Grünen-Chef Habeck über Koalitionen: „Seehofer müsste zurücktreten“

Der Innenminister hat sich disqualifiziert, findet Robert Habeck. Ein Interview über Heimatgefühle und eine mögliche Kenia-Koalition.

Robert Habeck steht vor einer Wand in Berlin

„Die CSU arbeitet an einer Richtungsverschiebung hin zu einer illiberalen Demokratie“: Robert Habeck in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

taz am wochenende: Herr Habeck, in dieser Woche dachte man: Die CSU sprengt die Regierung in die Luft. Wie haben Sie diese irren Tage erlebt?

Robert Habeck: Die CSU hat Deutschlands Mitte zum Nirwana gemacht. Diese Eruption wird lange nachwirken. Was da passiert ist, ist eine tektonische Plattenverschiebung in der deutschen Demokratie. Wir erleben den Beginn des Endes der Volkspartei CSU.

Das Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer ist zerrüttet. Wie sollen die beiden noch zusammen regieren?

Horst Seehofer vergreift sich in Form und Sprache in nie gekannter Weise. Er trennt nicht zwischen seiner Wut auf die Kanzlerin und seiner Rolle als Minister. So ein Staatsverständnis kennen wir eigentlich nur von Potentaten.

Müsste Seehofer gehen?

48, ist seit Januar 2018 Vorsitzender der Grünen – zusammen mit Annalena Baerbock. Zuvor war er Umweltminister in Schleswig-Holstein. Nach der Bundestagswahl 2017 war er einer der grünen Unterhändler während der Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition.

Ja. Horst Seehofer müsste vom Amt des Innenministers zurücktreten. Er hat Rachegefühle zum Motiv seines innenpolitischen Handelns gemacht. Indem er die Stabilität Deutschlands und Europas seiner persönlichen Fehde unterworfen hat, hat er sich als Minister disqualifiziert.

Mein Eindruck ist, dass sich die CSU langsam, aber sicher in eine rechtsnationalistische Partei verwandelt. Wie sehen Sie das?

Diesen Eindruck teile ich. Man muss anfangen, ernst zu nehmen, was wichtige CSU-Politiker sagen. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt möchte eine konservative Revolution, Markus Söder ruft das Ende des Multilateralismus aus. Die CSU-Führung hofiert Viktor Orbán, den rechtsnationalen Regierungschef Ungarns, oder Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der mit der rechtspopulistischen FPÖ zusammenarbeitet. Die CSU arbeitet an einer fundamentalen Richtungsverschiebung hin zu einer illiberalen Demokratie, wie wir sie aus Osteuropa kennen.

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Es wurde viel über den Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU spekuliert. Halten Sie das für möglich?

Eigentlich für notwendig. Jedenfalls muss die Machtfrage geklärt werden. Zu sagen, die CSU war nur 14 Tage außer Rand und Band und jetzt ist sie wieder zur Vernunft gekommen, hieße, das Phänomen zu unterschätzen. Die CSU hat in den vergangenen Jahren viele Entscheidungen verantwortet, die sich heute bitter rächen. Und die CDU hat sich zu oft der CSU gebeugt.

Zum Beispiel?

Ein großer Fehler der Kanzlerin war, dass sie zu Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft dem türkischen Präsidenten Erdogan den Stuhl vor die Tür stellte, als er noch reformwillig und europafreundlich war. Die CSU hatte die Union damals dazu getrieben. Die CSU vertritt ja nicht nur beim Asylrecht eine egoistische Linie, sondern auch in der Europa-, Klima- oder Energiepolitik.

Was heißt das für das deutsche Parteiensystem?

Die proeuropäisch orientierten Parteien müssen sich auf Bündnisse vorbereiten, die ohne die CSU auskommen. Horst Seehofer ist nicht alternativlos. Alexander Dobrindt darf die Republik nicht immer weiter nach rechts treiben. Dieser Auftrag geht auch an die Grünen.

Bewerben Sie sich um einen Platz an Merkels Seite – in einem Bündnis aus CDU, SPD und Grünen?

Wir, die Grünen, müssen eine Machtoption herstellen, die nicht national oder antieuropäisch ist. Es ist doch so: Wenn es im proeuropäischen Lager keine Bündnisfähigkeit mehr gibt, siegen irgendwann die Rechtsnationalen. Dann endet unsere Demokratie wie die in Ungarn.

Haben Sie Merkel schon angerufen, um ihr die Koalition anzubieten?

Die Kanzlerin weiß, wofür die Grünen stehen. Die CDU aber muss sich klar entscheiden, wer sie ist. Jetzt hat sie sich noch einmal hinter Angela Merkel versammelt. Das kaschiert aber, dass es auch innerhalb der CDU Kräfte gibt, die den nationalistischen Kurs richtig finden.

Es wäre nur konsequent, wenn Sie aktiv werden würden.

In der Tat werden die Grünen zu einem entscheidenden Akteur. Die alten Rechts-Links-Lager sortierten sich entlang von Fragen der Umverteilung, der wirtschaftlichen Regulierung und der Sozialpolitik. Jetzt gibt es aber zusätzlich eine weitere Werteachse: proeuropäisch-liberal versus nationalistisch-illiberal. Die Grünen stehen klar auf der liberalen Seite, egal ob sie den Realo Winfried Kretschmann oder die linksgrüne Kreuzbergerin Canan Bayram fragen. Klarer als die meisten anderen Parteien. Aus dieser Entschiedenheit erwächst ein politischer Auftrag.

Ist für Sie Rot-Rot-Grün endgültig tot? Aus Teilen der Linkspartei hört man auch nationalstaatlich orientierte Töne.

SPD, Grüne und Linke liegen bei vielen Fragen nah beieinander. Aber wir müssen uns eben nicht mehr nur um eine faire Erbschaftsteuer oder die Reform von Hartz IV kümmern, sondern auch um Europa. Rot-Rot-Grün kann entstehen, aber nur unter der Bedingung, dass in dieser Frage Klarheit herrscht.

Haben Sie sich schon bei Christian Lindner bedankt, weil er die Jamaika-Sondierungen platzen ließ?

Nö. Wieso?

Weil der Streit in der Flüchtlingspolitik die Grünen zerrissen hätte.

Doch nicht die Grünen. Aber sicher die Koalition. Das sage ich jetzt ohne Häme: Wir hätten uns das nicht 14 Tage lang schweigend angeguckt wie die SPD. Wenn Herr Seehofer in einer Jamaika-Koalition mit den Abweisungen an der Grenze angekommen wäre, hätte bei es bei uns schnell einen Sonderparteitag gegeben. Mit der Ansage: Entweder der Koalitionsvertrag gilt, oder wir sind weg.

Es wird immer wichtiger, für Stabilität zu sorgen. Gleichzeitig verstehen sich die Grünen als Kraft der Veränderung. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

Uns wächst eine neue Rolle zu. Früher waren wir die Chaoten, heute sind es die CSUler. Wir müssen den Staat und das Vertrauen in seine Institutionen stärken – über den Status Quo hinaus. Es braucht Veränderung, um das demokratische System zu stabilisieren. Die AfD ist ja ein Symptom bestehender Probleme, die nicht bearbeitet wurden. Um die europäischen Fliehkräfte zu bekämpfen oder den digitalen Kapitalismus zu zähmen, sind radikalere Ansätze nötig.

Das System stabilisieren? Früher kämpften die Grünen dagegen.

Ich fremdle ja selbst mit der neuen Rolle. Ich habe für mein Ministeramt geschworen, dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen und die Gesetze zu wahren. Fühlte sich erst komisch an, inzwischen bedeutet es mir was.

Herr Habeck, sind Sie ein Patriot?

