Die UN und der Nahost-Konflikt: Hitzige Debatten in New York
Israel empört sich über UN-Generalsekretär Guterres. Der sprach von „erdrückender Besatzung“ der Palästinenser – und fühlt sich danach missverstanden.

Bereits vorher hatte Erdan nach einer hitzigen Debatte im Weltsicherheitsrat der UN den sofortigen Rücktritt von UN-Generalsekretär António Guterres gefordert. Der Grund für die drastische Forderung war eine Ansprache Guterres’ am Dienstag während einer Sitzung des UN-Sicherheitsgremiums in New York zur Lage im Nahen Osten.
Der Generalsekretär der UN sprach sich in seinen Ausführungen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas nicht nur wie allgemein gefordert für einen Schutz von Zivilisten aus, er beklagte sich auch über die seiner Meinung nach „klaren Verletzungen des Völkerrechts“, die sich in Gaza ereignet haben.
„Es ist wichtig, auch anzuerkennen, dass sich die Angriffe durch Hamas nicht in einem Vakuum abgespielt haben. Die palästinensische Bevölkerung musste sich in den vergangenen 56 Jahren einer erdrückenden Besetzung unterwerfen“, erklärte Gueterres. Und: „Diese Missstände der palästinensischen Bevölkerung rechtfertigen aber nicht die abscheulichen Attacken durch Hamas. Und gleichzeitig rechtfertigen die Hamas-Attacken es nicht, alle Palästinenser dafür zu bestrafen“.
UN-Botschafter Erdan bezeichnete die Aussagen von Guterres in einem Post auf X, ehemals Twitter, als „schockierend“ und „realitätsfremd“. In einem weiteren Post forderte er den UN-Generalsekretär dazu auf, mit sofortiger Wirkung zurückzutreten.
Zahl der Todesopfer steigt weiter an
Israels Außenminister Eli Cohen, der ebenfalls in New York war, sagte sein geplantes Treffen mit Guterres infolge dessen Aussagen ab: „Nach den Ereignissen des 7. Oktober gibt es einfach keinen Platz mehr für ausgewogene Ansätze. Hamas muss der Erdboden gleich gemacht werden“, so Cohen auf X.
US-Außenminister Antony Blinken fand in seiner Ansprache deutliche Worte und erklärte, dass Israel nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung habe, sondern sogar dazu verpflichtet sei. Gleichzeitig sei es jedoch enorm wichtig, wie Israel dabei vorgehe: „Wir wissen, dass Hamas nicht die palästinensische Bevölkerung widerspiegelt und palästinensische Zivilisten nicht für die Gräueltaten von Hamas verantwortlich sind. Palästinensische Zivilisten müssen beschützt werden“, sagte er. Deshalb forderte Blinken Hamas auf, Zivilisten nicht als Schutzschild zu missbrauchen.
Anthony Blinken, US-Außenminister
Sollte es zur erwarteten Bodeninvasion des Gazastreifens durch israelische Streitkräfte kommen, müsse Israel alles tun, um zivile Opfer zu vermeiden. Dazu zählt auch die Öffnung eines Korridors für humanitäre Hilfslieferungen und die Möglichkeit für Zivilisten, die Gefahrenzonen zu verlassen. „Ein Zivilist ist ein Zivilist, ganz unabhängig von seiner oder ihrer Nationalität, Ethnie, Alter, Geschlecht oder Glauben“, sagte Blinken.
Israels Sicherheit nicht verhandelbar, so Baerbock
Der US-Außenminister machte zudem klar, dass die USA einen Flächenbrand in der Region verhindern wollen. Er sprach dabei vor allem die Führung im Iran an, die mit militanten Gruppen wie Hamas und Hisbollah eng verbunden ist und diese finanziell, aber auch mit Waffenlieferungen und Training unterstützt. In den vergangenen Wochen wurden im Irak und Syrien stationierte US-Truppen mehrfach von Iran-unterstützten Milizen angegriffen.
„Die USA haben kein Interesse an einem direkten Konflikt mit dem Iran. Wir wollen diesen Krieg nicht ausweiten. Sollten der Iran und seine Unterstützer jedoch US-Personal angreifen, dann werden wir unsere Leute verteidigen“, so Blinken.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die der Debatte im Weltsicherheitsrat ebenfalls beiwohnte, verteidigte Israels Recht, sich zu verteidigen. Israels Sicherheit sei für Deutschland nicht verhandelbar: „Niemals wieder. Für mich als Deutsche bedeutet das, dass wir nicht aufhören werden, wenn wir wissen, dass die Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden jetzt von Terroristen in Gaza als Geisel gefangengehalten werden“. In Hinblick auf die Lage im Gazastreifen stellte sie erstmals die Forderung nach einem „humanitären Fenster“ auf. Damit solle gewährleistet werden, dass gelieferte Hilfen für die Menschen auch wirklich ankommen.
Der UN-Generalsekretär selbst meldete sich am Mittwoch auch noch zu Wort. Er sei „schockiert über die falschen Darstellungen (…) als ob ich die Terrorakte der Hamas rechtfertigen würde“. Dies sei falsch, sagte er vor Journalisten. „Das Gegenteil war der Fall.“
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
Wechseljahre
Ich glaube, ich mag mich so sehr wie noch nie