Charlotte Merz auf dem CDU-Parteitag: Die Wegboxerin
Die Showeinlage von Charlotte Merz beim CDU-Parteitag am vergangenen Wochenende sorgt weiter für Erregung. Dabei hat sie nur Schlimmeres verhindert.
V ier Bodyguards, eine Ehefrau und einen Daniel Günther – so viele Menschen braucht Friedrich Merz, um sich vor den kritischen Fragen eines Journalisten zu schützen. Was wie die Pointe eines blöden Witzes klingt, ist vergangenes Wochenende genau so passiert.
Als „heute show“-Reporter Lutz van der Horst den CDU-Vorsitzenden mit einer Frage zur „Leitkultur“ konfrontiert, beschützen ihn nicht nur seine Bodyguards, sondern auch Ehefrau Charlotte. Die Szene ist bizarr: Sie drängt sich dem Reporter auf, reißt ihm sein Mikro aus der Hand und antwortet auf die Frage, die eigentlich ihrem Gatten galt. „Leitkultur bedeutet, als allererstes zu fragen, ob man eine Antwort geben möchte“, schnauzt sie ins Mikro. Das mediale Echo auf die Aktion ist in den darauffolgenden Tagen groß, allgemein herrscht große Empörung. Und jetzt verurteilt auch der Deutsche Journalisten Verband die „Unverschämtheit“ scharf.
Doch ehrlicherweise sollten wir Charlotte Merz dankbar sein. Denn auf Fragen zur „Leitkultur“, die an Friedrich Merz gerichtet werden, können nur populistische und ausgrenzende Antworten folgen. Zur Erinnerung: Merz verbreitete Gerüchte von Geflüchteten, die sich zum Spaß die Zähne neu machen ließen, sprach von „kleinen Paschas“, die unsere Leitkultur bedrohten, und bezichtigte ukrainische Kriegsflüchtlinge des „Sozialtourismus“.
Es ehrt Charlotte Merz also, dass sie ihrem schwer beschäftigten Ehemann Friedrich die Bürde der erwartbaren Antwort abnahm. Zudem lenkt das leichte Unbehagen, das die Aktion von Charlotte Merz hinterlässt, immerhin ein wenig von der Vorstellung ab, dass der nächste Bundeskanzler tatsächlich Friedrich Merz heißen könnte, wie seine Wiederwahl als Vorsitzender auf dem CDU-Parteitag unterstrich.
Echte Image-Glattbüglerin
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sprang für Friedrich Merz in die Bresche. Cool und ehrlich antwortete er auf die Frage des Reporters, warum man das Thema Leitkultur in der CDU immer wieder aufwärme: „Weil uns halt sonst nichts eingefallen ist.“ Dass Günther kein Problem damit hat, die Fragen eines Journalisten zu beantworten, zeichnet ihn im Gegensatz zu Merz aus. Eine Gefahr für den potenziellen Kanzlerkandidaten der CDU also?
Charlotte Merz ist so etwas wie ein Multitalent, das die Schwächen ihres Ehemanns überstrahlen kann. Sie funktioniert nicht nur als Schlagzeilen-Wegboxerin, sondern auch Image-Glattbüglerin. Ende April gab sie der BILD am Sonntag ein Interview. Darin zeichnet sie ihren Gatten als liebenden Großvater und Ehemann – eine lustige Vorstellung, die der des impulsiven und hetzenden CDU-Chefs auf den ersten Blick so gar nicht entsprechen will.
Was eher wie belangloses Geplänkel scheint, könnte für Friedrich Merz entscheidend werden, denn seine persönlichen Beliebtheitswerte sind konstant niedrig, besonders bei jungen Menschen und bei Frauen. Die Vorstellung, dass Friedrich Merz seiner Ehefrau den Kopf bereits beim ersten Treffen verdrehte, wie sie – kein Scherz – im Interview mit der BamS schwärmte, lässt Merz fast menschlich wirken. Eine echte Qualität für einen möglichen zukünftigen Kanzler, die andere potentielle Kandidaten bisher besser beherrschen.
Zudem könnte Charlotte Merz die Rolle einer Art „First Lady“ ausfüllen, eine Position, die in Deutschland eher vorsichtig beschritten wird (wer war nochmal Britta Ernst?). Charlotte Merz strahlt spätestens seit ihrer Nahkampfeinlage etwas Kultiges aus, sie wird zur öffentlichen Figur, gar zum Meme.
Doch beim ganzen Schwärmen von Charlotte Merz ist nicht zu vergessen, dass die Causa auch einen ernsten Hintergrund hat. Obwohl Van der Horst Adiletten trägt und freche Fragen stellt, verdient er wie jede:r Journalist:in eine Antwort statt Bevormundung.
Das ist bislang jedenfalls noch bundesdeutsche Leitkultur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!