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Gründe für das Aus der SPD-KanzlerWarum Scholz scheiterte

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Olaf Scholz stellt am Montag die Vertrauensfrage. Keiner der vier SPD-Kanzler hat bis zum Ende regiert. Das ist kein Zufall, sondern ein SPD-Dilemma.

Olaf Scholz wird wohl ein Übergangskanzler zwischen Merkel und Merz werden Foto: Reuters

O laf Scholz ist der vierte sozialdemokratische Kanzler. Und wie bei Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder endet seine Kanzlerschaft vorzeitig. Brandt trat 1974 ausgelaugt zurück. Schmidt wurde 1982 von der FDP gestürzt. Schröder wurde mit der vorgezogenen Neuwahl 2005 Opfer der eigenen Spielernatur.

Ist dieses Scheitern Zufall? Gibt es darin ein Muster? Fremdeln Sozialdemokraten mit der Macht? Die Union, geübt im Machterhalt, bringt ihre Kanzlerschaften jedenfalls eher zu Ende.

Als Auslöser für den Rücktritt von Willy Brandt 1974 gilt landläufig der DDR-Spion Günter Guillaume. Aber im Hintergrund von Brandts Aus ist etwas zu erkennen, das auch beim Ende der anderen SPD-geführten Regierungen eine Rolle spielte: ein Riss zwischen Anspruch und Realität.

Die Brandt-SPD wollte eine gelenkte Marktwirtschaft. Der Staat sollte für Wachstum sorgen und zentral planen. Das Versprechen eines weitgehend krisenfesten Wohlstandskapitalismus scheiterte 1973 mit der Ölkrise, die die Wachstumsphase des Westens beendete.

Der Sturz von Schmidt erinnert an das Scheitern der Ampel

Mit dem goldenen Zeitalter des Nachkriegskapitalismus endete auch die kurze Phase sozialdemokratischer Planungseuphorie. Brandts Rücktritt war logisch: Der einzige deutsche Kanzler mit Charisma war als Manager des Krisenkapitalismus die falsche Besetzung.

Der Sturz von Helmut Schmidt 1982 erinnert stark an 2024. Nicht zufällig zitierte Lindners Wirtschaftspapier das Lambsdorff-Papier von 1982. Beides waren neoliberale Torpedos, die den SPD-Kanzler versenken sollten. Was 2024 die D-Day-Papiere sind, war 1982 der kalt geplante Wechsel zu Kohl. Die FDP spielte auch damals die Schurkenrolle.

Hinter der Ereignisgeschichte bildete 1982 ein fundamentaler Umbruch des westlichen Kapitalismus die Folie für das Ende der sozialliberalen Koalition. Die war das Bündnis von aufgeklärtem Bürgertum und organisierter Arbeitnehmerschaft: eine klassenübergreifende Kooperation im Modell Deutschland.

Der entfesselte Kapitalismus

Diese Koalition war Anfang der 80er Jahre aus Sicht der FDP aus der Zeit gefallen. Der Keynesianismus, der im Westen nach 1945 prägend war, ging unter. Thatcher 1979 und Reagan 1981 entfesselten den bis dahin gezähmten Kapitalismus. Die FDP setzte im Sog dieser neoliberalen Revolution auf Markt statt Staat. Das ging auch Helmut Schmidt zu weit, der nur im Nebenberuf wirklich Sozialdemokrat war.

Schmidts Ende 1982 war zudem der Effekt eines bundesdeutschen Kulturkampfes. Schmidt, der autoritäre Realpolitiker, hatte die USA zur Nato-Nachrüstung gedrängt. Das mobilisierte Ökopaxe, die SPD-Basis und die Kirchen. Das Ringen um die Nachrüstung war in der SPD ein Kampf zwischen der auf Staatsraison fixierten alten Sozialdemokratie und den 68er und Postmaterialisten.

Schmidts Sturz zeigte, dass Kanzler nur begrenzt gegen die Partei agieren können. Beim Kölner SPD-Parteitag 1983 votierten nur 14 von mehr als 400 Delegierten für den Doppelbeschluss.

Schmidts Sturz hatte somit zwei Gründe: Er lag mit der SPD über Kreuz. Und sein Ende war via FDP verbunden mit dem Aufstieg des Neoliberalismus und dem antistaatlichen Rechtsruck in den USA und Großbritannien.

Entfremdung durch die Agenda 2010

Gerhard Schröders politisches Ende 2005 sieht auf den ersten Blick anders aus: Es gab keine wechselsüchtige FDP, keinen sinistren DDR-Spion. Schröder versenkte Rot-Grün mit hektisch anberaumten Neuwahlen. Aber im Hintergrund leuchten ähnliche Motive wie 1974 und 1982: globale, ökonomische Umbrüche und Zoff mit der Partei. Schröder hatte mit der Agenda 2010 die SPD gegen sich aufgebracht, und das Narrativ „Kleine-Leute-Partei“ zerschlagen, ohne etwas Neues zu etablieren.

Rot-Grün war als Modernisierungskoalition in Sachen Einwanderung und Energiepolitik erfolgreich. Doch gegen die neoliberale Meinungsführerschaft Anfang der Nullerjahre fand es kein Mittel. „If you can’t beat them, join them“ war das Falsche. Die Schröder-SPD scheiterte (wie Blair und Clinton) an der Illusion, den Tiger, den Casinokapitalismus, reiten zu können.

Und heute? Scholz ist wie Schmidt an den Liberalen zerschellt. Die Ampel sollte eine Neuauflage der sozialliberalen Ära sein, eine Fortschrittsregierung der ökologischen Modernisierung unter SPD-Führung. Die Ampel hat liberale Reformen wie die halbe Cannabislegalisierung und das Selbstbestimmungsgesetz mit Mindestlohn und erneuerbaren Energien verbunden. Das war unfertig und zu wenig.

Aber: Es war zu viel für eine veränderungsmüde Gesellschaft, die nach Corona, Reallohnverlusten und Inflation Fortschritts- und Reformideen misstraut. Die Ampel ist an der irrlichternden FDP gescheitert, die immer weniger wusste, ob sie Regierung oder rechtspopulistische Opposition sein will. Im Kern aber ist sie kollabiert, weil sie für eine vorsichtig linksliberale Politik in einer nach rechts gekippten Stimmung stand. Der globale Rechtsruck von Trump bis Meloni ist auch in der Bundesrepublik angekommen.

Scholz ist kein weitsichtiger Stratege

Scholz hielt die Ampel für ein historisches Bündnis, wie 1969. Das war eine Illusion. Er scheint ein Übergangskanzler zwischen Merkel und Merz zu werden – und nicht der weitsichtige Stratege, der die sozialökologische Transformation umsetzt. Aber auch Scholz gehört in die Reihe der SPD-Kanzler, die an Fortschritt glauben – und daran zerschellen. Die Fallhöhe zwischen Idee und Praxis ist bei Sozialdemokraten höher als bei Christdemokraten. Kein Wunder, dass die sich besser auf puren Machterhalt verstehen.

Offen ist, ob Scholz in zehn, zwanzig Jahren als einer gelten wird, der wie seine SPD-Vorgänger an veränderten politischen Großwetterlagen scheiterte. Oder als erste Figur einer neuen Ära. Als erster Kanzler einer Zeit, in der die Volksparteien ihre Prägekraft verlieren. Und in der Regierungen, die zerfallen, von der Ausnahme zum Normalfall werden.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Der Grundgedanke mag ja richtig sein. SPD - "......endet seine Kanzlerschaft vorzeitig"



    Aber Brandt, Schmidt und Schröder haben mehrere Kanzlerschaften gehabt. In dem Sinne des Artikels sind auch die Kanzlerschaften von Adenauer und Erhard vorzeitig beendet worden. Nur die Ewigkeitkanzlerinnen Kohl und Merkel stehen dafür, dass die CDU ihre Kanzlerschaften zu Ende bringt.

