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Israel, Nan Goldin und die LinkePolitische Spiritualität?

Alte Antiimperialisten und neue Postkoloniale. Was Nan Goldin, Michel Foucault und Lenin verbindet.

Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt: Nan Goldin und Michel Foucault Foto: Boness und imago

Der Blick in den Rückspiegel kann helfen, einen Crash zu vermeiden. Gerade, wenn man vielleicht erst kürzlich einen überstanden hat. Manche fahren aber auch betrunken weiter. So wie der antiisraelische Teil der Linken. Der will nicht reflektieren, wohin eine Melange aus moralischer Überheblichkeit und Geringschätzung demokratischer Gepflogenheiten führen kann.

Stattdessen werden Sprachen und Zielsetzungen des islamistischen Terrors häufig bagatellisiert, als handle es sich hier um die Taten unmündiger Minderjähriger. Für den selbstbezüglichen Glauben an die triumphale Stabilität des Westens besteht jedoch auch beim Blick auf dem Vormarsch der Russen in der Ukraine kein Anlass.

Verdrängt scheinen auch die großen Anschläge in Europa, in denen sich Islamisten wie aus dem Nichts gegen westliche Lebensart und Meinungsfreiheit richteten. Wie etwa im November 2015 in Paris gegen das Bataclan, Bars und das Stade de France. Oder wie kurz zuvor auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Oder wie in Berlin 2016 auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz.

Es ist kein Zufall, dass ein Schauplatz des von der Hamas am 7. 10. verübten Pogroms in Israel ausgerechnet ein Musikfestival war. Und immer noch verschanzt sich Hamas hinter der zivilen Struktur im Gazastreifen, gibt die vielleicht noch lebenden Geiseln nicht frei. Die zivilen Toten, die Zerstörung werfen sie hingegen als Opfer Israels vor die internationalen Kameras.

Putin gegen Europa

Veranstaltungshinweis: „Russlands Krieg – Europas Gegenwehr“. Über die Ukraine im dritten Kriegswinter diskutieren Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa und Grünen-Bundestagsabgeordneter Anton Hofreiter mit Andreas Fanizadeh. Taz Talk, in der taz Kantine in Berlin (Friedrichstr.21) am Dienstag, 3. 12. um 19 Uhr. Siehe auch Ankündigung auf taz.de.

Die zweite Front

Der Iran steht hinter Hamas und Hisbollah. Mit dem Angriff auf Israel haben sie neben der Ukraine eine zweite Front eröffnet, um die demokratischen Staaten zu schwächen. Wie Putins Russland kann auch Irans Mullah-Regime sich nur durch Terror-Export an der Macht halten. Putin hat die Ukraine für faschistisch erklärt. Das gleiche Spiel der Verdrehung betreiben die Feinde Israels im Nahen Osten. Es funktioniert ja auch. Wer denkt schon noch an die iranische Opposition, „Frau – Leben – Freiheit“?

Die Sprache des islamistischen Terrors ist eliminatorisch. Seit 9/11, dem Großangriff auf und in den USA, ist dies vielen Menschen bewusst. Dennoch glauben immer noch einige, die Angriffe seien die Strafe für westliche Verfehlungen. Doch Islamisten und Rechtsextremisten wie Putin handeln aus eigenen Überlegungen. Man kann keine positiven Veränderungen herbeiführen, in dem man sich ihnen unterwirft oder aufgibt.

Israel wurde am 7. 10. als Symbol dessen angegriffen, was seine Stärke ausmacht: als die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. Gefährlich für all jene, die es um­geben und diktatorisch regieren. Ganz ähnlich der auf Westkurs befindlichen Ukraine. Israel, der Westen, die Ausländer, sind das Ventil zur Triebabfuhr bei Unzufriedenheit von autokratisch Regierenden, nicht nur im islamischen Raum. Doch hier besonders. Mehr als ein kalter Frieden wie mit Ägypten und Jordanien war für Israel nie drin.

Eine Kultur der Freundschaft, die das Existenzrecht Israels auch gesellschaftlich anerkennt und ein Ende der antijüdischen Predigten mit einschlösse, Fehlanzeige.

Kunst und Agitation

Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen. Das müssten auch Künstlerinnen wie Nan Goldin verstehen, die anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung in Berlin gegen Israel agitierte.

Dabei sollte beim Blick in den Rückspiegel besonders die antiimperialistische Linke gewarnt sein. Nicht weit entfernt von völkischer Schwärmerei sah auch der französische Philosoph Michel Foucault eine neue „politische Spiritualität“ im Iran 1978/79 erwachsen.

Er war wie andere Neue Linke nach der ­gescheiterten kommunistischen Utopie auf der Suche nach einer neuen und traf auf ein „sozial­revolutionäres“ Schiitentum.

Die iranische Linke befand sich tatsächlich selber im fatalen Bündnis mit den Reli­giösen. Schiitenführer Chomeini hatte den regierenden Schah wirkmächtig als ausländische Mario­nette des Imperialismus markiert. Als wohlhabender Kleriker und Grundbesitzer wollte Chomeini selbst weder Landreform noch Frauenrechte akzeptieren.

Zionistische Agenten

Zur Durchsetzung seiner Theokratie befeuerte er einen anti­westlichen und antiisraelischen Kulturkampf. „Israel ist dagegen, dass in Iran die Gesetze des Korans gelten“, behauptete Chomeini 1963. „Israel benutzt seine Agenten in diesem Land, um den gegen ­Israel gerichteten Widerstand zu beseitigen.“ Den Krieg gegen den Irak bezeichnete er in den 1980ern als Durchgangsstation auf dem Weg nach Jerusalem.

Wie Foucault begrüßte ein Großteil der antiimperialistischen Linken die iranische Revolution von 1979. Die Zeitschrift Autonomie.Neue Folge, Sprachrohr der militant-antiimperialistischen Szene, sprach davon, dass auch bei einer Niederlage der Linken in Iran, „selbst der Sieg des Khomeiny-Regimes ein offenes Wiederanknüpfen dieses Landes an die Dispositive der Weltmacht auf absehbare Zeit ausschließen“ würde.

Mit bei Foucault entlehnter Rhetorik schrieb man, die kapitalistische „Logik des Weltmarktdispositivs“ sei damit entscheidend gestört. Und frohlockte, „das sich ohnedies terroristisch auf die Selbstvernichtung einstellende Israel wäre nicht mehr zu halten“.

In leicht modifiziertem Jargon reproduzierte die Neue Linke dabei Lenins Imperialismustheorie von 1916. In Kombination mit den völkisch-religiösen Mythen des sogenannten Befreiungsnationalismus der Anti- und Postkolonialen wird heute daraus ein besonders giftiger Cocktail, der die Propaganda gegen demokratische Verfassungen, Minderheiten und Menschenrechte naiv befördert.

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70 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen.

  • Chapeau, ein denkenswerter Artikel von einem Autor der in Diskussionen so schön streitbar und dennoch treffend argumentiert.

  • Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen.“

    Eine gute Zustandsbeschreibung der gegenwärtigen Verhältnisse in Israel, auch wenn es vom Autor wohl eher in einem anderen Zusammenhang gemeint war.

    Ebenso erstaunlich die Ansicht, daß Israels Stärke ausmacht die einzige "funktionierende" Demokratie im Nahen Osten zu sein. Da dürften einige innenpolitische Entwicklungen in Israel am Autor vorbeigegangen sein.

    Selbst eine Bundeseinrichtung wie die Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet Israel zurückhaltend als "fragile" Demokratie. Weit verbreitet ist auch der Begriff "dysfunktionale" Demokratie. Oder wie es die Philosophin Seyla Benhabib ausgedrückt hat, eine "ethnische und antiliberable" Demokratie. Besorgtere Stimmen wie Yuval Harari sehen Israel sogar geradewegs auf eine Diktatur zusteuern wie er im Interview mit der NZZ erklärte. Die gleichen Befürchtungen äußerte auch der israelische Völkerrechtler Theodor Meron gegenüber dem Spiegel.

  • Lese ehra Beiträge immer mit nachdenklichem Interesse.

    Teile der verwirrten Linken interessieren mich nicht so sehr. Über die bon schon als 68er Studie kopfschüttelnd zur Tagesordnung übergegangen.



    But.



    Über Foucault mußte ich doch a weng lachen



    Auf was wird spekuliert? Erinnerungsschwäche? Späte Geburt?



    Ok. Als a-Religiöser war Chomeni & seine Clique für mich von Anfang an - no go! But.



    Foucault war doch nur wenig später!



    Daran was aufhängen aber - sorry - kannste nix!



    & jetzt aber



    “Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen.“



    Stimmt - deswegen haben wir Kriegsverbrechen in Gaza zu konstatieren - ein Haftbefehl vs Bibi & Gallant!



    & btw -



    Und unsere Dr.jur.🇺🇸 mag ja insoweit richtig liegen: Raketenbestückte Drohnen mögen nicht geächtet sein! But!



    Anyway. Kriegsverbrechen lassen sich damit eben dennoch begehen • Wie auch anders!



    (Was einst für zB die 0/8 ebenfalls galt;((



    Hunderttausendfach reichte nicht ebenso wie Gas-Busse - die Firma Topf & Söhne wurde beauftragt!;((

    • @Lowandorder:

      Das auslösende Massaker an Israelis, insbesondere Israelinnen, durch Iran/Hamas vom 07.10.23 zu überspringen und zu ignorieren geht Ihnen ja locker von der Hand, Lowandorder. Ebenso die Iran/Hamas-Strategie Palästinenser:innen als Schutzschilde zu verwenden, somit die Opferzahlen hochzutreiben und dadurch politische Gewinne zu erzielen. Scheint ja auch bei Ihnen zu funktionieren.

      "Als a-Religiöser war Chomeni & seine Clique für mich von Anfang an - no go!"



      Doch dafür kriegen Sie meine volle Zustimmung.

      • @shantivanille:

        So so!! Ansonsten zum Rest: wie kommse denn auf das schmale Brett? But.



        Kriegsverbrechen lassen sich nicht rechtfertigen • Daher - die Haftbefehle.

        • @Lowandorder:

          Auf den Punkt gebracht!

        • @Lowandorder:

          Indem Sie den Iran als bewusst auslösenden Faktor bei der Anklage exkludieren, tun Sie aber genau das.

    • @Lowandorder:

      Danke für deinen Kommentar :)

  • Guter Artikel. Ich fürchte, dass die sowieso prekären demokratischen Verkehrs- und Vermittlungsformen zwischen dem "Islamo-Gauchismo" und dem Rechtspopulismus/Faschismus zerrieben werden.

  • ich glaube ich geh mir lieber Katzenvideos auf insta anschauen — ganz antiimp

  • Der "antiisraelische Teil der Linken" ist wie in Israel und im Rest der Welt selbstverständlich gegen Kriegsverbrechen, Rechtsextreme in Regierungen und tausenfaches Töten von Zivilisten. Ob nun von der Hamas oder der rechten israelischen Regierung.

    Mit derExistenz Israels hat das nichts zu tun und Antiisraelismus ist das schon gar nicht. Da wäre man ja übertragen ein antideutsch, wenn man gegen die AfD ist.

    • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin
      @Rudolf Fissner:

      „Der ,antiisraelische Teil der Linken’ ist wie in Israel und im Rest der Welt selbstverständlich gegen Kriegsverbrechen, Rechtsextreme in Regierungen und tausen[d]faches Töten von Zivilisten.“

      Echt? Wann etwa gedenken jene antiisraelischen Linken, öffentlich die unbedingte Freilassung der Geiseln und die konsequente Verfolgung rechtsextremer Islamisten zu fordern? Warum marschieren antiisraelische Linke mit roten Dreiecken und rufen zur Intifada (Einstaatenlösung mit Genozid) auf?

      • @Michaela Dudley:

        Wer nur in K-Gruppen, die niemand kenn, unterwegs ist, mag sich ihren Positionen sicherlich anschließen können. Die große Mehrheit der Linken von der SPD, Grüne, Linkspartei bis tief in die Antifa hinein wird bei solchen Vorwürfen nur verständnislos den Kopf schütteln. Applaus von den Fans der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Regierung Netanjahu ists solchen Vorwürfen nicht auszuschliessen..

      • @Michaela Dudley:

        Treffer, versenkt.

        Die Betrachtung von dem was in der realen Welt geschieht zeigt hier, dass Michaela Dudley Recht hat.

      • @Michaela Dudley:

        "rufen zur Intifada (Einstaatenlösung mit Genozid) auf"

        Eigenwillige Interpretation.

        Die Deutsche Welle umschreibt es folgendermaßen:

        "Als Intifada bezeichnen die Palästinenser den Aufstand gegen die israelische Besatzung in den Palästinensergebieten, also in Gaza, im Westjordanland und Ost-Jerusalem. Das arabische Wort bedeutet eigentlich "etwas abschütteln". Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt ist damit sowohl das lokale Aufbegehren einzelner Gruppen als auch die politisch organisierte Rebellion von Palästinensern gegen das israelische Militär gemeint"

        Ähnliche Darstellung auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung. Und auch Die e Zeit scheint den Begriff anders zu definieren. Artikel "Man muss es nicht Intifada nennen".

        Von "Einstaatenlösung" oder "Genozid" wird in sämtlichen Beiträgen im Zusammenhang mit dem Begriff Intifada nichts erwähnt.

        • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin
          @Sam Spade:

          Tolles Splaining. Der Stein des Anstoßes, wa? Spoiler: Die Etymologie des Begriffes „Intifada“ ist mir seit den 1980er Jahren hinlänglich bekannt. Die gängigen Euphemisierungen auch.

          Wo hat die Intifada jemals zum Frieden oder gar zur Demokratisierung einer Gesellschaft beigetragen?

          Infolge der Ersten Intifada entstand die Hamas. Die Zweite Intifada endete mit einem Waffenstillstand. Aber der 7. Oktober 2023 zeigte, was die islamistische Terrororganisation von Waffenstillständen hält.

        • @Sam Spade:

          Das ist aber die Konsequenz des „Abschüttelns“. Eine friedliche koexistenz zweier Staaten ist damit nämlich garantiert auch nicht gemeint.

  • So Manches ist zu bedenken,doch vergisst A. Faszinadeh,dass das Regime in Israel sich dem im Iran so weit anverwandelt hat, dass die jetzt Regierenden ankündigten,sie wollten eine theokratischen Staat wie im Iran bauen, nur auf Jüdisch. Ich kämpfe darum, dass die anti Imperialistische Kritik nicht dumm bleibt, sie muss dringend um die Kritik an corporate rule erweitert werden, die ja auch aus dem Süden mächtige Unternehmen eher herrschen läßt als auch bei uns die Demokratie, die wir aber für die Erde brauchen und für die Ökonomie, damit nicht mehr 2 ultra patriarchale theokratische Regime sich gegenseitig an der Macht halten können durch Krieg, wo ihre Bevölkerungen sich gegen sie erhoben hatten, vor allem die Frauen. Krieg presst das Patriarchat wieder in die Gesellschaften und wenn dann imperiale Interessen anderer mit spielen, wie eben USA und Russland, dann bleibt die imoerialistische Kritik erweitert auf alle anderen imperialen Aktöre (Iran, Türkei.) doch eine gültige Kritik. Israel aber als Demokratie zu loben klingt im Dauerkrieg doch eher wie ein Pfeifen im dunklen Keller.Zu fürchten ist,daß IranerInnen in der Disapora glauben,dass nur US Regimechange die Mullahs vertreibt

  • Ich war in der Ausstellung von Nan Goldin, die mittels Skandalisierung einen Hype erlebt. Alle Schauplätze überfüllt. Es muss ev. um eine Einlassbeschränkung nachgedacht werden. PR-technisch ein Erfolg. Eine böswillige Unterstellung, ob das absichtsvoll so inszeniert wurde.



    Unabhängig von meiner Einschätzung zur Person ist es bemerkenswert wie sich gerade die Queerszene von der Pro-Palästina-Bewegung vereinnahmen lässt. Wohl aus Sehnsucht nach Gleichbehandlung und Freiheit (ein auslegbarer Begriff, s. Coronaleugner). Das ist ja verständlich, nur irritiert bei der Suche nach Konfrontation die Wahl des Ortes. Würde Nan‘s Show mit an Darkrooms erinnernder Ästhetik in Gaza und Beirut gezeigt werden, hätte das eine ganz andere Schärfe. Als BDS-Befürworterin bleibt ihr Tel Aviv verwehrt, was ironischer Weise die einzige unter den drei Städten wäre, an der die erforderliche Toleranz existiert und eine Ausstellung namens This-Will-Not End-Well stattfinden könnte.



    Beeindruckend wie sehr Dogmen, freiwillige Selbstbeschränkung, die erwünschte Vermittlung von Botschaften behindern können.

  • Ich hatte erwartet, dass der Autor sich mit Goldin auseinandersetzt. Das tut er aber nicht.

    • @Francesco:

      Dafür liefert er einen interessanten Einblick in die Kontinuität des Denkens in der antiimperialistischen Linken.

      Ist ja auch was.

      Die Überschriften stammen in der taz, wenn ich das richtig verstanden habe, oft nicht von den Autoren selbst.

      Da wird man manchmal auf eine falsche Fährte geführt.

      • @rero:

        Danke. Was mich auch interessieren würde: Ein Einblick in das Denken der anderen Seite, der anti-deutschen Linken.

  • Der Artikel ist korrekt, aber unvollständig.



    Er blendet aus, dass der Westen mit seiner Lebensart zwar ein kulturelles Vorbild sein kann, aber mit seiner Wirtschaftsstruktur eben zu den Problemen beiträgt, die im Artikel beschrieben sind. Wir müssen endlich aufhören auf Kosten des globalen Südens zu leben. Dann ist zumindest ein gewisser Teil der Basis des Hasses auf den Westen verringert. Und der Westen hat dann auch eher wieder Glaubwürdigkeit im Bezug auf Einfordern der Menschenrechte und Demokratie.

    • @aujau:

      Die Hamas hat 700 Millionen im Ausland in Unternehmen angelegt.

      Arafat war Millionär, als er starb.

      Hamaschefs wiesen selbst auf die Möglichkeit hin, ein zweites Singapur sein zu können.

      Um ausgebeutet zu werden, brauchen die Palästinenser den Westen offenbar nicht.

      • @rero:

        Wie ich schon sagte, idealisiere ich auf keinen Fall irgendwelche Religionsfeudalisten wie Hamas und Co. Allerdings haben die ja nun vom Westen jede Menge Geld bekommen. Der Westen hat ein unseliges Talent, für seine kurzsichtigen Interessen die Falschen zu unterstützen

    • @aujau:

      Und die Wirtschaftsstruktur Chinas oder der Emirate ist da anders?

      • @Suryo:

        Nein, leider nicht. Allerdings hat der Westen darin eine längere Tradition und wird daher im globalen Süden noch mal anders wahrgenommen. Leider wird diese durch die Akteure China und Emirate nicht besser. Alles ziemlich doof.

        • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin
          @aujau:

          Der arabische Sklavenhandel florierte ein ganzes Millennium länger als der ohnehin brutale europäische Sklavenhandel. Für die Direktbetroffenen des islamistischen Imperialismus in Afrika, wie auch ihre Nachfolger:innen, ist es ein Schlag ins Gesicht, die generationenlange Unterdrückung zu ignorieren, die von Nicht-Weißen begangen wurde.

          Warum wollen manche Leute partout nicht wahrnehmen, dass weiße Europäer kein Monopol auf die systematische Menschenverachtung besitzen?

          • @Michaela Dudley:

            Für mich als weiße Person ist die Betrachtung des islamistischen Imperialismus und des Ausnutzens lokaler Gewalt- bzw. Hierarchietraditionen im Imperialismus als Entlastungsmoment sehr verlockend. Auf das Monopol darauf kann ich sehr gerne verzichten.



            Leider wird die Wirkung des europäischen Imperialismus davon nicht besser. Die Mentalität so einiger EuropäerInnen bzw. Weißen auch nicht.



            Was tatsächlich fehlt, ist Selbstkritik und wirkliche Konsequenz bei allen Sklavenhaltern, Sexisten, Heterosexisten, Religionsnationalisten, Kapitalisten und so weiter und so weiter und so weiter...

          • @Michaela Dudley:

            Es ist wenig sinnvoll, auf einen Forenbeitrag, von einem Forenbeitrag, in dem in wenigen Sätzen die Auswirkungen des hegemonialen Status quo thematisiert werden (übrigens mit dem klaren Hinweis darauf, dass die jeweils anderen keineswegs alle Lichtgestalten sind), zu erwarten, die Geschichte der Slaverei in den letzten 1000 Jahren mit zu denken. Im übrigen vermischen Sie ein weiteres Mal religiöse und ethnische Kategorien - "arabisch" ist nicht dasselbe wie "islamisch" (und nicht wenige Afrikaner selbst Muslime).

        • @aujau:

          Anders als in China oder den Emiraten sind im Westen aber Kritik und Protest möglich.

          • @Suryo:

            Sobald es um zivilen Ungehorsam z.B. bei Klimaschutz geht, ist da der Rahmen für Protest aber auch ziemlich schnell beengt, wenn die ach so tolle Wirtschaftsordnung ernsthaft in Frage gestellt wird.



            Diese Debatte wird noch auf uns zukommen.

    • @aujau:

      Leben wir auf Kosten des iranischen Volkes?

      Welches mehr und mehr verarmt. Das Volk hungert.

      Die Finanzierung der iranischen Stellvertreterarmeen Hamas, Hizbollah, Islamischer Jihad, Huthis und die bestens ausgerüsteten Revolutionären Garden kosten sehr, sehr viel Geld. Mehr als die Hälfte der iranischen Wirtschaft gehören den Mullahs.

      www.morgenpost.de/...r-der-Mullahs.html

      • @shantivanille:

        Ich idealisiere auf keinen Fall die Mullahs, sonstige Religionsfeudalisten und Gewaltkulturverbreiter. Dumm ist nur, dass auch die oft genug vom Westen mit Waffen und Geld versorgt wurden und ggf. immer noch werden.

  • Respekt. Richtig guter Artikel. Es gehört heutzutage eine Menge Mut dazu so etwas zu bringen.

    Foucault war klug genug schon bald einzusehen, dass diese "Revolution" nichts anderes war als das Eintauschen der einen Diktatur gegen eine andere.

    Einer gewissen Sorte von Linken ist diese Einsicht 45 Jahre später immer noch nicht gelungen. Wird auch nichts mehr. So sad!

    "In einem Artikel in Le Monde verteidigte er (Foucault) sich mit deutlichen Worten gegen die Mutmaßung seiner Kritiker, er heiße die islamische Revolution gut. Er hatte nichts zurückzunehmen: „Es gibt keinen Grund zu behaupten, man habe seine Meinung geändert“ – er meinte sich selbst –, „wenn man heute gegen das Abhacken von Händen ist und gestern gegen die Folter des Savak war“. Es war ihm immer nur darum gegangen zu beobachten und festzuhalten, dass sich im Iran Menschen „mit bloßen Händen“ gegen eine für sie unerträgliche Macht gewehrt hätten – ohne dass sich daraus ein linkes Revolutionsbild malen ließe oder das neue Regime zu rechtfertigen wäre."

    geschichtedergegen...nische-revolution/

    • @shantivanille:

      Ich glaube nicht, dass besonders viel Mut dazu gehört, Ansichten zu vertreten, die mit dem Habitus des Kritikers westliche Regierungspolitik verkaufen; dass – in diesem Fall westliche – Eliten ihren Kampf gegen geopolitische Gegner und interne Querulanten in moralische Windeln wickeln, ist ja nicht neu, auch wenn man heute einen zum bloßen Identitätsmarker verkommenen Liberalismus gegen das alt-heuchlerische Bekenntnis zu Gott und Vaterland eingetauscht hat. Der herrische Ton, in den solche Verlautbarungen aus dem Grand Hotel Abgrund vorgetragen werden, passt zu diesem Anspruch fragil gewordener Hegemonie: man diskutiert nicht, sondern man verurteilt – Selbstzweifel und Diskussionsbereitschaft sind da eher fehl am Platze.

      • @O.F.:

        " ... auch wenn man heute einen zum bloßen Identitätsmarker verkommenen Liberalismus gegen das alt-heuchlerische Bekenntnis zu Gott und Vaterland eingetauscht hat"

        Ich schließe mich @ Kohlrabi an -> geniale Formulierung! Vielen Dank dafür.

      • @O.F.:

        Zitat: " ... auch wenn man heute einen zum bloßen Identitätsmarker verkommenen Liberalismus gegen das alt-heuchlerische Bekenntnis zu Gott und Vaterland eingetauscht hat"

        Chapeau! Mancherorts wurde darauf hingewiesen, aber kaum jemandem ist eine solch prägnante Kurzfassung gelungen. - Wenn man vom "Westen" redet und damit nicht einen Entwicklungspfad oder eine strukturelle Ähnlichkeit meint, sondern ein geschichtliches Subjekt, ein großes vermeintliches "WIR", dann ist das auch nur eine identitäre Regression.

        Auch Ihrem früheren Kommentar kann ich zustimmen.

      • @O.F.:

        Wenn es etwas gibt, was die westliche Kultur auszeichnet, dann die Bereitschaft zur Selbstkritik. Wo finden Sie denn Selbstkritik in Russland, China, oder dem arabischen Raum?

        • @Suryo:

          Ihre Beiträge demonstrieren das Gegenteil. Sowohl hier als auch weiter oben ist ihre einzige Antwort auf Kritik am Westen "Aber die anderen!!!!!".



          Die anderen sind die anderen. Wir sind wir. Vielleicht sind die anderen tausendmal schlimmer und wir sind unter den Üblen noch die am wenigsten Üblen, aber selbst das überhebt uns nicht der Selbstkritik, die Sie in Ihrem Abwehrreflex jedes Mal sogleich abschmettern.

          • @Neuköllner:

            Im Gegenteil: die "Kritik" erschöpft sich in einem in vielen schönen Worten ausgedrückten "Aber der Westen!"

            Geben Sie mir ein einziges Beispiel für eine in Russland wirkmächtige Stimme, die öffentlich erklärt, dass Russland Fehler gemacht habe. Oder ein Beispiel aus China.

        • @Suryo:

          Jetzt müsste aus der Selbstkritik noch eine echte Konsequenz erfolgen.

        • @Suryo:

          Dass Sie Russland, China und "dem arabischen Raum" die Fähigkeit zur Selbstkritik absprechen, ist, nun ja, nicht ganz Vorteilsfrei und unterstreicht genau jenen verkappten Chauvenismus, den ich bereits kritisiert habe...

          • @O.F.:

            Geben Sie mir ein einziges Beispiel dafür, dass ein russischer Politiker - und zwar kein obskurer - erklärt, dass Russland Fehler gemacht habe und vielleicht nicht ganz unschuldig ist daran, dass es im Westen und nahen Ausland verhasst ist.

            Ihre Haltung - der Westen ist (mit)schuld, der Westen "differenziere" nicht, der Westen kritisiere sich nicht selbst - halte ich für unterkomplex. Zumal sie gleichzeitig anderen - Russland, China, arabischer Raum - implizit die Fähigkeit abspricht, selbst zu agieren. In Ihrem Weltbild können alle Nichtwestler offenbar immer nur auf den Westen reagieren, sie sind letztlich unselbstständig und unmündig.

            Echter Realismus, echte Differenzierung wäre es, anzuerkennen, dass andere auch ganz ohne den Westen Fehler machen und Böses tun können.

            • @Suryo:

              Sie merken, wie hier die Kategorien durcheinander geraten: ich habe vorher einem bestimmten Journalisten (und der von Ihm vertretenen Denkschule) die Selbstkritik abgesprochen; Sie haben dann plötzlich von Kulturen geredet und auf meinen Hinweis darauf, dass das pauschalisierend sind, dann von Politikern gesprochen: Sie vermischen Individuum, Kultur und Staat - und damit drei gänzlich verschiedene Fragen.



              Was Sie als "mein Weltbild" beschreiben, hat mit diesem übrigens wenig zu tun - und das ist auch so ein Problem: man arbeitet sich an Zerrbildern ab, ohne wirklich zu verstehen, was eigentlich gemeint wird.

  • Sicher nicht falsch. "Propaganda gegen demokratische Verfassungen, Minderheiten und Menschenrechte" allerdings kann die aktuelle israelische Regierung auch ganz gut selber produzieren. Ganz zu schweigen von den Toten in Gaza und jetzt Libanon.



    Was 'Linken' wie Goldin fehlt, ist der Wille sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Ohne wenigstens eine zweite Perspektive kann man ganz schnell zum anti-humanistischen Menschenfeind werden ohne es zu wollen.

    • @TV:

      Ich denke, Goldin ist zuerst eine Jüdin, die sich mit dem Judentum auseinandersetzt. Und damit eben auch mit Israel und dem Zionismus.

  • Ich gebe Andreas Fanizadeh in der Beurteilung des Irans und anderer Dschihadistischer Bewegungen zu hundert Prozent recht. Allerdings finde ich auch einen blinden Fleck in seiner Diagnose. Er schreibt:

    "Der Allmachts- und Gemeinschaftsanspruch von Religionen qua Geburt und Abstammung widerspricht dem Recht des Individuums auf Selbstbestimmung, behindert zudem territorial emanzipatorische Nationenbildungen sowie gute nachbarschaftliche Beziehungen."

    Das ist richtig. Wie verhält es sich dann aber mit dem Israelischen Nationalstaatsgesetz? Dort steht:

    "(a) Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes, in welchem der Staat Israel gegründet wurde. (b) Der Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes, in dem es sein natürliches, kulturelles, historisches und religiöses Recht auf Selbstbestimmung ausübt. (c) Die Verwirklichung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzig für das jüdische Volk."

    • @Klabauta:

      Es ging dem Autor um die antiimperialistische Linke in westlichen Ländern und ihren positiven Bezug zum eliminatorischen Islamismus.

      Da ist das kein blinder Fleck, sondern passt nicht so richtig rein.

      Würde er dazu was schreiben wollen, würde er das Abraham-Abkommen erwähnen, dass gute nachbarschaftliche Beziehungen in der Gesellschaft verankern wollte.

      Er würde ebenfalls anführen, dass trotz des Postulats, jüdische Heimstatt zu sein, arabische Israelis mehr politische Rechte genießen als die Staatsangehörigen sämtlicher benachbarter arabischer Staaten.

    • @Klabauta:

      "Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes"

      Auch die Palastinenser stammen vom jüdischen Volk ab.



      Das sagen zumindest wissenschaftliche Studien, laut denen Juden genetisch sehr eng mit Palästinensern, Syrern und Libanesen verwandt sind. Und diese Wurzeln haben sie über 4000 Jahre hinweg nahezu unverändert bewahrt.

      www.spektrum.de/ne...ne-abrahams/344049

      Was muslimisch Gläubigen im Nahen Osten von jüdisch Gläubigen unterscheidet ist allenfalls der Glaubenswechsel in der Zeit des Islams. Dem "jüdischen Volk" gehören in historisch-ethnischer Sicht beide Gruppen an. Vielleicht gehören die Palästinser dem jüdischen Volk sogar noch sehr viel mehr an als der Großteil der Bewohner Israels, die aus Europa eingewandert sind.

      Letzten Endes ist der Nahost-Konfliktalso konsequent gedacht ein Religionskrieg innerhalb des jüdischen Volkes

      • @Rudolf Fissner:

        Etwas gewagt. Auch in der Antike lebten in der römischen Provinz Iudaea nicht nur Juden.

      • @Rudolf Fissner:

        "Auch die Palastinenser stammen vom jüdischen Volk ab. "

        Nur glaube ich nicht, dass das so gemeint ist vom Nationalstaatsgesetz.



        Zudem ist dem "Volks"begriff mMn immer zu misstrauen.

    • @Klabauta:

      Ich wüsste gerne, was territorial emanzipatorische Nationenbildung sein soll. Wo wurde das verwirklicht?

      • @Francesco:

        Bravo, mit Ihrer Frage haben Sie eigentlich des Pudels Kern getroffen.



        „Emanzipatorische Nationenbildung“? Finde den Fehler/Widerspruch in dieser Formulierung.



        Und aus genau diesem Grund ist der Zionismus genau so einer kritischen Analyse zu unterziehen wie beispielsweise der palästinensische (Befreiungs-)Nationalismus - Nationalismus und Befreiung, auch so ein Widerspruch! - oder der Germano-Nationalismus.



        Wozu brauchen wir überhaupt Nationen? Wir sehen doch, wohin das führt.

      • @Francesco:

        Eigentlich müssten Sie das den Autor fragen :-)



        Da ich ihn aber zitiert habe, hier meine Interpretation:



        Beispiel wären für mich alle Staaten, die sich nicht über Religionszugehörigkeit oder Ethnie definieren, weil diese Definition zwangsläufig exkludierend ist. Deutschland wie es heute ist, also mit einem GG, das die Gleichheit seiner Bürger jenseits von Geschlecht, Religion etc. sicherstellt, wäre da kein schlechtes Beispiel.



        Eine Einstaatenlösung in Israel, in der palästinensische und jüdische Israelis auf den säkularen Prinzipien von Gleichberechtigung ohne Ansehen von Religion und Ethnie zusammenleben wäre aus meiner Sicht wünschenswert, aber zumindest zurzeit wohl leider eine Utopie

        • @Klabauta:

          Und der Nationalismus - als zentrale Triebkraft für Nationenbildung - ist weniger exkludierend als Religionszugehörigkeit?



          Die Entwicklungen in Israel (Nationalstaatsgesetz) zeigen doch genau das Gegenteil - wobei ich dabei den Zionismus als israelische Staatsdoktrin unter die nationalistischen Ideologien subsumiere.



          Jedenfalls alles keine Antworten auf die menschheitsbedrohenden Probleme des 21. Jhdts.

        • @Klabauta:

          Ein Grund für die Gründung Israels war, dass Juden als Minderheit nicht mehr auf Gedeih und Verderb (!) auf die Gnade der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung angewiesen sein wollten. Und deswegen ist für Israel die Sicherung einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit existentiell wichtig. Jeder Staat exkludiert Menschen, spätestens wenn man den falschen Pass oder gar keinen hat, ist man nicht dabei.

          • @Kai Ayadi:

            „Jeder Staat exkludiert Menschen, spätestens wenn man den falschen Pass oder gar keinen hat, ist man nicht dabei.“



            Das Problem an dieser Sichtweise ist allerdings, dass es für sehr viele Menschen auf dieser Erde existenziell bedrohlich sein kann, nicht „dabei“ zu sein, beispielsweise für die palästinensische Bevölkerung im WJL oder Fluchtmigranten auf dem Mittelmeer.

          • @Kai Ayadi:

            Der Unterschied zwischen der Exklusion anhand eines Passes, den jeder bekommen kann und der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religionsgemeinschaft, die angeboren ist macht eben den entscheidenden Unterschied zwischen modernen Nationalstaaten und rassistischen Ethnostaaten aus. Mit welchen Maßnahmen soll denn die Bevölkerungsmehrheit einer Ethnie gesichert werden? Euthanasie, Vertreibung, oder dadurch, dass der größte Teil der nicht erwünschten Ethnie in Bantustans gesperrt und ihm eine Staatsbürgerschaft verwehrt wird?

          • @Kai Ayadi:

            Dem ersten Teil Ihrer Antwort stimme ich zu. Allerdings scheinen 75 Jahre Wagenburg inmitten eines feindlichen Gebiets das Leben für alle Israelis nicht sicherer gemacht zu haben. Vielleicht sollte man es deshalb einmal anders versuchen. (Wie schon gesagt, eine Utopie)

            Ergänzend wäre noch zu erwähnen, dass die Unabhängigkeitserklärung von 1948 zwar Israel als die Heimstatt des jüdischen Volkes bezeichnet, aber allen - also auch nichtjüdischen - Bürgern des Staates gleiche Rechte zubilligt:

            "Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. Er wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen."

            Dieses Versprechen wird durch das Nationalstaatsgesetz relativiert.

  • Es hat noch niemandem dabei geholfen, einen Konflikt zu lösen, wenn man in festgefahrenen Kategorien und Begrifflichkeiten denkt und sich damit sein ganz eigenes Weltbild zusammenzimmert.







    Begriffe helfen uns, die Welt zu 'begreifen', uns darüber auszutauschen und die Welt zu ordnen. Unsere Begriffe sind aber immer nur Abstraktionen, von einer Wirklichkeit, die wir vermuten, aber nicht letztendlich begreifen können. Wer mit anderen, auch mit vermeintlichen oder echten Gegnern, nach gemeinsamen Lösungen suchen will, tut gut daran, seine eigenen kategorischen Begriffe zu hinterfragen und in Erwägung zu ziehen, dass die Welt vielleicht eine ganz andere ist, dass man sie aber zumindest immer ganz anders sehen kann.







    Das gilt auch im Israel-Palästina-Debatten für alle Seiten.

  • "Die Sprache des islamistischen Terrors ist eliminatorisch."

    Das ist ein entscheidender Satz, stellt er doch den eideutig rechten Urspung islamistischen Terrors bloß: Islamistischer Terror will die Gegenseite nicht verunsichern, er will sie letztlich vernichten. Das hat er mit Terror à la NSU gemein: Die Tode sollen keine "Botschaft" an die Lebenden sein, sie drücken einfach nur aus, was die Täter vom Lebensrecht ihrer Opfer halten. Wer das zu einer linken, defensiven ("anti-imperialistischen") Handlungsweise verklärt, bedient allenfalls die Hufeisentheoriker. "Die linke Sache" wirft er ein großes Stück zurück.

  • Der Artikel macht es sich allzu leicht – und das in einer gefährlichen Weise: weil er Hintergrunde von Extremismus und Gewalt sowie die Rolle des „Westens“ darin ausblendet („aus dem Nichts“ – ich bin mir nicht sicher, ob die Täter das auch so sehen würden), Konflikte miteinander verschmilzt, die nichts miteinander zu tun haben (es gibt keine „zweite Front“ – Hamas hat sich nicht Russland im Kampf gegen „den Westen“ angeschlossen, sondern beide haben aus jeweils spezifischen lokalen Gründe zur Gewalt gegriffen), und gleichzeitig linke Position verzerrt und ohne chronologische Einordnung widergibt. Das führt zu schiefen Analysen, sondern ein Weltbild, dem selbst etwas Extremistisches anhaftet, weil es Konflikte nur noch unterkomplex als Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei denken kann; die Ironie, dass sich die darin mitschwingende Endkampf-Mentalität gar nicht so sehr von der islamistischer Akteure unterscheidet, entgeht dem Autor vermutlich. Jede Ideologie hat ihre Heiligen Krieger. Und die sind immer beängstigend.

    • @O.F.:

      "Jede Ideologie hat ihre Heiligen Krieger. Und die sind immer beängstigend."

      Eben. Und deshalb ist eine Linke, die sich bei begannem Unrecht heiliger Krieger nicht stumpf in Nibelungetreue verliert nicht automatisch auf der Seite der andren heiligen Krieger.

      Neutrale Positionen quer zu den heiligen Kriegern und Falken auf den konträren Seiten, wo die Bennenung von Unrecht möglich, werden heutzutage immer schwieriger zu verteidigen.

      Die Positionierung für die Anliegen der Palästinenser gegen den Hamasterrot und gegen die Kriegsverbrechen der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung ist daher eine absolut valide und gute linke Haltung.

    • @O.F.:

      Sicher hat jede Ideologie ihre heiligen Krieger. Nur unterscheiden sich doch die Ideologien auf der inhaltlichen Ebene und es ist kein Zufall, dass der Islamismus heilige Krieger in rauen Mengen hervorbringt.



      Wogegen sich diese Ideologie richtet, geht bei ihnen völlig unter. Trotz der notwendigen Kritik an den Verwerfungen, die aus der Hegemonie des Westens resultieren, muss doch berücksichtigt werden, dass sich die antimoderne Rebellion nicht einfach gegen diese Hegemonie, sondern gerade gegen jene (vor allem westlichen) Institutionen richtet, die - bei allen Ambivalenzen - eine reale Verwirklichung von Freiheit bedeuten. Und in ihrem Kampf "gegen westliche Lebensart und Meinungsfreiheit" sind sich Putin und die Islamisten nicht unähnlich.



      Selbst ein "zum bloßen Identitätsmarker verkommene(r) Liberalismus" - mal angenommen, dass diese Einschätzung überhaupt zutrifft - wäre der Barbarei der Islamisten immer noch vorzuziehen, oder? Und eine Linke, die gar nicht mehr fähig ist auszumachen, dass es sich etwa beim islamistischen Kampf gegen die Ungläubigen um eine Form der Barbarei handelt, hat ein gewaltiges Problem mit ihrem Weltbild. Da ist das Grandhotel Abgrund schon weiter.

      • @Taugenichts:

        Es gibt keine "antimoderne Rebellion" - und in diesem emphatischen Sinne auch keine "Moderne". Das ist eine Ideologisierung von Epochenbegriffen, die die Möglichkeit einer tatsächlichen Analyse einzelner (!) Konflikte versperrt: die russische Führung kämpft nicht gegen "die Moderne" (zumal sich der russische Alltag vom westeuropäischen nicht besonders entscheidet), sondern ganz machiavellistisch um Einfluss-Sphären; die Radikalen in Gaza rebellieren nicht gegen ein abstraktes Konzept von Westlichkeit, sondern vor allem gegen Jahrzehnte von Entrechtung etc.; ob die islamische Welt mehr Heilige Krieger hervorbringt, weiss ich nicht (es mangelt ja auch hier nicht an Menschen, die meinen, den Rest der Welt nach westlichen Maßstäben umgestalten zu müssen - Sie sehen die Parallele?), aber wenn das so ist, dann hat das eher mit lokalen Lebensbedingungen und globalen Hegemonien zu tun: natürlich: es sind immer die Verlierer, die rebellieren - und genau hier liegt der Knackpunkt der von Ihnen postulierten Überlegenheit der westlichen Lebensweise: Sie blenden deren Opfer aus - darin würde ich allerdings auch ein gewaltiges Problem sehen.

        • @O.F.:

          Die russische Führung kämpft sicher um Einflusssphären, aber eben auch gegen die westliche Lebensart und liberale Freiheitsrechte, was man immer wieder ganz offen proklamiert. Dass Ihnen der entscheidende Unterschied zwischen dem russischen und dem westeuropäischen Alltag nicht sehr bedeutsam vorkommt, verweist gerade auf den Kern des Problems: in Russland gibt es bestimmte Freiheitsrechte nicht, dort werden Sie für Kritik am Angriffskrieg auf die Ukraine verhaftet.



          Dass „die Radikalen in Gaza (…) vor allem gegen Jahrzehnte von Entrechtung etc.“ rebellieren, bezweifle ich. Die Hamas spricht in ihrer Charta von ihrem "Kampf mit den Juden" und bezieht sich auf die "Protokolle der Weisen von Zion", aber gerade in jenem Teil der Linken, den dieser Artikel kritisiert, gehört es wohl inzwischen zum guten Ton eine Bande von antisemitischen Fanatikern als antikoloniale Widerstandskämpfer zu sehen.



          Von der "islamischen Welt" war in meinem Kommentar gar nicht die Rede, sondern vom Islamismus. Und wo ich die Opfer des Westens ausblende, müssen Sie mir noch mal zeigen, ich spreche ja explizit von einer "notwendigen Kritik an den Verwerfungen, die aus der Hegemonie des Westens resultieren".

          • @Taugenichts:

            Sie vermischen Motive und Propaganda. Wenn ich das überspitzt formulieren darf: die russische Führung ist doch nicht in die Ukraine einmarschiert, um gegen die Homoehe in Westeuropa zu kämpfen. Die ganze Kulturkamofrhetorik ist - in Ost wie in West - Verpackung für Interessenkonflikte. Ich weise übrigens darauf hin, dass ich von Alltag gesprochen habe: dass die Grenzen für Dissens in Russland enger sind als im Westen, habe ich gar nicht bestritten - aber der Durchschnittsrusse ist weder Journalist noch Aktivist. Der lebt ein Leben, dass sich von unserem kaum unterscheidet.



            Ähnliches gilt für Gaza: Hamas wurde als Widerstandsorganisation gegen die israelische Besatzung gegründet (das ist keine Frage des Tons, sondern einfach historischer Fakt) - d.h. als Reaktion auf eine konkrete lokale Situation, nicht als Revolte gegen die Moderne.



            Genau dieses Konkrete, Situative wird ausgeblendet, wenn man Konflikte nur als metaphysisches Ringen deutet; daran ändert sich nichts, wenn man doch zugesteht, dass der Westen auch Fehler begangen hat - weil diese in diesem Denkmodell nicht mehr als ursächlich verstanden werden (können/sollen).