Hamas-Terrorangriff: UN-Helfer*innen unter Verdacht
Deutschland und weitere Länder wollen Gelder für das UN-Hilfswerk in Gaza auf Eis legen. Waren Mitarbeitende am Terror der Hamas beteiligt?
Israels Außenminister Israel Katz sagte, UNRWA sollte nach Ende des Kriegs in Gaza ersetzt werden, und beschuldigte die UN-Agentur, Verbindungen zur Hamas zu haben. Für die Anschuldigungen lieferte er keine Beweise. Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, äußerte sich noch kritischer. Die Vereinten Nationen würden als Waffe missbraucht, um Israels Existenzrecht abzusprechen und die Bevölkerung auszurotten.
Unabhängige sowie UN-interne Ermittlungen sollen jetzt die Anschuldigungen untersuchen. Bis dahin wollen zehn Länder, darunter Deutschland und die USA, ihre Zahlungen an das Hilfswerk einfrieren. „Bis zum Ende der Aufklärung wird Deutschland in Abstimmung mit anderen Geberländern temporär keine neuen Mittel für UNRWA in Gaza bewilligen“, schrieben das Auswärtige Amt und das Bundesentwicklungsministerium am Samstagabend in einer gemeinsamen Erklärung auf X, ehemals Twitter.
Derzeit stünden ohnehin stünden keine neuen Zusagen für weitere Finanzierungen an. Deutschland gilt als zweitgrößter Geldgeber des UNRWA nach den USA. Etwa 83 Millionen Euro sind 2023 vom Auswärtigen Amt an das UNRWA im Gazastreifen geflossen. Damit seien meistens Nahrungsmittel importiert und verteilt worden, so das Ministerium. Mehr als 200 Millionen Euro sind durch die Bundesregierung insgesamt an das UN-Hilfswerk gegangen.
Hilfswerk nicht zum ersten Mal in der Kritik
Das UNRWA versorgt über zwei Drittel der 2,3 Millionen Menschen in Gaza und ist für knapp 6 Millionen palästinensische Geflüchtete in drei Ländern und den palästinensischen Gebieten verantwortlich. Fast 287.000 Kinder lernten vor dem Krieg an seinen 183 Schulen im Gazastreifen. Die Rolle des Hilfswerks für die Grundversorgung der palästinensischen Bevölkerung bezeichnet das Auswärtige Amt als „lebenswichtig“.UNRWA-Chef Philippe Lazzarini sagte am Samstag, die Entscheidung der zehn Länder würde die humanitäre Arbeit des Hilfswerks in der Region bedrohen. „Palästinenser*innen in Gaza brauchten diese weitere Art von Kollektivbestrafung nicht“, schrieb er auf X und forderte die Länder auf, ihre Entscheidung zu überdenken.
Am Freitag hatte das Hilfswerk mitgeteilt, die betroffenen Mitarbeitenden gekündigt und Ermittlungen gestartet zu haben. UN-Generalsekretär António Guterres sagte, Involvierte würden dann ebenfalls strafrechtlich verfolgt. Etwa 13.000 Menschen arbeiten beim UNRWA in Gaza. Es ist unklar, wie vielen Mitarbeitenden eine Verwicklung in den Hamas-Angriff vorgeworfen wird. In einigen Medienberichten war anfangs von zwölf die Rede.
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Die israelische Menschenrechtsorganisation IMPACT-se wirft in einer Analyse von Schulbüchern, die von UNRWA-Schulen verwendet werden, dem Hilfswerk vor, dass das Schulmaterial zu Antisemitismus, Märtyrertod und Gewalt ansporne und Israel das Existenzrecht abspreche. Diese „Indoktrination“ habe den Angriff vom 7. Oktober ermöglicht, sagt der leitende Geschäftsführer der NGO, Arik Agassi. Die jüngsten Vorwürfe kämen daher nicht überraschend. „Es ist nicht neu, die Kollaboration zwischen dem UNRWA und Hamas“, sagt er. Manche UNRWA-Mitarbeitenden seien bereits in der Vergangenheit gleichzeitig Mitglieder des militärischen Flügels der Hamas gewesen.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe im Augenblick nicht. Eine Anfrage an das UNRWA nach einer Stellungnahme blieb bislang unbeantwortet. In der Vergangenheit hatte das Hilfswerk jedoch die Berichte über Kritik an seinem Schulmaterial als ungenau und irreführend bezeichnet. Die Schulbücher stammten zudem aus dem jeweiligen Gastland. UNRWA-Chef Lazzarini schrieb am Samstag, das Hilfswerk leite die Liste aller seiner Beschäftigten an die jeweiligen Gastländer weiter, inklusive Israel. Die Agentur hätte nie von irgendwelchen Bedenken gegenüber Mitarbeitenden erfahren.
Warnung vor schlimmen humanitären Folgen
Kelsey Norman, Forscherin an der US-Rice University, hat die Lage der Geflüchteten in Nahost untersucht. Sie betrachtet die Entscheidung der zehn Länder – USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweiz, Finnland, Holland, Kanada, Australien und Italien – sehr kritisch. „Die humanitäre Lage [in Gaza] war noch nie alarmierender, und künftige UNRWA-Finanzierungen zu kürzen, wird zu diesem Zeitpunkt schlimme Folgen für seinen bereits überlasteten und unterfinanzierten Betrieb haben.“ Obwohl es als UN-Organisation anscheinend unpolitisch sei, sei das Hilfswerk in der Vergangenheit politisiert worden, sowohl von den Palästinensern als auch von Israel und Geberländern, findet Norman. Seine Arbeit finanziell zu erschweren sei jedoch nicht die Lösung, da die Leitung Gegenmaßnahmen bereits eingeleitet habe.
Das Hilfswerk spielt im Augenblick vor allem eine zentrale Rolle für die humanitäre Versorgung im Gazastreifen. Laut UNRWA-Chef Lazzarini wäre es „immens unverantwortlich, eine Agentur und eine gesamte Gemeinschaft zu bestrafen aufgrund von Anschuldigungen gegen einige Menschen, vor allem in Zeiten von Krieg, Vertreibung und politischen Krisen in der Region“.
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