  • Und BILD spielte keine Role? So gar keine? Steile These...

  • Die SPD wird für sozialdemokratische Politik gewählt, für gerechte Löhne, Rente von der man leben kann, für Wohnungen und mehr und bessere Kitas und Schule.

    Wer für neoliberale Politik macht, ob er Schmidt, Schröder oder Scholz heißt, findet keine Wähler mehr. Das gilt erst recht, wenn er die Interessen anderer vertritt, für Kanonen statt Brot ist, das ist eben nicht sozialdemokratisch.

    Hinzuzufügen ist, dass die Ölkrise als Ursache die importierte Inflation der US hat, die so ihren Krieg finanzierte.

    Die Kürzungen und Einsparungen bei den unteren Einkommen, sollten zur Besitzstandswahrung der anderen beitragen, hat ja geklappt. Zur Belohnung begann die Privatisierung und die Zerstörung der Infrastruktur durch CDU/FDP. Und die blühenden Landschaften.

    Der Wähler wählt keine SPD, die CDU Politik macht, er das Original, das ist schlecht genug.

  • Legendenbildung. Politiker stolpern gar nicht über Inhalte, sondern über handwerkliche Fehler. Als ob der unmündige Bürger einer Debatte über Neoliberalismus folgen könnte. Weniger "Streitkultur" und ein Apparat, der nicht jeden Furz noch warm an die Presse weiterleitet, reichen aus, um Wahlen zu gewinnen. Da reicht sogar das Charisma einer Angela Merkel.

  • Ich glaube, dass im Moment die Regierung vor allem daran gescheitert ist, dass die Parteien kein echtes Profil mehr haben. Alle (außer den Linken) sind mehr oder weniger ausländerfeindlich (Überbietungswettbewerb im Abschieben), befeuern die Umverteilung von unten nach oben (Steuergeschenke plus Bügergeldhetze), sind neoliberal in ihrer Wirtschaftspolitik (der Markt regelt das plus Schuldenbremse).



    Auch wenn jetzt die SPD plötzlich linke Parolen entdeckt, das glaubt ihr nach den realen Verbrechen keiner mehr.

    Wegen dieser Profillosigkeit sind die Parteien immer mehr zersplittert. Anfang der 80er gab es CDSU, SPD, FDP Punkt! Jetzt gibt es CDSU, SPD, FDP, Grüne, Linke, BSW, AfD - 7 statt 3. Dadurch kommen nur Frankensteinkoalitionen (aus Leichenteilen zusammengenäht) wie die jetzige zustande, die natürlich an den Saboteuren der FDP scheitern musste.

  • Aber Scholz war der erste Kanzler, der seine Kanzlerschaft einzig einem unglücklichen Moment Laschets zu verdanken hat und sind wir ehrlich, Laschet hat gewiss nicht über die Opfer gelacht.

    Insgesamt muss man Scholz als einen Kanzler bezeichnen, für den man sich im Rückblick auf dessen Gesamtbilanz eigentlich nur schämen kann.



    Das die SPD diese Person dem Wähler ernsthaft erneut zumuten will, wirft ein verheerendes Bild auf die Gesamtpartei. Denn praktisch hat die Parteiführung entschieden mit einem Looser ins Rennen zu gehen. Ist dabei allerdings bei den Koalitionspartnern in bester Gesellschaft.

  • Scholz sagte vor einer ganzen Weile "Gegen die hohen Unfragewerte der AFD braucht es eine gute Regierungspolitik". Das war bereits das Eingeständnis, dass diese Regierung bereits damals nicht gut regierte und wäre der richtige Zeitpunkt für Rücktritt oder Vertrauensfrage gewesen.

  • €DU-ler sind Profis im Machterhalt ohne ethische Grundsätze. Und habe mächtige Mitstreiter (springer, fossile Lobbies etc.)



    Jene Grundsätze und Mitstreiter stehen den Laien von der spd im weg.



    Schade, aber ist so.



    Das wird nicht lustig für Deutschland.

  • Danke für diesen interessanten Rückblick.



    Glücklicherweise ist noch nicht Alles verloren und man/ frau muss sich nicht mit Merz anfreunden . Schließlich hat die CDU, entgegen früherer Versicherungen, " man könne nach dem Rücktritt noch gemeinsam Gesetze verabschieden" einen Rücktritt von ihren Versprechungen gemacht.



    Da sollte frau sich von Merz nicht allzuviel versprechen.



    Das scheint sich jedoch gerade bei den Grünen zu entwickeln: in allabendlichen Malkursen wird Merz mal als Shrek, mal als Grinch portraitiert.



    Bei allem Verständnis für Märchen, die CDU steht für ungefähr gar nichts, was grün ist, ebensowenig wie sie für nichts Soziales steht.



    Den BürgerInnen steht es nun frei, die sozial ökologische Zukunft zu wählen oder einen technologisch, wirtschaftlichen und klimaleugnenden Rückschritt in die 90er zu machen. Dafür steht Merz und seine geplante Politik für die oberen 10.000 und die widerspricht den derzeitigen Umfragewerten . Wer nicht zu den Reichen gehört, sollte überlegen, ob es wirklich zielführend ist , für die Abschaffung deren Solis noch ein paar Extraschichten zu buckeln.



    Es sind nicht die Anderen Schuld, wir können unsere Zukunft in Deutschland frei wählen.

  • Man kann die Geschichte der SPD und den vorzeitigen Enden der SPD-Kanzler auch anders lesen, nämlich als Geschichte der progressiven Abkehr von der sozialistischen Utopie hin zu einem realpolitischen Opportunismus der Macht in 6 Schritten



    1. Verzicht auf die Revolution als Mittel der Politik noch im Kaiserreich.



    2. Pakt mit den Nationalkonservativen und Anknüpfen an das alte Reich in der Weimarer Republik.



    3. Das offizielle Bekenntnis zu Marktwirtschaft und West-Bindung im Godesberger Programm.



    4. Verwaltung und Verteidigung des Status Quo unter Schmidt.



    5. Schröders Umarmung des Neoliberalismus mit der 'New Labour'-Agenda.



    6. Scholz klammern an der Schuldenbremse und den 'ökonomischen Sachverstand'.

    In Zeiten der Hochkonjunktur freut die SPD sich mit der Arbeiterschaft und den Geringverdienern über steigende Einkommen und mehr Wohlfahrt. Sobald es kriselt, lässt die SPD Geringverdiener und Arbeiterschaft wie heiße Kartoffeln fallen. Dann macht SPD keinen Unterschied mehr zu den anderen Parteien. Wer glaubt denn heute, die SPD könne in einer neuen Koalitionsregierung eine bessere Reform der Schuldenbremse erreichen als z.B. CDU, Grüne, FDP, AfD oder BSW?

  • Ich hätte gern noch einen Schlussabsatz gehabt, der den Text treffend zusammenfasst. "Warum" die SPD-Kanzler regelmässig scheitern.

    Scholz war und ist einfach schwach . Null Selbsterkenntnis, null Fähigkeit (sich) zu korrigieren. Ihm mit dem fachlich starken Schröder auf eine Linie zu stellen ist sicher nicht fair. Der hat was gerissen, wovon das Land noch jahrelang profitiert hat. Auch hatte Schröder sich mit starken Ministern umgeben, was immer auf eine starke eigene Persönlichkeit hinweist. Die SPD-Minister der Scholz-Zeit... wer wird davon positiv in Erinnerung bleiben?

    Und noch einmal Schröder: Er hat nach einer Reihe herber Wahlniederlagen in den Ländern die Neuwahl ausgerufen. Er hat es getan, weil ihm klar war, dass er ansonsten eben kein echtes Mandat für seine Politik mehr hatte. Auch das eher ein Zeichen der Stärke und nicht der Schwäche. (Schon witzig, wie ich hier den heute so verfehmten Mann verteidige^^).