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Internationaler StrafgerichtshofEin Haftbefehl und seine Folgen

Der IStGH erlässt einen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Käme er nach Deutschland, stünde die Bundesregierung vor einem Dilemma.

Außenministerin Annalena Baerbock und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einem Treffen in Jerusalem Foto: Thomas Koehler/imago

Der Besuch begann spät und war schnell wieder vorbei. An einem Donnerstag im März, es war schon nach Mitternacht, landete Benjamin Netanjahu in Berlin. Nach Sonnenaufgang absolvierte er drei Termine: Erst besuchte er ein Holocaust-Mahnmal weit im Westen der Hauptstadt. Dann sprach er mit Bundeskanzler Scholz im Kanzleramt, anschließend traf er Bundespräsident Steinmeier. Am Abend war er dann schon wieder weg.

War es der letzte Deutschland-Besuch des israelischen Ministerpräsidenten für lange Zeit? Der Bundesregierung wäre es sicherlich recht, wenn sich der Gast so schnell nicht wieder ankündigt. Seit Donnerstag dieser Woche steht fest: Neue Reisepläne würden sie vor ein Dilemma stellen.

In Den Haag hat eine Vorprüfungskammer des Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) Haftbefehle gegen Netanjahu, ebenso wie gegen seinen Ex-Verteidigungsminister Joav Galant und den Hamas-Militärchef Mohammed Deif erlassen. Letzteren hat Israel für tot erklärt. Die Haftbefehle gegen die beiden Israelis stützen sich auf zwei Vorwürfe, für die auf Grundlage des vom Ankläger vorgelegten Materials ein ausreichender Tatverdacht bestehe.

wochentaz

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Zum einen seien die israelischen Politiker für Kriegsverbrechen im Gazakrieg verantwortlich. Vorgeworfen wird ihnen, dass Israel die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln, Wasser, Energie und Medizin behindere. Es gebe keine militärischen Gründe, warum internationale Hilfsorganisationen bei der Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung beeinträchtigt werden.

Zum anderen werden Netanjahu und Galant Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Die Unterernährung der Bevölkerung führe zum Tod von Menschen, einschließlich Kindern, was als Mord zu bewerten sei. Dass Ärzte wegen des Energiemangels ohne Narkose operieren und amputieren müssen, könne als unmenschlicher Akt bewertet werden. Für den Vorwurf, dass die Bevölkerung Gazas „ausgelöscht“ werden soll, sahen die Richter allerdings nicht genügend Indizien.

Orbán lädt Netanjahu demonstrativ nach Budapest ein

Die Vertragsstaaten des Gerichts, inklusive Deutschland, sind nun grundsätzlich verpflichtet, Netanjahu, Galant und Deif zu verhaften, wenn sie das jeweilige Staatsgebiet betreten. Das wäre auch Voraussetzung für eine mündliche Verhandlung vor dem IStGH und für eine mögliche Verurteilung. Aber wäre die Bundesregierung im Falle der Israelis zu solchen Verhaftungen bereit?

Fast 24 Stunden benötigte sie allein schon bis zu einer ersten öffentlichen Reaktion auf die Entscheidung aus Den Haag. Andere waren schneller. Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán zum Beispiel kritisierte die Entscheidung scharf und lud Netanjahu demonstrativ nach Budapest ein. „Wir werden den Haftbefehl ablehnen, wenn er die Einladung annimmt“, sagte er. Komplett anders will es unter anderem die niederländische Regierung handhaben. Sie kündigte an: Wenn Netanjahu niederländischen Boden betritt, wird er verhaftet.

Für Deutschland ist die Situation besonders heikel. Einerseits gilt die Unterstützung Israels als deutsche Staatsräson, also als eine fundamentale politische Verpflichtung. Andererseits war Deutschland stets einer der wichtigsten Unterstützer des IStGH und kann daher dessen Entscheidungen nicht einfach ignorieren.

Sinngemäß steht das auch in einer Erklärung, die Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitagvormittag veröffentlichte. Und weiter: „Die innerstaatlichen Schritte werden wir gewissenhaft prüfen.“

Eine halbe Stunde später, auf der turnusmäßig stattfindenden Regierungspressekonferenz in Berlin, gab Hebestreit auf Nachfrage nur einen knappen Ausblick darauf, wie diese Prüfung ausgehen könnte. „Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland durchführen“, sagte er mit Blick auf die Haftbefehle. Ansonsten hielten er und seine Kollegen aus den übrigen betroffenen Ministerien sich bedeckt.

Ob Netanjahu weiter in Deutschland willkommen ist? „Über Reisepläne des israelischen Ministerpräsidenten ist mir nichts bekannt.“ Ob deutsche Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen ihn weiterhin in Israel besuchen? „Da kann ich hier keine generelle Aussage treffen.“ Und was genau will die Bundesregierung jetzt eigentlich prüfen? „Das kann ich hier nicht genauer ausführen. Aber es ist natürlich etwas, das unter Juristen in Deutschland nicht unumstritten ist.“

Den Haftbefehl gegen Putin begrüßte Deutschland

Um die Zuständigkeit des IStGH geht es wohl nicht. Israel selbst stellt sie zwar grundsätzlich infrage, weil es dem zugrundeliegenden völkerrechtlichen Vertrag, dem Römischen Statut, nicht beigetreten ist. Palästina hat das Statut aber 2016 ratifiziert und der Gerichtshof entschied deshalb schon 2021, dass er für Straftaten auf palästinensischem Boden oder durch Palästinenser zuständig ist.

Umstritten ist allerdings, ob dies auch für Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister gilt. Grundsätzlich genießen diese völkerrechtliche Immunität – das heißt, sie können von anderen Staaten grundsätzlich nicht festgenommen werden. Damit soll der diplomatische Verkehr geschützt werden.

Im Römischen Statut ist zwar geregelt, dass die Immunität nicht gilt, wenn einem Staatsoberhaupt oder Regierungschef Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden.

Es ist aber immer noch umstritten, ob diese Durchbrechung der Immunität nur für Politiker der 124 Vertragsstaaten gilt oder für alle Staats- und Regierungschefs weltweit. Nach Auffassung des IStGH gilt Letzteres. Das Gericht argumentiert mit dem Völkergewohnheitsrecht. Nur deshalb war es ihm auch möglich, 2023 gegen Wladimir Putin einen Haftbefehl wegen verschleppter ukrainischer Kinder zu erlassen – eine Entscheidung, die die Bundesregierung begrüßte.

Manche Völkerrechtler wie der Wiesbadener Rechtsprofessor Matthias Friehe halten diese Argumentation allerdings für falsch. Da noch nie ein amtierendes Staatsoberhaupt nach Den Haag ausgeliefert wurde, könne es gar kein Völkergewohnheitsrecht geben.

Welcher Argumentation sich die Bundesregierung diesmal anschließt, könnte Gegenstand der laufenden Prüfung sein. Wie lange sie dafür noch braucht, nachdem die Haftbefehle doch schon vor Monaten in Den Haag beantragt worden waren? „Das wird sicherlich nicht innerhalb von wenigen Tagen passieren, aber es wird auch nicht ewig dauern“, sagte Regierungssprecher Hebestreit am Freitag. „Und dazwischen werden wir uns dann äußern müssen und äußern wollen.“

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20 Kommentare

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  • "Einerseits gilt die Unterstützung Israels als deutsche Staatsräson, also als eine fundamentale politische Verpflichtung."- Politische Verpflichtung nicht Gesetz! Was aber im Grundgesetz steht ist die Verpflichtung zu UNIVERSELLEN Menschenrechten und dem Völkerrecht!!! Und die Römischen Statuten sind auch nicht nur eine politische Verpflichtung, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag.



    Das dies in Dtl überhaupt diskussionswürdig ist zeigt mir das man scheinbar die falschen Lehren aus der Geschichte gezogen hat. Der Schutz sollte nicht nur dem jüdischen Volk gelten, sondern allen Menschen die Verfolgung, Vertreibung, Mord bzw. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord ausgesetzt sind. Nie wieder gilt für alle Menschen. Ein Volk schützen zu wollen indem man den Regierungschef eines Landes vor Strafverfolgung schützt, auch noch jemand der einer rechten/ rechtsradikalen Regierung vorsteht, kann doch nicht die Lehre aus der Geschichte sein, genauso wenig wie seit Jahrzehnten ein Land zu schützen indem man Völkerrechtsverstöße u. Menschenrechtsverletzungen gegen ein anderes Volk ignoriert.

  • Allein die Debatte darüber ist unerträglich. Wie kann man überhaupt über Tage erwägen, eingegangene völkerrechtliche Verpflichtungen je nach politischer Wetterlage umzusetzen? Dann hätte man es mit dem IStGH ganz bleiben lassen sollen. Das hat doch nun wirklich überhaupt nichts mehr mit unserer Freunschaft zur israelischen Bevölkerung zu tun. Selbst namhafte Israelis drängen die deutsche Regierung doch seit Monaten, Netanjahu in den Arm zu fallen, der in seiner Koalition von Verrückten wie Itamar Ben-Gvir mit eigener Miliz eingekesselt ist und selbst weit rechts vom Rechtsstaat steht.

  • Wie durchsichtig und gleichzeitig falsch die ganze Chose ist, analysiert der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen Daniel Neumann:

    "Anders ausgedrückt: Wenn manche diesem Recht unterworfen sind und andere nicht, dann ist die wesentlichste Eigenschaft des internationalen Rechts angekratzt: die allgemeine und gleiche Geltung und Anwendbarkeit des Rechts. Für alle, immer und überall."

    "Denn wie kann »Palästina« Mitglied des Gerichtshofs sein, wo es doch gar kein »Palästina« gibt? Jedenfalls keinen Staat Palästina."

    "...und das die Funktionsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Justiz immer wieder dadurch bewiesen hat, dass es in der Vergangenheit konsequent selbst gegen höchste Amtsträger vorgegangen ist und sogar Ministerpräsidenten, Staatspräsidenten oder Oberrabbiner hinter Gitter gebracht hat, dass also dieses Land und sein Gerichtswesen nicht in der Lage oder willens wären, all die Entscheidungen rund um den Gazakrieg zu gegebener Zeit juristisch zu bearbeiten, ist infam."

    www.juedische-allg...strafgerichtshofs/

    • @Jim Hawkins:

      Falscher geht es kaum. Es schmerzt allmählich in den Kommentarspalten derartige "Propagandaaussagen" kontinuierlich serviert zu bekommen. Deshalb eine kurze Erläuterung.

      Der Beschluss der Vorverfahrenskammer des IStGH aus dem Jahre 2021 bezieht sich auf die Zuständigkeit für die Gebiete Gazastreifen und Westjordanland. Von Palästina ist in dem Beschluss nicht die Rede.

      Aus dieser Zuständigkeit ergibt sich auch das Recht Verfahren einzuleiten für mutmaßliche Kriegsverbrechen auf diesen Gebieten.

      Damit hat die israelische Justiz rein gar nichts zu tun, schon aus dem Grunde da sie die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht anerkennt. Es liegt aber im Ermessen der israelischen Justiz in diesen Angelegenheiten selbstständige Ermittlungen durchzuführen. Daran hindert sie keiner.

  • D.h. wenn Putin auf Sylt Urlaub machen möchte, dann könnte er daran nicht gehindert werden, weil er wahrscheinlich als Staatsoberhaupt Immunität geniest.



    Warum wurde dieses Problem nicht schon vor Jahren diskutiert, sondern erst jetzt bei Netanjahu?

    Al-Masri und Gantz müssten aber umgehend festgenommen werden, oder?

  • Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich auch im Falle eines "befreundeten" Staatschefs zumindest an nationales Recht zu halten.

    Völkerstrafverfahren



    BGH, Beschl. v. 21.2.24 – AK 4/24

    "Die allgemeine Funktionsträgerimmunität gilt bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht, und zwar unabhängig vom Status und Rang des Täters. Der Ausschluss dieser funktionellen Immunität fremder Hoheitsträger bei Völkerstraftaten gehört zum zweifelsfreien Bestand des Völkergewohnheitsrechts."

  • Der Freund Benjamin Netanjahu wird geschützt, obwohl er verdächtigt wird, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Der Feind Wladimir Putin wird nicht geschützt, weil er verdächtigt wird, Kriegsverbrechen begangen zu haben.



    Sowas sollte in einem Land, das sich Rechtsstaat nennt und den IStGH anerkennt, nicht mal gedacht werden. Aber Deutschland ignoriert ja auch seit Jahren die Gutachten des IGH zu Israels Besatzung. Die systematischen, seit Jahrzehnten andauernden, Völkerrechtsverletzungen werden hingenommen.