Das Wort hat ja den Ruch, rechtsnational verbraucht zu sein. Aber Linksliberale müssen sich um den Staat kümmern. Es geht jetzt um etwas Grundsätzliches: Die Würde des Menschen scheint plötzlich nicht mehr unantastbar, Freiheitsrechte werden in Frage gestellt. Wenn wir sagen „das System stabilisieren“, dann meine ich das: das Herz unserer liberalen Demokratie schlagen lassen.

Sie starten kommende Woche ihre Sommerreise durch Deutschland. Das Motto ist ein Zitat aus der Nationalhymne, „Des Glückes Unterpfand“. Warum?

Sommerreisen von Politikern sind ja meist eher seichte Veranstaltungen. Man produziert Wohlfühl-Bilder, streichelt Kinder oder Kälbchen, isst vegane Bratwurst. Annalena und ich haben uns entschieden, einen politischen Vorstoß zu wagen. Und zwar, um klar zu machen, dass es Glück nur geben kann, wenn gesellschaftlicher Zusammenhalt, Rechtsstaat und Freiheit garantiert sind.

Manche werden sagen: Peinlich, jetzt tuten Habeck und Baerbock auch noch ins patriotische Horn.

Wir rechnen mit Debatten. Das wäre nur gut. Uns geht es darum, deutlich zu machen, dass auch unsere Partei in einer Tradition von Freiheitskämpfen steht. Ich werde zu Orten der deutschen Geschichte reisen, zur Frankfurter Paulskirche oder zum Hambacher Schloss. Die Revolutionäre von 1848 kämpften ja auch für Bürgerrechte, für Pressefreiheit und gegen den autoritären Feudalismus. Diese republikanische Tradition passt zu uns.

Die Deutsche Revolution versuchte, einen Nationalstaat zu schaffen. Die Zeit für nationalstaatliches Denken ist vorbei, oder?

Wäre zu schön, wenn der Nationalismus vorbei wäre. Nationalismus gebiert nur Zerstörung. Aber es gibt in der deutschen Geschichte, mit all ihren Facetten, einen zweiten Strang: eben den der Emanzipationsbewegung. Er dachte Freiheit und Staat zusammen – der Staat als Voraussetzung für Freiheit und Bürgerrechte. Schaffen wir es, an diesen Strang anzuknüpfen, dann können wir eine Alternative zum Nationalismus schaffen. Das ist eine Kampfansage an die rechtsnationalen Kräfte, ihren völkischen Nationalismus und an Europafeinde.

Linksgrüne sagen, wer zu viel über Heimat rede, grenze Fremde aus. Was entgegnen Sie?

Wir wollen wieder eine Regierung in Deutschland bilden, damit wir was bewegen können. Da ist es doch besser, wir klären vorher unser Verhältnis zur Republik als hinterher.

Braucht es mehr linken Pathos?

Pathos klingt wie Patriotismus. Ich schrecke ein bisschen zurück, weil das so schwere Worte sind.

Aber?

Aber Leidenschaft, die braucht es. Warum sprechen AfD, die CSU und jetzt ja auch Teile der CDU von Asyltourismus? Weil sie wissen, dass so Bilder im Kopf entstehen. Warum konnte die SPD den Familiennachzug in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen? Weil sie immer sagte, es gehe um subsidiär Geschützte – ein technisches Wort! Du brauchst die Herzen, um die Köpfe zu gewinnen.

Was ist für Sie persönlich Heimat?

Heimat ist, wenn ich nach einer langen Woche nach Hause komme. Ich schließe die Tür auf. Mir dröhnt Hiphop entgegen, meine Söhne haben Spaghetti mit Ketchup gekocht, die Küche sieht aus wie Sau. Meine Frau kommt dazu, wir essen, danach gucken wir ein Fußballspiel oder quatschen oder spielen. Und da kann ich in Jogginghose und löchrigen Socken sitzen und auch mal Blödsinn sagen.

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