Grundsatzprogramm der CDU: Ruck nach rechts
Das neue CDU-Grundsatzprogramm riecht streng nach gestern. Das ist gut so, denn eine Zukunft haben die Volksparteien nur, wenn sie voneinander zu unterscheiden sind.
D ie CDU will schrittweise die Wehrpflicht wieder einführen und klammert sich an die Atomkraft. Die gravierendste Kursänderung betrifft Migration. Deutschland soll sich mit einem Ruanda-Modell Flüchtlinge vom Leib halten. Und Ausländer, die hierzulande leben, sollen sich gefälligst zu einer deutschen Leitkultur bekennen, von der niemand sagen kann, um was es sich dabei genau handelt. All das riecht streng nach gestern.
Die Post-Merkel-Partei träumt 2024 in ihrem Grundsatzprogramm von einem Land, das es schon mal gab: die Bundesrepublik der Kohl-Ära, mit Atomkraftwerken, Wehrpflicht und Ausländern, die man auf Distanz hält. Die Union bewegt sich unter Friedrich Merz nach rechts. Nicht ruckartig, aber deutlich. Dieser Retrosound entspricht der Sehnsucht der Veränderungsmüden, für die Fortschritt wie eine Drohung klingt.
Ist diese Wende von Übel? Ein Treibhaus für Ressentiments? Immer wenn Konservative ihre rechte Seite stärken, warnen Linksliberale reflexhaft, dass sie damit das Geschäft der Rechtsextremen betreiben und Minderheiten an den Pranger stellen. Diese Gefahr ist real. Aber sie ist nicht mehr so groß wie vor ein paar Jahrzehnten. Früher agierten PolitikerInnen eher als gate keeper, die die Grenzen des Sagbaren markierten.
In den Zeiten von Social Media und autonomen Meinungsblasen haben PolitikerInnen diesen Einfluss nicht mehr in diesem Maß. Die CDU tut aus zwei Gründen das Richtige. Ihre Rechtswende nutzt ihrer Kenntlichkeit – und die nutzt dem bundesdeutschen Volksparteiensystem. In der Ära Merkel sind die Unterschiede zwischen Union und SPD verschwommen. Beide Parteien wirkten wie Flügel einer Staatspartei.
Mit Merz gegen die AfD
Eine Zukunft haben die Volksparteien nur, wenn sie wieder klare Alternativen bilden – moderat rechts und moderat links. Die Bundesrepublik ist mit dem Volksparteiensystem gut gefahren. Was danach kommt, wird populistischer, nervöser, hysterischer. Zweitens: Es gibt eine migrationsskeptische Stimmung, egal, ob die CDU von Leitkultur redet. Diese Skepsis ist eine Reaktion auf das rasende Veränderungstempo der letzten Jahrzehnte und hat den ganzen Westen erfasst.
Eine Mitte-rechts-Partei, die das ignoriert und nicht einzuhegen versucht, erzeugt ein Vakuum, in dem sich Rechtsextreme noch mehr ausbreiten. Ja, das ist ein Balanceakt. Abstürze, wie Merz’ Gepolter gegen ukrainische „Sozialtouristen“, sind jederzeit möglich. Aber die AfD mit einer freundlichen Daniel-Günther-Partei zu bekämpfen, die fast klingt wie die Grünen – wäre das aussichtsreich?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative