Kommentar Halal darf nicht bio sein: Glückwunsch, fühlt euch besser!

Halal-Fleisch darf kein Bio-Siegel tragen, weil Schächten zu qualvoll sei. Heuchelei – denn auch bei Bio-Fleisch geht es ums Fressen statt ums Tierwohl.

Ein Schlachter schneidet ein Stück Fleisch ab

Schlachten ist brutal und qualvoll – ob halal, oder nicht Foto: reuters

Ein wenig überraschendes Urteil hat nun der EU-Gerichtshof gesprochen: Halal-Fleisch darf kein Bio-Siegel tragen, auch wenn die Tiere nach Bio-Kriterien aufgezogen wurden. Denn die Tötung per Schächtung widerspreche der Idee des Tierwohls, die für Bio-Fleisch wichtig sei.

Ich gratuliere zum Distinktionsgewinn! Wieder einmal hat sich damit eine hegemoniale Gruppe – die der Nicht-Juden und Nicht-Muslime – selbst bewiesen, dass sie etwas Besseres sei, indem sie sich von anderen abgrenzt. Pfui, diese Brutalos schächten Tiere!

Schächten, das ist das meist betäubungslose Durchschneiden der Halsschlagader mit einem einzigen scharfen Schnitt. Die europäischen Tierschutzgesetze schreiben jedoch eine Betäubung vor, und das klingt sanft und wundervoll. Die Betäubung, schreibt der EU-GH, bewirke beim Tier „eine Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit, mit der Schmerzen, Stress oder Leiden erheblich verringert würden“.

Gewiss: Die Tiere spüren kaum etwas mehr, SOBALD und SOFERN die Betäubung funktioniert – was bekanntermaßen weder bei Schweinen (der Elektroschock geht nicht tief genug), noch beim Geflügel (sie heben den Kopf aus dem Elektrobad), noch bei Rindern (Schädeldicke und optimaler Einschusswinkel variieren je nach Rasse) immer beim ersten Versuch der Fall ist.

Getrieben, niedergerungen und in Fließbänder eingehängt

Dennoch spüren die Tiere natürlich den Stress beim Transport, die Atmosphäre, Geräusche und Gerüche im Schlachthof. Sie werden mit Brettern oder Elektropaddeln getrieben, niedergerungen, in Metallrahmen fixiert, kopfüber in Fließbänder eingehängt. Sie erleiden VOR der Betäubung immense Angst und Stress und dann BEIM Akt der Betäubung selbst den Schmerz des Bolzenschusses, der ihren Kopf zertrümmert, Elektroschocks oder Erstickungsgefühle im Kohlendioxidschacht.

Die meisten Substantive der letzten Sätze kennt mein Rechtschreibprogramm übrigens nicht, wohl weil die meisten Fleischesser davon weder reden noch überhaupt wissen. Gewaltsames Töten – und genau das geschieht in einem Schlachthof – ist niemals harmlos, nicht angst- und schmerzfrei.

Einmal fragte mich eine Leserin, ob man Bio-Tiere nicht einfach durch Euthanasie-Spritzen töten könne…? Tja, dann aber wäre das Fleisch für den Menschen nicht mehr genießbar! Nein, um Schmerz, Leid und Angst führt kein Weg herum, und sie werden auch durch Betäubung nicht „erheblich“ verringert.

Doch schließlich geht es weder bei Bio-Fleisch noch bei Halal-Fleisch vorrangig ums Tierwohl, sondern schlicht ums menschliche Fressen. Um die anscheinend unstillbaren menschlichen Gelüste nach den toten Körpern anderer Wesen, obwohl wir um Umwelt-, Gesundheits- und ethische Konsequenzen wissen. Wenn man bei solch fragwürdigem Tun mit dem Finger auf andere zeigen und sich moralisch über sie erheben kann, umso besser.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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