  • Dilemmata lösen Bundesregierungen ganz gewöhnlich mit der Hypokrisie, die allen Machthabern eigen ist: Sie interpretieren die Rechtslage gerade so, wie es ihnen passt.







    Max Weber hat 1919 in seinem Vortrag 'Politik als Beruf ' darauf hingewiesen, dass gelingende Politik darin besteht, den jeweils rechten Mittelweg zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu finden. So sind auch alle Bekenntnisse zum Grundgesetz, zur Rechtsstaatlichkeit, zur Demokratie, zur Marktwirtschaft, zum Sozialstaat, zum Umweltschutz usw. nur als politische Manöver im Wettbewerb um die Regierungsmacht zu verstehen.







    Letztlich geht es in der repräsentativen Demokratie um Herrschaftsmacht und nicht um emanzipatorische Mitbestimmung der BürgerInnen.

  • "Vorgeworfen ..,dass Israel die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln,Wasser,Energie und Medizin behindere... keine militärischen Gründe,warum internationale Hilfsorganisationen bei der Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung beeinträchtigt ......Netanjahu und Galant Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.Die Unterernährung .. führe zum Tod von Menschen,..,was als Mord ..."

    Ich durchschaue die Situation nicht ganz,insofern kann ich nicht einschätzen,wer Unrecht tut.Dem Gerichtshof und seinen Quellen vertraue ich nicht uneingeschränkt.



    Für mich steht die Sicherheitsfrage im Vordergrund.Wer würde die Hilfsorganisationen und Lieferungen beschützen?Die IDF kann das nicht,denn wenn sie gegen Plünderer vorgeht,wird es wie in der Vergangenheit so dargestellt,als würde sie unschuldige,hungernde Zivilisten angreifen.Also blieben als Sicherheitspersonal nur die bewaffneten Banden und Kämpfer der Gaza-Hamas-Iran-u.v.m.-Kriegspartei,die sich meiner Einschätzung nach nur selbst bedienen und Schwarzmärkte beliefern.Bewaffnete Hilfsorgan. kann man wohl auch nicht nach Gaza einreisen lassen,da ihnen die Waffen vermutlich von der gegnerischen Kriegspartei abgenommen

  • Die jetzige Regierung ist nur noch bis Februar im Amt, anschließend noch einige Wochen (bis ein neuer Bundeskanzler gewählt wird) kommissarisch tätig. Sie wird sich hüten, im Wahlkampf Netanjahu einzuladen, und an einen Privatbesuch Netanjahus in Deutschland glaube ich nicht. Deswegen wird jetzt keine Entscheidung getroffen werden, wie mit dem Haftbefehl umzugehen ist.



    Damit muss sich dann die nächste Regierung rumschlagen, und egal zu welchem Ergebnis diese kommt, wird sie dafür kritisiert werden.

  • Wenn wir den Internationalen Gerichtshof nicht entwerten wollen, dann gibt es auch kein Dilemma: Ein Haftbefehl ist ein Haftbefehl. Auch, wenn es einem nicht passt.

    Das sagt man Herrn Netanyahu vor seiner Einreise, und dann kann er sich entscheiden.

    In Bayern gilt ein Haftbefehl aus Niedersachsen ja auch, oder wollen wir jetzt auch in solchen Fällen Diskussionen?

    Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.

  • Das "Palästina" - von den UN nicht als Staat anerkannt-, das dem Statut beigetreten ist, ist das von der PLO repräsentierte Palästina. Die PLO hat aber in Gaza nichts zu melden. Nähme man jedoch die Begründung für die Zuständigkeit des Gerichtshofs ernst, müsste der Gerichtshof den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde als gazanischen Regierungschef ansehen und für die Massaker vom 7.10.2023 sowie für die Raketenangriffe aus Gaza verantwortlich machen und gegen ihn ebenfalls einen Haftbefehl ausstellen.

    • @Budzylein:

      Einmal die Begründung der Vorverfahrenskammer aus dem Jahr 2021 hinsichtlich des Zuständigkeitsbereichs für die Gebiete Gaza und Westjordanland nachlesen und sie kommen selbst darauf, dass ihre Forderung fern jeder Logik ist.

  • Man stelle sich bitte vor, 1945 im Nebensaal der Nürnberger Prozesses hätten Hr. Churchill, Hr. Roosevelt bzw. Hr. Truman und ihre zuständigen Generäle auf der Anklagebank gesessen, angeklagt wegen vorsätzlicher massenhafter Tötung von Zivilisten (Einsatzdoktrin des RAF Bomber Command bzw. Abwurf von zwei Atombomben durch USAF)



    Spürte man als unbeteiligter Beobachter nicht das dunkle Ahnen, dass hier irgendwie etwas gleichgesetzt wird, was nicht gleichgesetzt werden kann, weil alles viel komplexer ist? Oder das hier Handlungen, aus ihrem Kontext gerissen, verglichen würden, die nicht verglichen werden können?



    Jeder demokratisch gewählte Politiker muss sich darüber im Klaren sein, dass er im Falle höchster Not und Gefahr für den Staat, für den und seine Bevölkerung er Verantwortung trägt, unter Umständen Handlungen anordnet, die er anderenfalls und anderenorts selbst aufs Schärfste verurteilen würde.

    • @Vigoleis:

      Das muss sich niemand vorstellen, denn der Vergleich ist in jeder Hinsicht unangebracht. Das Ditte Reich war ein hochgerüsteter Indstrieestaat, der mit dem zu diesem Zeitpunkt stärksten Militärapparat der Welt halb Europa in Schutt und Asche gelegt hat und Millionen von Menschen in Vernichtungslagern ermorden lassen hat.



      So brutal der Terror der Hamas ist und so schlimm wie der 7.Oktober war, er ist nicht ansatzweise mit den Dimensionen des 2. WK und dem Holocaust vergleichbar. Da wird in der Tat " etwas gleichgesetzt, was nicht gleichgesetzt werden kann". Israel hat jedes Recht sich gegen die Aggressoren zu verteidigen, aber ist in keinster Weise dazu gezwungen, der Zivilbevölkerung Nahrung, Wasser und Medikamente vorzuenthalten.



      Die Charta der UN wurde als Antwort auf die immensen Gräuel der Nazi-Diktatur und des 2.WK geschaffen und sie wurde auch von Israel ratifiziert. Das Bild vom "Guten", dem im ultimativen Kampf gegen "die Bösen" jedes Handeln zu rechtfertigen ist, ist so schief wie falsch.

    • @Vigoleis:

      Schöne Relativierung, reichlich sinnbefreit wenn sie in einen juristischen Kontext gesetzt wird.

      Die einzige Frage die sich stellt ist, liegt eine Zuwiderhandlung gegen geltendes Recht vor oder nicht? Das zu ergründen ist Aufgabe der Justiz und zwar unabhängig vom Ansehen der Person.

    • @Vigoleis:

      Ich vermisse die Zeiten, in denen die NS-Vergleiche noch tabuisiert waren – nicht nur, weil mir die implizite Relativierung deutscher Schuld missfällt (die hiesige Sehnsucht, immer neue Hitlers zu entdecken, hat jedenfalls einen unangenehmen Beigeschmack), sondern auch, weil die historische Analogie im Falle des NO-Konflikts mit seinen vielen Grautönen einfach schief ist.



      Gleichgesetzt wird durch den Haftbefehl ohnehin nichts und niemand. Der IStGH ist keine Historiker-Kommission, die Konfliktparteien vergleicht, sondern ein Gericht, das – in diesem Fall massive - Straftaten verfolgt, egal auf welcher Seite. Und nur zur Erinnerung: ein Kriegsverbrechen bleibt ein Kriegsverbrechen, auch wenn dafür ein demokratischer Staat verantwortlich ist. Schließlich nützt es auch den Opfern herzlich wenig, wenn die Täter gewählt wurden.

  • Nix Dilemma. Die Rechtslage ist eindeutig. Einfach mal Art. 98 Abs. 1 des Römischen Statuts lesen.

    • @Septum:

      Oh, das ist ja interessant:

      Artikel 98



      Zusammenarbeit im Hinblick auf den Verzicht auf Immunität



      und die Zustimmung zur Überstellung

      (1) Der Gerichtshof darf kein Überstellungs- oder Rechtshilfeersuchen stellen, das vom ersuchten Staat verlangen würde, in Bezug auf die Staatenimmunität oder die diplomatische Immunität einer Person oder des Eigentums eines Drittstaats entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu handeln, sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Drittstaats im Hinblick auf den Verzicht auf Immunität erreichen kann.

      • @Semon:

        Schön zitiert und was schließen sie jetzt daraus?