Kommunikation von Habeck und Scholz: Mehr Habeck wagen
Während Habeck für ein Handyvideo gefeiert wird, in dem er seine Politik erklärt, denkt Scholz immer noch, etwas Pathos im Bundestag würde ausreichen.
W etten, dass Robert Habeck die TV-Serie „Diener des Volkes“ gesehen hat? Darin spielt ein gewisser Wolodimir Selenski einen Geschichtslehrer, der unverhofft zum Präsidenten wird. Aus Konvention und Korruption befreit er sich durch: Authentizität. Weg mit der teuren Uhr, fort mit dem Redemanuskript, mit den Leuten reden, ihnen zuhören. Seinen Wahlerfolg hat dieser Geschichtslehrer übrigens einem Handyvideo zu verdanken.
Nicht nur Selenski nutzt diesen authentisch-emotionalen Kommunikationsstil erfolgreich, wenn er täglich Videos aus dem Alltag eines Präsidenten im Krieg postet. Auch Habeck hat am Mittwoch ein Handyvideo hochgeladen, in dem er seinen Gesinnungswandel bezüglich eines Importstopps für russisches Gas und Öl erklärt. Noch vor wenigen Wochen, so der hemdsärmelige Minister, habe er gedacht: „Oje“– ein Embargo werde Deutschland kaum aushalten. Heute aber halte er es für „handhabbar“.
In einfachen Worten legt der Wirtschafts-und Klimaminister dar, was er bis jetzt erreichen konnte – Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland von 35 auf 12 Prozent reduzieren – und warum der Rest noch dauern wird. Er sagt nicht: „Wir kriegen das hin“, doch nach dem Video hat man genau dieses Gefühl. X-fach schon wurde es geteilt, als Musterbeispiel gelungener Kommunikation. Es gibt sogar die ersten Ratgeber-Artikel: Wie lerne ich reden wie Robert Habeck?
Auch Olaf Scholz hat in den letzten Wochen einen beachtlichen Sinneswandel hingelegt: weg vom kategorischen Nein zur Lieferung schwerer Waffen, hin zu einem Bundestagsbeschluss, der genau dies bejaht. Scholz’ Kehrtwende ist folgerichtig: Extreme politische Weltlagen erfordern schnelles Umdenken. Doch anders als Habeck vermag es ausgerechnet der bundespolitische Profi Scholz nicht, sein Umschwenken nachvollziehbar zu machen: In der öffentlichen Wahrnehmung gilt der Kanzler als zaudernd – was auch seiner ungeschickten Kommunikation geschuldet ist.
Das persönlich Nahbare war noch nie Scholz’ Sache. Anders als Habeck, der im Fernsehen schon mal mit den Tränen kämpfte oder seine völlige Ratlosigkeit eingestand, hält sich Scholz auch im Kriegsfall eisern an das, was er in 47 Jahren SPD-Zugehörigkeit gelernt hat: Mehrheiten organisieren, an Beschlussvorlagen und Anträgen feilen. Zum Verkaufen muss hin und wieder ein Talkshow-Auftritt reichen, in dem er vorgefertigte Sätze unterbringt.
Ja, kürzlich schwang sich Scholz zu einer markigen Rede auf, beschwor eine „Zeitenwende“. Doch ein bisschen Pathos im Bundestag reicht nicht mehr. In Zeiten, die von Unsicherheit und Angst geprägt sind, müssen Politiker ihre Entscheidungswege offenlegen, auch ihre Zweifel und Dilemmata teilen. Wie Habeck, der zugibt: Ich habe auch nicht die Lösung im Ärmel, aber ich tue, was ich kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin