschaft sprachen sich rund ein Drittel der befragten Branchenbeschäftigten für eine Forderung von 8 Prozent und mehr aus. Doch jede*r Zehnte hielt angesichts der offenbar prekären Lage maximal 4 Prozent für gerechtfertigt.
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