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Katholik über Kirche und Politik„Die Kirche muss sich einmischen“

Der katholische Theologe Thomas Söding hält die Kirche vom Ursprung her für politisch. Daher sollte sie Stellung in tagespolitischen Debatten beziehen.

Hier war die Basis weiter als die Kirchenleitung: Demo gegen den Auftritt eines AfD-Politikers beim Katholikentag 2018 in Müster Foto: dpa | Guido Kirchner
Interview von Quirin Knospe

taz: Herr Söding, hat die CDU-Politikerin Julia Klöckner recht: Ist die Kirche eine NGO?

Thomas Söding: Die Kirche ist tatsächlich von jeder Regierung unabhängig. Sie ist die Kirche. Hier bekommen der Gottesdienst und die Glaubensfragen einen Raum. Wir brauchen im politischen Feld keine Privilegien. Wir bringen aber aus dem christlichen Menschenbild unsere Auffassungen öffentlich und ohne Scheuklappen in den Diskurs ein.

taz: Muss die Kirche aber auch zwingend politisch sein?

Söding: Die Kirche ist von ihrem Ursprung her politisch, auch wenn sie nicht um der Politik willen gegründet worden ist. Diesen Auftrag nimmt sie wahr, immer in Kontakt mit den Herausforderungen der Zeit. Auf der einen Seite haben wir einen starken sozial-ethischen Anspruch. Auf der anderen Seite sind wir entschieden für die Freiheit des einzelnen Menschen, gerade dann, wenn es sich um vulnerables Leben handelt.

Bild: ZdK/Peter Bongard
Im Interview: Thomas Söding

69, ist Theologe und Vizepräsident des Zentral­komitees der deutschen Katholiken. Seit 2023 ist er Seniorprofessor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

taz: Haben die Kirchen deshalb Bundeskanzler Merz scharf für seine Migrations­politik kritisiert?

Söding: Das Thema Migration ist eines, bei dem es seit Jahrzehnten immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt. Wir verstehen, dass eine Regierung die Interessen einer Nation berücksichtigen muss. Die katholische Kirche ist jedoch eine Weltkirche. Deshalb ist der Horizont weiter. Wir müssen einen menschenrechtlichen Ansatz verfolgen und Migration und Integration zusammen denken. Dafür brauchen wir rechtsstaatliche und europafreundliche Lösungen. Migration als eine Bedrohung zu betrachten, halten wir für falsch und gefährlich.

taz: Wie angespannt ist das Verhältnis zwischen Politik und Kirche?

Söding: Eine Veränderung ist deutlich geworden. Auf der einen Seite sehen wir eine Krise der Kirche – zum Beispiel bei den Mitgliederzahlen. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Krise der Demokratie. Ich frage mich, ob es zwischen beidem nicht eine direkte Beziehung gibt. Unsere Gesellschaft braucht Kräfte, die Politik möglich machen – und der Politik eine Orientierung geben.

taz: Welche Kräfte?

Söding: Da sehe ich die Kirchen gefordert. Wir sind als Zentralkomitee, als Vertretung der katholischen Zivilgesellschaft, stark im politischen Raum unterwegs. Die Kirchen müssen ihre eigenen Problemen lösen. Aber auch öffentlich die Stimme erheben. Schwächer werdende Kirchen sind immer noch stark und die größten gesellschaftlichen Organisationen. Ich bin sehr dankbar, dass es diese Kontakte zur Politik, die Auseinandersetzung und ruhig auch mal den einen oder anderen Streit gibt.

taz: Sollte sich die Kirche in die Tagespolitik einmischen?

Söding: Ja, selbstverständlich muss sich die Kirche in die Tagespolitik einmischen. Die Kirche wird ja auch aufgefordert, zu tagesaktuellen Positionen Stellung zu beziehen. Sie darf sich von der Tagespolitik nur nicht auffressen und hetzen lassen. Sie muss immer die größeren Zusammenhänge darstellen. Meinungen haben viele. Wir aber brauchen Argumente, die sich auch im Konflikt bewähren. Komplexe Herausforderungen brauchen differenzierte Lösungen. Dafür die Räume zu schaffen, das ist in der Kultur, in der wir gegenwärtig leben, enorm wichtig. Wir wollen in der katholischen Kirche, möglichst verbunden mit unseren christlichen Geschwistern und ebenso mit dem Judentum und dem Islam, versuchen, Religion als einen Produktivfaktor für die Demokratie zu entwickeln.

Das Podiumsgespräch

„Wie politisch darf Kirche sein?“ mit Thomas Söding und der CDU-Politikerin Franziska Hoppermann, Mi, 16. 7., 19 Uhr, Katholische Akademie Hamburg, Herrengraben 4

taz: Wie verläuft der Diskurs innerhalb der Kirche?

Söding: Es gibt mehr als 20 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche und die haben natürlich unterschiedliche Auffassungen. Bei einem Punkt ist die katholische Kirche glasklar: Mit Rassismus, Rechtspopulismus und der AfD haben wir nichts zu tun. Sehr wahrscheinlich gibt es aber Mitglieder der katholischen Kirche, die solche Ansichten haben und solche Parteien wählen. Wir sehen darin einen fundamentalen Widerspruch. Wir sind für eine wertegeleitete Politik. Und der zentrale Wert, von dem wir immer ausgehen, ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde.

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4 Kommentare

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  • Danke, aber auf die Ratschläge von Anhängern irgendwelcher, Jahrhunderte alter Verschwörungserzählungen kann ich getrost verzichten, auch oder gerade dann, wenn sie eine Pseudo-Wissenschaft wie Theologie studiert haben.

    • @Flix:

      Von Pseudo-Wissenschaft kann keine Rede sein.



      Kirche, ums es mal einfach auszudrücken, ist Glaube. Glaube sagt aus, was sein soll, also welche Vorstellungen habe ich von der Welt. Im Christentum zentral ist da die Bibel. Diese ist eine Geschichtensammlung, zusammengetragen uber viele Jahrtausende. Betrachtet man sich diese Geschichten in ihrem zeitlichen Enstehungskontext, dann ist da eine Entwicklung erkennbar. Da gibt es z.B. das hohe Lied der Liebe, aus der jüngeren Enstehungsgeschichte. Aber genau darauf kommt es an, wie ich denke.

      Wissenschaft dagegen ist ein Abbild dessen, wie wir die Welt bisher erkannt haben.

      Um nochmal auf die Bibel zurückzukommen: es lohnt sich, sich diese Geschichten genau anzusehen, und zu interpretieren. Dabei muss immer der Entstehungskontext beachtet werden, auch die Art und Weise, wie sich Menschen damals versucht haben, auszudrücken. Da wird viel in Bildern gesprochen. Und bitte beachten: wer die Bibel wörtlich nimmt, ist zu faul zum Denken.

  • Jedem Menschen ist in seinem Glauben frei !



    Dazu braucht es keine Organisationen !



    Selbstverständlich werden die instituellen, organisierten Gemeinschaften ihre Lobbyisten auf die Politiker hetzen.



    www.lobbycontrol.de

    • @Alex_der_Wunderer:

      Kirche ist institutionell, organisiert, und mischt im politischen Geschehen mit, keine Frage. Und braucht es diese Organisation?

      Aus meiner Sicht ja, wenn es darum geht, zu diskutieren, wo wir als Gesellschaft hin wollen. Da kommt es auf jedes einzelne Mitglied an. Schon Martin Luther sah es als nötig an, dass jede/jeder einzelne Gläubige sich mit der Bibel beschäftigt und sie verstehen soll. Deshalb hat er sie ja auch übersetzt.

      Eine Kirche, die von oben vorgibt, wo es hinzugehen hat, brauche ich allerdings nicht, und wollte Luther damals auch nicht. Mitdenken muss schon jeder selbst.

      Wenn's denn auch so funktioniert, kann man die Gemeinschaft der Gläubigen als Lobbygruppe ansehen, aber als eine, die sich nichts von irgendjemandem einreden lässt.