Hochwasser in West- und Süddeutschland: Gewarnt, aber nicht erhört
Die Unwetter der vergangenen Woche kamen mit Ansage. Warnungen erreichten die Bevölkerung aber nur teilweise. Wo liegt der Fehler jetzt?
Vor einem Jahr haben die Behörden gewarnt. Im Juni 2020 hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine 400-seitige Broschüre herausgegeben. Der Titel: „Die unterschätzten Risiken ‚Starkregen‘ und ‚Sturzfluten‘“. Die beiden Phänomene seien „trotz ihres immensen Gefahrenpotenzials keine Themen, die in der Öffentlichkeit weit verbreitet sind“.
Zentral, so eine der Hauptaussagen, sei daher die Kommunikation mit der Bevölkerung – präventiv und im Ernstfall. Beim Hochwasser der vergangenen Woche hat das offenbar nicht funktioniert. Seit dem Wochenende dreht sich die Debatte darum, ob die Behörden ausreichend gewarnt haben.
Mit angestoßen hat die Diskussion die britische Hydrologin Hannah Cloke, die das europäische Frühwarnsystem Efas mitentwickelt hat. Schon Tage im Voraus habe man die deutschen Behörden vor Überschwemmungen gewarnt. „Der Fakt, dass Menschen nicht evakuiert wurden oder keine Warnungen erhalten haben, lässt darauf schließen, das etwas schiefgegangen ist“, sagte sie am Sonntag der Times.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz haben am Montag Vorwürfe zurückgewiesen, sie hätten zu spät vor dem verheerenden Hochwasser gewarnt. „Wir sind extrem zufrieden mit unserem frühzeitigen Warnmanagement“, sagte DWD-Sprecher Uwe Kirsche der taz.
Exakt vorhergesagt
Bereits am Vormittag des vergangenen Montags (12. Juli) gab der DWD eine „Vorabinformation Unwetter vor heftigem/ergiebigem Regen“ heraus für die Zeit von Dienstag- bis Donnerstagmorgen. „Bis Donnerstagfrüh können aufsummiert örtlich begrenzt Regenmengen von bis zu 200 Liter pro Quadratmeter auftreten“, lautete ein Satz in dieser Mitteilung, der sich später auch bewahrheitete.
Deutscher Wetterdienst am 12. Juli
Gegen 18 Uhr am Montag folgte eine offizielle Unwetterwarnung für ein Gebiet zwischen Dortmund und Saarbrücken, in dem auch die von der Katastrophe besonders betroffenen Landkreise Ahrweiler und Rhein-Erft liegen. „Infolge des Dauerregens sind unter anderem Hochwasser an Bächen und kleineren Flüssen sowie Überflutungen von Straßen möglich“, schrieben die Meteorologen.
Und: „Es können zum Beispiel Erdrutsche auftreten.“ Mit dem Unwetter sei zwischen Dienstag- und Donnerstagmorgen zu rechnen – was sich bewahrheitete.
Am Dienstagmorgen warnte der DWD sogar vor einem „extremen Unwetter“ und grenzte das betroffene Gebiet enger ein. „Die entsprechenden konkreten einzelnen Warnungen werden dann jeweils auf Landkreis- und/oder Gemeindeebene an die zahlreichen DWD-Partner im Katastrophenschutz (THW, Feuerwehr, Polizeien, Einsatzstäbe) verteilt“, erklärte Sprecher Kirsche. Auch die betroffenen Landkreise und Kommunen seien informiert worden.
Zählung der Sirenen
Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, wies ebenfalls Kritik zurück, es gebe kein ausreichendes Warnsystem. „Die Warninfrastruktur ist nicht unser Problem gewesen, sondern wie sensibel reagieren Behörden und Bevölkerung auf diese Warnungen“, sagte Schuster am Montag im Deutschlandfunk und verwies auf 150 Warnmeldungen, die zwischen Mittwoch und Samstag abgesetzt worden seien.
Derzeit werde für 90 Millionen Euro ein Sirenenkataster aufgebaut, um zu sehen, wo in Deutschland noch Sirenen vorhanden seien. Man habe sich in den vergangenen Jahren vor allem auf den Ausbau digitaler Warnsysteme konzentriert, was aber nicht ausreiche, wenn Strom und Mobilfunk ausfielen.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium teilte laut Bild-Zeitung mit, alle amtlichen Warnungen seien der Leitstelle der Kreise und der kreisfreien Städte zugestellt worden. Die konkreten Vorbereitungen, die diese auf Grundlage der amtlichen Wetterwarnungen dann treffe, lägen aber in deren eigenem Ermessen.
Da ein solches Ereignis abzusehen gewesen sei, sei am Dienstag eine „Landeslage“ eingerichtet worden, um frühzeitig zu erkennen, ob in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt überörtliche Hilfe benötigt werde.
So wie beim Terrorismus
Weder der Kreis Ahrweiler noch der Rhein-Erft-Kreis reagierten bis Redaktionsschluss auf Bitten der taz um Stellungnahme. Beide Kreisverwaltungen sind wegen der Folgen der Katastrophe derzeit stark belastet.
Als Folge des Unwetters könnte nun eine ohnehin geplante Reform des Katastrophenschutzes beschleunigt werden. Beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe soll ein „Kompetenzzentrum“ entstehen, in dem Vertreter verschiedener Ebenen und Organisationen in ständigem Austausch stehen.
Kompetenzen sollen dabei nicht von Ländern und Kommunen auf den Bund übertragen werden, die Kommunikation soll sich aber verbessern. Vorbild ist das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. (mit rtr)
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