Kommentar Klimaschutz und Fliegen: Die Anti-Öko-Tugendwächter
Natürlich dürfen auch Klimaschützer fliegen. Es ging nie um ein Totalverbot, sondern um Maßhalten. Doch das begreifen die Rechten nicht.
G rünen-Chef Robert Habeck wurde von einem Hobby-Paparazzo am Flughafen „ertappt“, Parteifreund Cem Özdemir erntete für ein Weihnachtsfoto aus Südamerika einen Shitstorm, und die bayerische Grünen-Spitzenpolitikerin Katharina Schulze wurde wegen eines Fotos mit Eis (und Plastiklöffel!) aus Kalifornien durch die sozialen Medien gejagt. Und Luisa Neubauer, eine der Wortführerinnen von „Fridays for Future“, wurde für Instagram-Posts aus Tansania und Namibia angegiftet.
In der Tat fliegen Grünen-Sympathisanten relativ häufig – nämlich genauso oft wie die Anhänger der CDU/CSU. Das ergab eine 2016 durchgeführte Umfrage des Luftverkehr-Lobbyverbands BDL. Ausgerechnet die kerosinaffine FDP hat man in der Umfrage allerdings ausgelassen – man habe schlicht nicht genügend FDP-Wähler für repräsentative Umfragewerte gefunden, heißt es vom BDL-Pressesprecher auf Anfrage. Anderen das Fliegen vermiesen wollen, aber selbst munter um die Welt jetten – wie geht das zusammen? Alles grüne Doppelmoral?
Statistisch überrascht es nicht, dass Grünen-Wähler öfter fliegen als manch andere. Denn viele sind hochqualifizierte Gutverdiener – laut Umweltbundesamt genau die Bevölkerungsgruppe, die am häufigsten fliegt. Es ist zugleich diejenige Bevölkerungsgruppe, die oft auf Geschäftsreisen gehen muss – und daher ums Fliegen beruflich nicht herumkommt.
So statistisch normal die Grünen aber sind: Wie viel darf man fliegen, um nicht in den Shitstorm der antigrünen Sittenwächter zu geraten? Dass auch Umweltpolitiker das Flugzeug nutzen dürfen, sollte dabei grundsätzlich nicht infrage gestellt sein. Denn wie, außer vielleicht mit dem Tretboot nebst plastikfrei verpacktem veganem Bio-Proviant, sollte man sonst zum nächsten UN-Klimagipfel reisen? Wie sollten Spitzenpolitiker sonst ihren Beruf ausüben können, der eine Fülle an Terminen und Reisen mit sich bringt? Und wie sollten sie ihre Familie besuchen, wenn die am anderen Ende der Welt lebt – wie bei Cem Özdemir, der mit einer argentinischen Journalistin verheiratet ist? Dürfen Grüne ihre Familie nicht mehr sehen?
Oder wie Luisa Neubauer von Fridays for Future: In Tansania ging sie nicht auf Elefantenjagd oder chillte all-inclusive im Robinson-Club. Sondern sie half im Rahmen eines Austauschprojekts, Wasserleitungen zu verlegen. Müssen jetzt also alle Jugendaustausch-Projekte abgesagt werden, weil Klima-Aktivistinnen nicht mehr fliegen dürfen?
Es soll ja tatsächlich Jugendliche geben, die zuhören, wenn unsere größten Staatsmänner über das Leben nachdenken. Wie Altkanzler Helmut Schmidt, der an die junge Generation appellierte: „Reisen Sie gefälligst in der Welt herum! Und nicht nach Las Palmas oder ans Mittelmeer oder wo es sonst schöne Strände gibt. Reisen Sie in Länder, in denen man sich umsehen und etwas lernen kann! Man muss das ganze Leben lang reisen, wenn man es irgendwie kann.“ Oder wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Wie viele Menschen fällen Urteil, ohne zu sehen und zu verstehen? Zu viele, scheint es, leben wir doch in einer Welt voller Vorurteile, Unkenntnis und Missverständnisse.“ Nur Reisen könne Vorurteile abbauen.
Am gefährlichsten, so soll es Alexander von Humboldt gesagt haben, sind die Menschen, die die Welt nicht gesehen haben. Und wer nicht gerade sehr viel Zeit übrig hat, für den ist das Flugzeug das einzige Tor zu eben dieser Welt. Mehr Verständnis und Bewusstsein, wie es am anderen Ende der Welt wirklich ist, erwirbt nur derjenige, der selbst dagewesen war. Nun reist die junge Generation also, sie schaut hin, sie lernt – und dennoch sind sofort die selbsternannten Tugendwächter zur Stelle und überziehen sie mit Hass und Häme.
Klar: Fliegen ist klimaschädlich. Daher gilt es, Kurzstrecken mit der Bahn zurückzulegen, Fernreisen zu begrenzen und die unvermeidbaren Flüge mit Ausgleichsmaßnahmen über Portale wie Atmosfair zu kompensieren. Ein Verbot von Flugreisen hat keiner gefordert, auch Grünen und Klima-Aktivisten nicht. Selbst Klimaschützer braten gelegentlich einmal ein Steak oder fliegen in den Urlaub, und ja, sie tragen sogar Kleidung aus ganz normalen Läden und kaufen im regulären Supermarkt ein.
Es gibt kein Leben ohne CO2-Ausstoß, erst recht nicht in einem CO2-intensiven Wirtschaftssystem. Und die Besteuerung von Flugbenzin wird nicht dadurch falscher, dass jemand sie fordert, der selbst nach Nepal oder Namibia fliegt. Im Gegenteil: Für eine Besteuerung von Flügen zu plädieren, obwohl man selbst betroffen ist – das ist doch wenigstens einmal eine Politik, die nicht nur nach dem eigenen Vorteil giert, die nicht nur an sich denkt. Sondern eine Politik, die vom Einzelnen abstrahiert und eine nachhaltige Lösung für die ganze Gesellschaft sucht. Das wäre, als wenn die Partei mit den höchsten Einkommen und Vermögen sich für die Besteuerung der Reichen einsetzen würde. Die Spitzenverdiener-Partei FDP tut aber eben genau das Gegenteil und kämpft für Steuererleichterungen für die oberen Etagen der Gesellschaft. Oder, wenn die CSU das Ende des Ehegattensplittings fordern würde: das wäre richtig, träfe aber die eigene Kernwählerschaft.
Im Übrigen könnte man die CO2-Besteuerung auch sozial gerecht gestalten. Etwa, indem man das gewonnene Steueraufkommen aufkommensneutral verwendet, um beispielsweise eine Grundrente gegen Altersarmut einzuführen, das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder armer Eltern zu reformieren und den Grundfreibetrag für Menschen mit kleinen Löhnen zu erhöhen. Man könnte außerdem die Mehrwertsteuer auf Bahn und Bus reduzieren sowie den öffentlichen Nahverkehr verbilligen.
Darüber sollten wir uns streiten. Und nicht darüber, wohin Cem Özdemir in den Urlaub fährt.
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