Klimaaktivist über Lützerath: „Der Kampf ist nicht vorbei“
Klimaaktivist Marius hält es für einen Verdienst der Bewegung, beim Konflikt um Lützerath die Grünen entlarvt zu haben. Und wie geht es nun weiter?
taz: Marius, das Kohledorf Lützerath wurde geräumt – aber der Konflikt darum hat bis zu 35.000 Menschen auf die Straße gebracht, teils auch wortwörtlich auf die Barrikaden. War das für die Klimabewegung ein Erfolg oder nicht?
Marius: Zunächst mal: Mit der Zerstörung Lützeraths ist der Kampf nicht vorbei. Die Kohle kann und muss weiterhin im Boden bleiben. Und wir haben eine breitere Unterstützung für diesen Kampf als je zuvor. Ich glaube, dass sich in den letzten Wochen eine große Empörung in weiten Teilen der Bevölkerung aufgebaut hat. Vielen ist bewusst geworden, wie dreist sie hier belogen werden von „grünen“ Minister*innen, die im Alleingang Deals abschließen und von Versorgungssicherheit in der gegenwärtigen Situation sprechen. Renommierte Wissenschaftler*innen, die sonst eher vorsichtig sind, haben sich solidarisiert, international hat Deutschland sich vollkommen blamiert. Das ist ein riesiges Verdienst der Besetzung, die Politik so vorgeführt zu haben. Zu zeigen, dass echte Demokratie im Kapitalismus genauso unmöglich ist wie echter Klimaschutz.
Marius ist Mitglied des Kollektivs „Zucker im Tank“. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. Die Gruppe gibt Workshops für Klimaaktivist*innen, etwa „Lock-on-Aktionen“, Pressearbeit und Kleingruppenaktionen. Buch: Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie | Zucker im Tank (Hg.). 416 Seiten, 19,80 Euro.
Ihr Kollektiv hat im vergangenen Jahr das Buch „Glitzer im Kohlestaub“ herausgegeben, das die Geschichte der ökologischen Bewegungen analysiert. Können Sie daraus Schlüsse ziehen: Was funktioniert?
Der Widerstand gegen die Zerstörung des Hambacher Waldes, des „Hambi“, ist ein Paradebeispiel für das Zusammenspiel verschiedener Aktionsformen. Demos, direkte Blockaden mit Baumhäusern und Barrikaden, Waldspaziergänge, Unterstützungsarbeit von Bürgerinitiativen, Sabotage, Petitionen, ein Klageverfahren. Hier wurden wirklich alle Register gezogen.
Kommen denn die damit verbundenen verschiedenen Aktivist*innen miteinander klar?
Natürlich gab es Spannungen. Es fanden nicht immer alle Vertreter*innen der Bürger*innen-Initiative gut, was die Waldbesetzer*innen gemacht haben, und umgekehrt. Aber manchmal ist es notwendig, solche Widersprüche und Spannungen auszuhalten und sich nicht gleich voneinander zu distanzieren, im respektvollen Dialog miteinander zu bleiben. In unserem Buch beschreibt der Text zum Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ die gemeinsame Arbeit von Klimaaktivist*innen und Menschen, die für die Braunkohletagebaue zwangsumgesiedelt werden sollten. Es ist total spannend, wie Menschen mit einem sehr unterschiedlichen Hintergrund zusammenkommen und an einer ähnlichen Sache arbeiten.
Das war ja in Lützerath ähnlich. Trotzdem konnte das Dorf nicht gerettet werden.
Uns ist es nicht gelungen, den politischen Preis für eine Räumung so hoch zu treiben, dass diese unmöglich wurde. Aber es war schon beeindruckend, wie viele unterschiedliche Gruppen zusammengekommen sind, um sich zu widersetzen. Das hat die Klimabewegung insgesamt zusammenrücken lassen. Nach einer Orientierungsphase und Durststrecke der Klimabewegung leitet das hoffentlich wieder eine Phase des Aufschwungs ein.
In dem Buch geht es auch um Sabotage etwa von Kohlekraftwerken als Aktionsform. Das ist ja in der Bewegung und auch juristisch hoch umstritten …
… 2016 haben zum Beispiel Menschen im Tagebau Garzweiler ein Kabel entzündet. Das hat zu einem mehrtägigen Ausfall des Tagebaus von RWE geführt. Die Leute haben dann einen Brief veröffentlicht, in dem sie erklären, dass es ihnen wichtig war, keine Menschen zu gefährden. In diesem Kapitel versuchen die Autor*innen aber vor allem aufzuzeigen, dass dieser Betrieb des Tagebaus die eigentliche Form von Gewalt ist, weil sie zu der Zerstörung von Lebensgrundlagen von Menschen in vielen Teilen der Welt führt. Und dass deshalb mit diesen Sabotageaktionen eine direkte Intervention in den Ablauf stattgefunden hat.
Aktivist*innen erzählen anonymisiert auch Geschichten des Scheiterns. Trotzdem bleibt im Buch ein Ton der Ermutigung. Wie geht das?
Es können immer auch Lehren gezogen werden. Zum einen spielt überhaupt die Erfahrung einer Besetzung eine Rolle. Das Zusammenleben, das sich stark von der restlichen Gesellschaft unterscheidet, der politische Austausch, die Erfahrung von Räumung, die Polizeigewalt: All das festigt bei vielen den Wunsch, aktiv zu bleiben, und dient dem Bewegungsaufbau. Zum anderen hat sich zum Beispiel der Bau von Baumhäusern im Laufe der Zeit professionalisiert.
Die Bewegung sammelt also taktische Erfahrung – aber wann und wie kann sie erfolgreich sein?
Bisher hat es nicht funktioniert, einen grundlegenden Kurswechsel einzuleiten oder überhaupt die Diskussion darüber bei breiteren Teilen der Bevölkerung anzustoßen. Aber – und das ist ja eine weitere Grundthese des Buchs – ohne den Kapitalismus zu überwinden, werden wir die Klimakrise nicht eindämmen können. Deshalb stellt sich natürlich die Frage: Wie können wir darüber mit Menschen außerhalb unseres Netzwerks ins Gespräch kommen?
Warum heißt das Buch eigentlich „Glitzer im Kohlestaub“?
Einerseits spielt der Titel auf eine Praxis in Teilen der Klimabewegung an – nämlich bei der Aktion die Personalien zu verweigern. Dafür wird oft Glitzer auf die Fingerkuppen geklebt, damit keine Fingerabdrücke genommen werden können. Gleichzeitig sind die verschiedenen Aktionsformen, die im Buch geschildert werden, so etwas wie Glitzer im Kohlenstaub: Eine Möglichkeit, in der aktuellen, von Krisen durchsetzten Situation etwas Positives zu bewirken und Dinge zu verändern.
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