Haftbefehl gegen Netanjahu: Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Im Gazastreifen ist kein Ende in Sicht, es gibt keine israelische Exit-Strategie. Richtig ist, den internationalen Druck auf Netanjahu zu erhöhen.
D ie Welt wird kleiner für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. In gut 120 Staaten droht ihm, wie dem früheren Verteidigungsminister Joav Galant, die sofortige Verhaftung. Auch die Bundesrepublik wäre im Prinzip dazu verpflichtet, Netanjahu Handschellen anzulegen, sollte er sich – dem Erlass des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zum Trotz – auf die Reise nach Berlin begeben. Endlich bekommt Israels Regierungschef eine erste Quittung für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Israels Armee in seinem Auftrag begeht.
Sechs Monate nach dem entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan und inzwischen über 40.000 im Krieg getöteten PalästinenserInnen werden Netanjahu und sein früherer Verteidigungsminister in eine Reihe mit den übelsten Kriegsverbrechern gestellt, Seite an Seite auch mit Wladimir Putin. So liege begründeter Verdacht auf das Aushungern als Kriegsmethode vor und für den vorsätzlichen Angriff auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
An einem Tag, an dem aus dem Kriegsgebiet erneut der Tod von über 50 Menschen gemeldet wird, kann man der Entscheidung in Den Haag nur zustimmen. Misslich ist allerdings, dass der Haftbefehl gegen Netanjahu zeitgleich mit dem Haftbefehl gegen Mohammed Deif kommt, der Erzterrorist und frühere Chef der Kassam-Brigaden. So entsteht der Eindruck einer Gleichsetzung der Hamas mit Israel. Die Gründe dafür, warum dieser Krieg überhaupt erst angefangen hat, rücken in den Hintergrund.
Ohne das Gemetzel, das die palästinensischen Islamisten am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel anrichteten, wäre nichts passiert. Dazu kommt, dass dieser Haftbefehl völlig überflüssig ist, denn Deif ist seit einem gezielten israelischen Angriff auf ihn nicht mehr unter den Lebenden. Aus diesem Grund stehen auch der frühere Hamas-Politbürochef Ismael Hanijeh wie auch Hamas-Chef Jahia Sinwar – gegen beide hatte Khan im Mai Haftbefehle beantragt, und beide sind inzwischen getötet worden – nicht mehr auf der aktuellen Liste des IStGH.
Mehr Druck auf Netanjahu
Ein Unrecht mit einem anderen Unrecht zu relativieren, funktioniert natürlich nicht. Und wenn islamische Extremisten mit ihren Grausamkeiten im Grunde niemanden überraschen dürften, ist die Erwartung an eine demokratisch gewählte Regierung, die enge Beziehungen zu den westlichen Industriestaaten unterhält, doch eine andere.
Dass die PalästinenserInnen im Gazastreifen kollektiv in Haft für die Gräueltaten der Hamas genommen werden, muss ein Ende haben. Bislang zeigen weder die innenpolitischen Proteste gegen Netanjahu noch die internationalen Mahnungen Wirkung. Zum ersten Mal wird Israels Regierungschef mit einer für ihn persönlich bitteren Maßnahme konfrontiert. Es wird ihn nicht zum Umdenken bringen, aber die Richtung stimmt.
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