Konsum von Bier und Schnaps: „Alkohol muss hinterfragt werden“
In Schottland ist der Preis für Alkohol drastisch erhöht worden. Auch in Deutschland müsste das so sein, fordert Suchtexperte Peter Raiser.
taz am Wochenende: In Schottland gibt es seit dem 1. Mai einen Mindestpreis von 50 Pence (57 Cent) pro zehn Milliliter purem Alkohol. Braucht Deutschland so etwas auch?
Peter Raiser: Ja. In Deutschland haben wir die niedrigsten Preise und gleichzeitig mit die höchste Gesundheitsbelastung durch Alkoholkonsum. Man kann für 5 Euro eine Flasche Schnaps kaufen. Deren Verzehr ist für eine Person, die selten Alkohol trinkt, lebensbedrohlich. Uns sind seit 20 Jahren Studien bekannt, die zeigen, dass Alkoholsteuern gute Ergebnisse bei der Verringerung von Gesundheitsschäden erzielen. Deshalb sollten sie eingeführt werden.
Schweden ist bekannt für hohe Abgaben auf Alkohol. Dennoch sind dort rund 3,5 Prozent der Erwachsenen alkoholkrank. Reicht eine Steuer aus, um dem Problem beizukommen?
Die gesundheitsbezogenen Folgen sind in Schweden insgesamt wesentlich geringer als in Deutschland. Um das zu erreichen, muss eine Steuer jedoch in ein Bündel von Präventionsmaßnahmen eingebettet sein.
Was sind mögliche Maßnahmen?
In der Arbeit mit Betroffenen sind Aufklärung, Frühintervention und zielgruppengerechte Ansprache von Jugendlichen und Erwachsenen nötig. Vom Gesetzgeber erwarten wir neben einer Preiserhöhung auch, die Werbung für und die Verfügbarkeit von Alkohol stark einzuschränken. Fast nirgendwo sonst in Europa kann man sich wie in Deutschland rund um die Uhr mit Bier und Schnaps versorgen.
ist stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen und dort für das Referat „Grundsatzfragen“ zuständig.
Für viele in Deutschland gilt Alkohol als „Kulturgut“. Warum muss der Konsum dennoch eingeschränkt werden?
Natürlich gibt es viele, die nicht begeistert sind von solchen Einschränkungen. Jedoch sind 74.000 Todesfälle und 1,7 Millionen Abhängige in Deutschland real. Alkohol kann zudem zu anderen Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. In der Summe haben wir es – Kulturgut hin oder her – mit einer Belastung zu tun, deren Bekämpfung im gesellschaftlichen Interesse liegt.
Wenn Problem und Maßnahmen bekannt sind: Warum ist nicht längst mehr passiert?
Alkohol gilt, wie gesagt, eher als Kulturgut denn als Sucht- und Rauschmittel. Die Normalität von Alkohol in unserer Gesellschaft muss hinterfragt werden. Dann wäre der Boden für solche Maßnahmen sehr viel besser bereitet.
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