Grüne-Jugend-Sprecherin über Heimat: „Nicht auf Patriotismus setzen“
Müssen Grüne die Nationalhymne loben? Grüne-Jugend-Sprecherin Ricarda Lang kritisiert die Heimatoffensive ihrer Parteichefs.
taz: Frau Lang, haben Sie bei einem festlichen Anlass schon mal die Nationalhymne gesungen?
Ricarda Lang: Ich war noch auf keinem festlichen Anlass, bei dem die Nationalhymne gesungen wurde. Ich stehe mehr auf Elektro.
Ihre Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock touren im Moment durch die Republik. Das Motto ihrer Sommerreise ist: „Des Glückes Unterpfand“. Wie finden Sie die Anspielung?
Für mich ist diese Idee nicht nachvollziehbar. Warum müssen Grüne mit einem Zitat aus der Nationalhymne ihre Politik erklären? Patriotismus ist nicht das Terrain, auf dem Grüne gewinnen werden. Auch wenn man ihn ganz anders definiert als Konservative, birgt er immer die Gefahr, ausgrenzend zu wirken. Er bezieht sich auf die Nation, also einen Raum, der andere ausschließt.
Habeck hat das Motto in einem taz-Interview zur „Kampfansage an die rechtsnationalen Kräfte“ erklärt. Was ist daran falsch?
Ich würde Robert und Annalena nicht unterstellen, auf nationalistische Töne zu setzen. Sie argumentieren in der Sache progressiv, europäisch und vorwärtsgewandt.
Aber?
Aber der Deutungsrahmen, den sie aufmachen, ist falsch. Wir erleben im Moment eine extreme Re-Nationalisierung des politischen Diskurses – vorangetrieben von der AfD, der CSU und auch der FDP. Wir werden das Spiel der anderen nicht gewinnen. Die Grünen dürfen deshalb nicht auf Patriotismus setzen.
24, ist seit 2017 die Sprecherin der Grünen Jugend. Sie studiert Jura.
Warum keinen linken Gegenentwurf schaffen? Viele Menschen lieben nun mal ihre Heimat.
Patriotismus ist eine klassisch konservative Strategie. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, die Ungleichheit wächst, das politische Ohnmachtsgefühl nimmt zu. Die Konservativen bieten lieber ein identitätsstiftendes Motiv an, statt Probleme zu lösen und Politik offener und demokratischer zu gestalten. Die CSU lenkt mit ihrem Rechtspopulismus gegen Flüchtlinge von Missständen ab und suggeriert den Leuten, sie seien als Bayern etwas ganz Besonderes. Und die Grünen sollen nun einfach diese konservative Strategie umdeuten? Das wäre mir zu defensiv.
Zu welcher Strategie raten Sie?
Ich würde mir eine Erzählung grüner Politik wünschen, die klar über die Nation hinausweist. Mehr Europa, mehr Internationalismus, mehr Universalismus, aber auch mehr individuelle Wertschätzung.
Sorry, das klingt sehr abstrakt.
Eine knackige Überschrift habe ich noch nicht. Aber wenn jemand seit Jahren keinen Job hat oder vier braucht, um die Miete zu bezahlen, hilft ihm keine Deutschlandflagge am Balkon. Wenn wir so tun, als fehle den Menschen eigentlich nur ein richtiges Staatsbewusstsein, drücken wir uns so wie die anderen Parteien vor den Herausforderungen. Das wäre kurzsichtig und unehrlich. Wir müssen den Menschen zeigen, dass sie durch eine universalistische Politik nichts verlieren, sondern am Ende alle an Freiheit und Möglichkeiten gewinnen. Wir dürfen nicht so viel Angst vor der Angst haben.
Wo ist Ihnen Ihre Partei zu ängstlich?
