Hungersnot in Afrika: Fanfaren des Untergangs
Wegen Inflation und Energiepreiserhöhungen sind wir nicht in der Krise. In der Krise sind Menschen, die verhungern. Warum interessiert das niemanden?
H unger wird in der schöngeistigen Literatur kaum behandelt. Vielleicht weil Hungernde selten schreiben und Schreibende selten hungern. Hungerkünstler waren entgegen dem Wortsinn geschäftstüchtige Schaustellerinnen. Das Verhungern wird noch seltener dargestellt. Es ist eine grausame Todesart. Während die allerletzten Fettreste im Unterhautzellgewebe aufgebraucht werden, verwandelt sich der Mensch in ein mit Haut überzogenes Gerippe.
In der Folge beginnt der Körper sich selbst aufzufressen, der Organismus zehrt das eigene Eiweiß auf, die Muskulatur schwindet, die Leber schrumpft, ebenso Nieren und Milz. Weil sich Wasser einlagert, schwillt der Körper zu dem berühmt-berüchtigten Hungerbauch an. Drückt man den Arm eines Verhungernden, bleibt der Abdruck der Finger stundenlang zu sehen. Wir erfahren wenig über Hunger, weil die Menschen, die hungern, in den Medien kaum repräsentiert sind.
Dieser Tage werden wieder schreckliche Warnungen hörbar – von Organisationen und Institutionen, die sich diesem Thema ohnehin widmen. Es drohe eine Hungersnot, vor allem in Ostafrika, in Somalia betreffe diese schon Unzählige, in Sudan stehe sie unmittelbar bevor, ebenso in Teilen von Kenia, insgesamt könnten, wenn die Weltgemeinschaft nicht sofort die notwendigen Maßnahmen ergreife, Dutzende von Millionen Menschen verhungern oder schwerwiegende körperliche und mentale Schäden davontragen.
Die Gründe für diese Katastrophe sind vielfältig: Natürlich Putins imperialer Krieg und somit die unterbleibenden Exporte aus der Ukraine und Russland. Ebenso der Klimawandel. Seit Jahren schwanken die Temperaturen der Meeresoberflächen im Indischen Ozean, der im Westen mal wärmer, im Osten mal kälter ist. Solche Klimaveränderungen haben den einst verlässlichen Monsun destabilisiert und einerseits zu Dürren, andererseits zu Überschwemmungen geführt.
Zurück zu Maniok
Zudem verwüstete im Frühjahr 2020 eine Heuschreckenplage Teile Ostafrikas. Ein weiterer Grund sind unnötiger Export und problematischer Import von Nahrungsmitteln (etwa aufgrund der EU-Ausfuhrsubventionen), desgleichen das weitverbreitete Landgrabbing sowie die Abhängigkeit von eingeführten Düngemitteln. Anstatt sich um bessere heimische Erträge zu kümmern, haben viele afrikanische Regierungen auf den herrschenden Mangel kurzsichtig mit Lebensmittelimporten reagiert.
ist Schriftsteller, Weltensammler und Autor zahlreicher Bücher. Im August 2020 erschien sein Roman „Doppelte Spur“ bei S. Fischer.
Im Maputo-Protokoll von 2003 haben sich die afrikanischen Staaten eigentlich selbst verpflichtet, zehn Prozent ihres staatlichen Budgets für die Landwirtschaft auszugeben. Die meisten sind weit davon entfernt. Der Weizenverbrauch steigt derweil schneller an als anderswo, obwohl diese Getreideart auf dem Kontinent wenig angebaut wird.
In Kenia wird dieser Irrweg inzwischen teilweise erkannt, manche Bauern und Bäuerinnen pflanzen wieder verstärkt Maniok und andere, althergebrachte, den örtlichen Gegebenheiten angepasste Sorten an. Wenn unzählige Menschen, egal wo, von einem vermeidbaren Tod bedroht sind, müsste man einen öffentlichen Aufschrei erwarten, Demonstrationen auf den Straßen, Aufrufe von Intellektuellen.
Zumindest von all jenen Aktivistinnen, die sich in den letzten Jahren in der Bewegung „Black Lives Matter“ engagiert haben. Eigentlich wäre diese drohende Katastrophe eine existenzielle Herausforderung, um mit universellem Anspruch die Anliegen von Gerechtigkeit und Menschenwürde für alle auf eine verbindliche Basis zu stellen. Stattdessen: Schweigen. Keine der Stimmen, die sich sonst zu allem und jedem äußern, meldet sich zu diesem Thema zu Wort. Wie kann das sein?
Führende People-of-Color-Aktivistinnen, die zuletzt mit Furor Rassismus in einem Theater hier und Rechtsextremismus auf einer Buchmesse dort bekämpft haben, ertragen die drohende Hungerskrise scheinbar mit stummer Geduld. Dabei sind Hungersnöte gerade in Afrika in vielerlei Hinsicht Ausdruck von systemischem Rassismus sowie von struktureller Gewalt und Ausbeutung.
Arme als Argument
Es könnte nun der Eindruck entstehen, die Repräsentanz von P.o.C.-Schauspielerinnen auf deutschen Bühnen wäre wichtiger als das Überleben von Millionen Afrikanerinnen. Und schlimmer noch: Es könnte der Verdacht aufkommen, dieses Engagement gälte weniger allgemeingültigen Rechten, sondern eher persönlichen Interessen. Das wäre fatal für die Überzeugungskraft einer wichtigen Bewegung.
Derweil jammert ein großer Teil der deutschen Medien über hiesige „Krisen“, „Bedrohungen“, „Katastrophen“, „Zumutungen“, „Verluste“ usw. Wer dieser Tage Nachrichten hört, könnte meinen, wir stünden vor einem Kollaps. Wer genauer hinhört, vernimmt die Fanfaren des Untergangs: Ein bisschen Rezession (oh weh!), etwas weniger Aufträge in den Büchern der Industrie (wie schlimm!), etwas mehr Inflation (welch Verhängnis!).
Und weil in diesem Land die wirklich Armen eine Minderheit sind, werden sie von jenen, die weiterhin ungehindert prassen und prahlen wollen, als Argument missbraucht, um weiterhin ungehemmt zu konsumieren. Der Tankrabatt ist ein wirtschaftspolitisches „Tischlein, deck dich“. Das Jammern in den Medien wird von der Realität konterkariert. Jedes zweite Auto auf der Autobahn strotzt vor fetter Stahlleibigkeit.
Wer versucht, kurzfristig für seinen Sommerurlaub eine Unterkunft zu buchen, findet wenige Angebote, denn die durch tiefste Krisen watenden Bürgerinnen haben alles schon reserviert – Urlaub muss sein. Jene, die es schon als Verzicht empfinden, wenn sie den Hals nicht voll genug kriegen können, jene, die immer noch nicht begriffen haben, dass der Homo adipositas eine aussterbende Art ist, wehren sich mit Händen (auf der Hupe) und Füßen (auf dem Gaspedal) gegen die Vernunft der Verlangsamung.
Und wenn sie überhaupt mal nach Afrika schauen, denken sie sich bestimmt: Was soll’s, so hat jeder seine Probleme.
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