Insekten als Lebensmittel: Grünes Licht für Mehlwürmer

Insekten gelten als klimaschonender Ersatz für Steak & Co. Mehlwürmer sind nun EU-weit erlaubt. Insektenfarmen bergen jedoch auch Risiken.

Mehlwürmer: Larven des Mehlkäfers Tenebrio molitor

Die Larven des Mehlkäfers dürfen in der EU als Lebensmittel gehandelt werden Foto: Pfeiffer/imago-Images

MÜNCHEN taz | Unter Klimaschützern werden sie als so etwas wie der ultimative Rettungsanker angesehen. Denn bis 2050 werden zusätzliche 265 Millionen Tonnen Eiweiß pro Jahr für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung benötigt, so prognostiziert die UN-Welternährungsorganisation FAO. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern kommen mit dem Wohlstand auch mehr Steaks, Milch und Käse auf den Tisch, während westliche Länder seit Jahren ein Übermaß an tierischem Protein verzehren. Damit keine Lücke entsteht, müssten 50 Prozent mehr proteinreiche Lebens- und Futtermittel als heute erzeugt werden. Insekten gelten hier als probates Antidot, schließlich sind sie proteinreich und umweltfreundlicher zu produzieren.

Im Januar hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA grünes Licht für Produkte gegeben, die Mehlwürmer enthalten. Vor wenigen Tagen kam die offizielle EU-Zulassung: „Die getrocknete Larve des Mehlkäfers Tenebrio molitor darf als Ganzes oder gemahlen verkauft werden. Außerdem kann sie als Zutat bis zu einem Anteil von 10 Prozent in verschiedenen Lebensmitteln, zum Beispiel Nudeln oder Keksen, eingesetzt werden“, teilt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit. Das heißt, dass diese Produkte als sicher für den menschlichen Verzehr eingestuft sind.

Weitere 14 Zulassungsverfahren für andere Insekten laufen, schließlich gelten die Krabbeltiere in Europa als „Novel Food“ und bedürfen einer eindringlichen Prüfung bevor sie produziert werden und in den Handel gelangen können. Zwar werden in einigen EU-Ländern, darunter Deutschland, entsprechende Produkte schon vermarktet. Dies sind jedoch Sonderregelungen. Die einheitliche Zulassung für alle EU-Länder gilt nun als wichtiger Schritt für die weitere Verbreitung von Insekten als Lebensmittel auch in westlichen Staaten.

Denn in Afrika, Asien und Südamerika sind sie heute weit verbreitet, rund 1.900 Insekten sind als essbar bekannt, und etwa ein Drittel der Weltbevölkerung konsumiert regelmäßig diese Protein-Snacks. Sie sind auch eigentlich gar nicht „neu“, sondern seit langem Teil der menschlichen Ernährung. Mindestens 10.000 Jahre schätzungsweise hat der Homo sapiens Insekten wie Heuschrecken, Grillen, Soldatenfliege oder Buffalowurm auf seinem Speiseplan.

Sie haben schließlich in getrocknetem Zustand einen Eiweißgehalt von 50 bis 60 Prozent. Andere tierische Produkte liegen mit 30 bis 50 Gramm darunter. Dabei ist auch die Eiweißqualität, also die Zusammensetzung der Aminosäuren günstig. Zudem liefern sie wertvolle langkettige Fettsäuren, fast alle Vitamine und wichtige Mikronährstoffe wie Eisen und Zink. Die FAO sieht darum Insekten als wichtige Nährstofflieferanten, damit zukünftig die Ernährung weltweit gesichert ist.

Umweltfreundlichere Produktion

Gleichsam sind sie in der Produktion umweltfreundlicher, wie Alejandro Parodi, Wissenschaftler an der Universität Wageningen, im Jahr 2018 in einer Vergleichsstudie errechnet hat. Mehlwürmer-Larven verursachen weniger als 1 Kilogramm C02-Äqivalent pro 50 Gramm Eiweiß, während es bei Hühnern 3 Kilogramm und beim Rind satte 12 Kilogramm für die gleiche Menge sind. Sie verbrauchen zudem wenig Landfläche sowie Süßwasser und begnügen sich mit Abfallstoffen als Futter. Es müssen also keine Futtermittel extra angebaut werden, womit auch wieder Umweltkosten verursacht würden. Lediglich der Energieverbrauch ist ähnlich zur Fleischproduktion, wenn die Tiere nicht als Ganzes, sondern als Eiweißpulver verzehrt werden. Denn die Extraktion des Eiweißes verbraucht viel Energie.

Derzeit ist allerdings noch unklar, ob sich auch Vorteile in Sachen Tierwohl ergeben würden, wie das vermutet wird. Bislang ist allerdings zu wenig erforscht, ob Insekten Schmerzen empfinden können und damit leidensfähig sind. Laura Schiel vom Chemischen Veterinäruntersuchungsamt in Freiburg fordert darum, dass man aus tierethischer Sicht davon ausgehen sollte, dass die Tiere Schmerzen, Leiden und Schäden erfahren und sie darum auch dementsprechend behandelt werden sollten.

Bei den jetzt zugelassenen Mehlwürmern ist eine Allergiewarnung jedoch vorgeschrieben

Zudem gibt es auch noch unerforschte Risiken, die für jede Insektenart einzeln und auch für größere Anlagen analysiert werden müssen. So haben einige Insekten etwa ein allergenes Potenzial. Vor allem Menschen, die auf Hausstaubmilben oder Schalentiere wie Shrimps al­lergisch reagieren, könnten betroffen sein. Forscher der Hochschule Albstadt-Sigmaringen sind derzeit dabei, einen Allergietest zu entwickeln, der in wenigen Minuten aufzeigt, gegen welche Proteine Antikörper der Klasse IgE gebildet werden, die auf eine Allergie hindeuten. „Das könnte helfen, die Lebensmittel so zu bearbeiten, dass die Allergene dem Menschen nichts mehr anhaben können“, sagt Dieter-Stoll, Leiter des Forschungsprojektes.

Das Thema „Allergiepotenzial“ wird von den Produzenten noch stiefmütterlich behandelt, eine umfassende Kennzeichnung ist nicht allgemein verpflichtend. Bei den jetzt zugelassenen Mehlwürmern ist eine Allergiewarnung jedoch vorgeschrieben. Auch der Hinweis, dass Kreuzreaktionen zu Allergien gegen Krustentiere oder Hausstaub-Milben möglich sind, muss auf den Mehlwurm-Produkten vorhanden sein.

Laut Verbraucherzentrale fehlen bei fast 60 Prozent der bei einem Marktcheck untersuchten Produkte Hinweise, ob diese erhitzt wurden oder einem anderen Verfahren zur Keimabtötung unterzogen wurden. Das ist jedoch wichtig zu wissen, schließlich können sich pathogene Keime wie Bakterien in Tierfarmen, wo viele Tiere auf kleinem Raum gedrängt leben, sehr schnell verbreiten. Meist werden die Tiere gefroren, gewaschen, blanchiert und gefriergetrocknet, was Keime abtötet. Grillen aus der Zoofachhandlung sollte man daher eher nicht verspeisen.

Zudem müssten weitere Risiken beachtet werden: Wenn vorbeugend Antibiotika oder andere Medikamente gegen Pathogene verabreicht werden, könnten giftige Rückstände im Lebensmittel landen oder auch Antibiotika-Resistenzen gefördert werden, warnte kürzlich ein polnisches Forscherteam.

Derzeit werden Insekten vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern in kleinen Farmen gezüchtet. Hier sind zwar keine Gefahren für Mensch und Umwelt bekannt. Werden die Anlagen jedoch zu großen Massenbetrieben ausgebaut, könnte es weitere Probleme mit den Grillen und Käfern geben. Die polnischen Forscher weisen darauf hin, dass es etwa bei einer Naturkatastrophe zu einem massenhaften Ausbruch der Tiere kommen könnte, mit verheerenden Folgen für die umliegende Landwirtschaft.

Da die EU-Lebensmittelüberwacher aus der BSE-Krise gelernt haben, dürfen derzeit sicherheitshalber keine tierischen Abfallstoffe an Insekten verfüttert werden. Auch einige andere pflanzliche Futtermittel wie Küchen- und Speiseabfälle sind nicht erlaubt. Ein Umstand, der dazu führt, dass in Europa ansässige Firmen noch nicht wirklich umweltschonend produzieren, da extra Futtermittel mit allen Nachteilen für die Umwelt angebaut werden müssen. Allerdings gehen Forscher davon aus, dass Insekten nicht in der Lage sind, Prionen zu bilden. Es laufen darum Zulassungsverfahren, die tierische Abfallprodukte auch als Insektenfutter freigeben.

Umgekehrt können auch Insekten als Futtermittel für unsere herkömmlichen Nutztiere eingesetzt werden. Auch hier lässt die EU wegen des BSE-Traumas Vorsicht walten. Im Fischfutter, in der Aquakultur sind sie jedoch bereits erlaubt. Aktuelle Studien weisen jedenfalls darauf hin, dass Insekten auch als Zutat in Geflügel- und Schweinefutter gute Fleischqualitäten zur Folge haben. Große Fleischkonzerne wie etwa der Wiesenhof-Mutterkonzern PHW sehen Insekten als Alternative für Sojafutter aus Übersee. Über seinen kanadischen Partner Entera hat PHW daher bei der EU-Kommission eine generelle Zulassung für Insektenmehl in der Tierhaltung beantragt. Insekten als Tierfutter würden wohl auch eine größere Akzeptanz beim Verbraucher genießen als Krabbeltiere auf dem Teller.

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