Wir sind oft zu vorsichtig. Viele Grüne leiten Forderungen in der Flüchtlingspolitik nur noch aus dem Grundgesetz her. Das ist ein total formaler, ungenügender Ansatz. Das Asylrecht im Grundgesetz wurde 1993 weitgehend entkernt, es ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Eigentlich müssten die Grünen Forderungen betonen, die weit über das Grundgesetz hinausgehen. Es gibt starke politische Gründe dafür, das Asylrecht zu schützen. Wenn wir Menschen für unsere Politik begeistern wollen, dann reicht keine bloße Beschreibung der Tatsachen. Wir müssen offen diskutieren, wieso wir eine humanitäre Politik politisch für richtig halten.
Die Grünen haben schon mehrmals über ihr Verhältnis zu Heimat gestritten. Was ist für Sie Heimat?
Für mich ist Heimat etwas Privates. Heimat ist kein politischer, nach vorne weisender Begriff. Er wurde in Abgrenzung zum Fortschritt erfunden und war schon immer konservativ besetzt. Jeder und jede kann selbst für sich entscheiden, was Heimat ist oder auch nicht. Aber ich halte es nicht für zielführend, dass Parteien das definieren.
Argumentieren Sie damit nicht an einem menschlichen Grundbedürfnis vorbei?
Natürlich müssen wir die Lebenswelt von Menschen ansprechen, wenn wir sie emotional erreichen wollen. Die Grünen standen immer für – auch regional verankerte – Solidarität. Aber auch hier geht es um die Frage: Gibt man sich damit zufrieden, ein konservatives Identitätsangebot anders zu rahmen – oder findet man etwas Eigenes, Neues? Ich bin für Letzteres. Wir könnten zum Beispiel die Frage von sozialer Teilhabe und einer funktionierenden Infrastruktur stärker mit europäischen Ansätzen verknüpfen.
Es geht auch um einen Kampf um Symbole. Die AfD schmückt sich gerne mit der Nationalflagge. Nehmen Sie das einfach hin?
Ich verstehe jedenfalls nicht, warum die Grünen die Nationalflagge plötzlich toll finden sollen. Habeck und Baerbock versuchen damit an eine republikanische Tradition anzuknüpfen. Das greift aber historisch zu kurz, in den letzten Jahrzehnten war die Nationalflagge vor allem ein konservatives Symbol. Es kann sinnvoll sein, Politik in einen historischen Kontext zu setzen. Doch dabei sollten wir den Ausgangspunkt von aufklärerischen Werten nicht mit ihrem Geltungsanspruch verwechseln. Außerdem wäre zum Beispiel die 68er-Bewegung für mich ein sehr viel passender Bezugspunkt, denn die Auseinandersetzung damit zeigt auch noch heute den Unterschied zwischen konservativer und grüner Politik auf.
Habeck argumentiert, Linksliberale müssten sich in Zeiten, in denen Rechte Institutionen angreifen, stärker um den Staat kümmern. Hat er Recht?
Ja und nein. Einerseits verteidigen staatliche Institutionen heute sicher demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. Das ist bitter notwendig und schützenswert. Aber die Grünen dürfen den Staat auch nicht verklären. Schließlich wurde er in der Vergangenheit vor allem von Konservativen gestaltet. Wir müssen uns deshalb trauen, auf seine Schwächen hinzuweisen. Und dürfen nicht aufhören, für universelle Prinzipien zu kämpfen, gerade für die, die noch in keinem Gesetz stehen.
Sie sind mit Ihrer Kritik an der grünen Patriotismusoffensive bisher allein. Stehen Sie auf verlorenem Posten?
Es gibt viele Menschen in der Partei, die Patriotismus kritisch sehen. Ich erlebe in den Gremien intensive Diskussionen über den Kampf gegen den Rechtsruck. Es ist das Wesen der repräsentativen Demokratie, dass man zwischen Optionen wählen kann. Wir müssen klar machen, welche Option wir anbieten und das wird sicherlich nicht die patriotische sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt