Grenze zwischen Polen und Belarus: Europas neue Todeszone
Immer mehr Geflüchtete werden an der Grenze tot aufgefunden und Freiwillige daran gehindert, den Flüchtenden zu helfen. Ein Lagebericht.
A hmed al-Hasan wurde 19 Jahre alt. Am 19. Oktober 2021 ertrank er im Grenzfluss Bug, zwischen Belarus und Polen, so stellt es die Staatsanwaltschaft Lublin später als Todesursache fest. Die nächste muslimische Gemeinde ist zwei Autostunden weiter nördlich, in Bohuniki.
Nachdem die Staatsanwaltschaft al-Hasans Leichnam freigibt, lassen Helfer:innen sie dorthin bringen. Sie wird nach islamischem Ritual gewaschen. Am vergangenen Montag, es ist bereits dunkel, laden vier Männer in schwarzen Daunenjacken den Holzsarg aus einem VW-Transporter, so ist es auf Videoaufnahmen der Agentur Reuters zu sehen.
Freiwillige Helfer:innen haben das Begräbnis organisiert. Einige laufen mit Handys hinter dem Sarg her, einer von ihnen streamt die Bilder zu der Familie des jungen Mannes. Aus Syrien schaut diese dabei zu, wie ihr Sohn auf dem katholischen Friedhof in die Erde gelassen wird. „Ich weiß, ihr wolltet ihn noch einmal sehen“, sagt der Mann in sein Telefon.
Es ist das erste Begräbnis eines Toten, der seit Beginn der Flüchtlingsankünfte Anfang August an der Grenze zu Belarus gefunden wurde. Weitere werden folgen. Wohl dreizehn Tote wurden bis zum vergangenen Donnerstag gezählt. Wie viele wirklich starben, weiß niemand – auch, weil keine Ärzt:innen oder Beobachter:innen in die „Emergency Zone“, den Grenzstreifen, in dem der Ausnahmezustand gilt, hineingelassen werden.
Hilfsgüter können nicht verteilt werden
Eine der wenigen Ausnahmen ist Hanna Machińska, sie ist die polnische Vizekommissarin für Menschenrechte. Machińska gab am Montag T-Online ein Interview. Sie dürfe über das, was sie gesehen habe, nicht alle Informationen weitergeben, sagt sie darin. Doch es gebe „Hunderte von Beispielen“, die zeigten, wie angespannt die Situation ist. Eines davon: „Wir haben von einer jungen Mutter im Grenzgebiet erfahren, die einen Schwamm ausgewrungen und das schmutzige Wasser mit dem Milchpulver für ihr Kind vermischt hat. Sie wusste, was sie tat: Es war der sichere Tod für das Baby, aber sie konnte nicht anders, das Kind hatte Hunger.“
Deutschlands Regierung nimmt an all dem keinen Anstoß. Der Sprecher des scheidenden Innenministers Horst Seehofer (CSU) schrieb am Donnerstag auf Twitter, Polen handele „seit Wochen an der Grenze zutiefst europäisch“. Deutschland stehe „fest an der Seite Polens.“
In Michałowo, einer Kleinstadt am Rande der Emergency Zone, gibt es genug Milch für Babys. Große Dosen mit Pulver stehen säuberlich gestapelt in weißen Containern auf dem Gelände der Grundschule im Ortskern. Michałowo wurde in den vergangenen Monaten bekannt, weil die Anwohner:innen grüne Lichter an ihren Häusern brennen lassen, um den Flüchtlingen zu signalisieren, dass sie dort Hilfe bekommen. Seit einer Woche hat das „Große Orchester der Weihnachtshilfe“, eine polnische Organisation ähnlich der deutschen „Ein Herz für Kinder“, auf dem Schulhof einen Hilfsposten aufgebaut. Große Generatoren liefern Strom, es gibt heißen Tee, volle Powerbanks für Handys, Jacken und Decken.
Es ist Montag, der 15. November. Purtas, ein junger Mann mit Dreadlocks und Daunenweste, hat seinen Job als LKW-Fahrer gekündigt, um hier zu arbeiten. Auch eine junge Frau namens Justyna ist hier. Sie arbeite sonst als Nuklearphysikerin in einem Atomkraftwerk, sagt sie. „Ich habe mir Urlaub genommen, um herzukommen.“ Ein Fernsehteam kommt, Purtas öffnet die Containertüren, damit es die Hilfsgüter filmen kann. Sie sind dafür gedacht, dass Freiwillige sie zu den Frierenden in den Wald bringen.
Doch das ist zuletzt immer schwieriger geworden. Die Freiwilligen können nur zu solchen Flüchtlingen, die die Rote Zone hinter sich gelassen haben. Sie müssen sich auch weiterhin vor der Polizei verstecken, weil ihnen sonst der Pushback droht. Deshalb sind sie auch außerhalb des Sperrgebiets auf Hilfsgüter angewiesen. Aber nur wenige Flüchtlinge schaffen es noch aus der „Emergency Zone“ heraus. Dass gleichzeitig die schon jetzt eisigen Temperaturen weiter fallen, macht den Helfer:innen in Michałowo Sorgen. „Wir haben Angst, dass es in drei Wochen niemanden mehr zu retten gibt“, sagt Justyna.
19.9. Zwei Männer aus Irak, sollen erfroren sein, nahe Żubry. Ahmed Hamid, 29 Jahre, aus Irak, nahe Dworczysko. Eine Frau aus Irak, 39 Jahre, auf belarussischer Seite, Leśnoje
23.9. Ein Mann aus Irak soll an Herzinfarkt gestorben sein, nahe Nowy Dwór, Sokólski, Polen
14.10. Ein Syrer, 24 Jahre, nahe Klimówka
19.10. Ahmed al-Hasan aus Syrien, 19 Jahre, ertrunken im Fluss Bug nahe Woroblin
22.10. Keine näheren Angaben, nahe Kuścińce
29.10. Gaylan Diler Ismail, 25 Jahre, Kurde aus dem Irak, Diabetiker, soll durch fehlende Medikamente nach Pushback gestorben sein, Fundort unklar
31.10. Kurdo Khalid, 34 Jahre, Kurde aus dem Irak, soll an Hirnblutung gestorben sein, Fundort unklar
10.11. Ein Kurde, 14 Jahre, nahe dem Übergang Kuźnica, auf belarussischer Seite
12.11. Ein Syrer, 20 Jahre, nahe Wólka Terechowska
Vor dem 18.11. Einjähriges Kind, Syrien, Todesursache unklar. Die Familie war 1,5 Monate im Wald
Auch bei Alinca Miszuk in Hajnówka stapeln sich die Hilfsgüter in großen blauen Ikea-Taschen bis unter die Decke. Die Seniorin verteilt Spenden aus ganz Polen in der südlichen Grenzregion. Am Montagabend sitzt sie allein unter einem riesigen Drachenbaum im Dachgeschoss des Hauses vom Roten Kreuz. An der Tür steht die Telefonnummer, die Geflüchtete anrufen können, damit ihnen Hilfsgüter in den Wald gebracht werden. Die Nummer hatte sich in den vergangenen Monaten unter den Flüchtlingen verbreitet. „Im Oktober habe ich 30 Anrufe pro Woche bekommen,“ sagt Miszuk. Jetzt hat seit einer Woche niemand mehr angerufen.
Eine Sprecherin der Stiftung Ocalenie, die vor allem in der nördlichen Grenzregion Hilfe leistet, sagt der taz, die Zahl ihrer Einsätze in den Wäldern bei den sich versteckenden Flüchtlingen habe sich zuletzt halbiert. Grund sei, dass der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko einen Großteil der Flüchtlinge nahe einem Grenzübergang bei Kuźnica habe sammeln lassen – offensichtlich, um dort eine Auseinandersetzung mit den polnischen Sicherheitskräften zu provozieren.
Die Menschen dort saßen bis Mitte der Woche fest und kamen nicht weiter. Andere, die versuchten, die Grenze und die Rote Zone anderswo zu durchqueren, seien viel schneller als früher von den polnischen Soldaten, Polizisten und Milizionären aufgehalten worden. Polen hatte deren Zahl zuletzt auf über 15.000 aufgestockt. „Das größte Problem ist, dass wir nicht in die Rote Zone dürfen“, sagt Alinca Miszuk. „Wir wissen nicht, wie viele Menschen da drin sind, wir denken es sind viele.“ Miszuk glaubt, dass sich an dieser Situation bis auf Weiteres nichts ändern wird. „Das bleibt jetzt erst mal so.“
Ausnahmezustand im Grenzgebiet
Miszuk ist nur eine von vielen Helfer:innen in der Grenzregion, die sich von der Propaganda der Regierungspartei PiS, dem ganzen „Kriegs“-Getöse nicht beeindrucken lassen, sondern helfen wollen. Dabei zieht die PiS alle Register: Seit dem vergangenen Montag kann man in Polen von allen Postfilialen im Land umsonst Dankesgrüße an die Einsatzkräfte an der polnisch-belarussischen Grenze verschicken. Die polnische Zentralbank kündigte an, eine eigene Banknote zur „Verteidigung der Ostgrenze“ zu drucken. Alinca Miszuk treibt um, was für ein Bild von Polen angesichts des Leids an den Grenzen entsteht. „Was denken die Menschen im Ausland über das, was hier geschieht? Wie sehen sie uns?“, fragt sie.
Die Nationalversammlung verlängerte am Dienstag den Ausnahmezustand im Grenzgebiet, der eigentlich Anfang Dezember ausgelaufen wäre. Und so sitzen viele Flüchtlinge weiter in der Roten Zone, wo die Helfer:innen nicht hindürfen.
Die einzige Ausnahme bildet seit Anfang der Woche die polnische katholische Caritas. Die hat „Zelte der Hoffnung“ im Grenzgebiet aufgebaut, weitere sollen folgen. Bislang nur eines davon steht in der Roten Zone, in der Gemeinde Białowieża, dem Nachbarort von Hajnówka. „Wir durften es nur deshalb innerhalb der Roten Zone aufstellen, weil wir dort mit den Dorfbewohnern zusammenarbeiten“, sagt Dariush Ghobad, ein Sprecher der Caritas in Deutschland. „Sonst würde man uns das verbieten.“ Nicht einmal die katholische Kirche lässt die PiS ungehindert zu den Notleidenden.
Doch das „Zelt der Hoffnung“ wird nicht reichen. Auch die Bewohner:innen von Białowieża haben sich zu einer Hilfsinitiative zusammengetan. Am Dienstag veröffentlichten sie einen dramatischen Appell: „Da wir uns in einem Ausnahmezustand befinden, können wir nicht auf Hilfe von außen zählen, wir haben keine medizinische oder mediale Unterstützung“, schreiben sie. Sie seien mit einer Situation völlig alleingelassen worden, die „alles übersteigt, was wir uns vorstellen konnten“. Trotzdem wollten sie den Bedürftigen helfen, vor allem, weil sich aufgrund der Kälte die Todesfälle häuften.
„Wir kennen diesen Wald besser als die Uniformierten, die aus ganz Polen hierherkommen, und wir wissen, dass es unmöglich ist, in diesem Wald zu überleben“, schreiben sie weiter. Menschen dort dem Tod zu überlassen, sei eine „Straftat, unmenschlich und inakzeptabel“. Sie selbst wollten „keine passiven Beobachter sein“ und „keine Leichen in unseren Wäldern sammeln“. Vom Staat fordern sie, nicht behindert zu werden. Die Bereitstellung humanitärer Hilfe verstoße nicht gegen die Regeln des Ausnahmezustands. Was sie ansehen müssen, belaste sie. „Der psychologische Druck, das tägliche Funktionieren in einem Klima des ‚Krieges‘, die dramatischen moralischen Entscheidungen, vor denen wir stehen, machen auch uns zu Opfern dieser Situation“, schließen sie ihren Appell. „Was wir jetzt erleben, wird in uns bleiben und nicht mit dem Abzug der Armee verschwinden.“
Von denjenigen, die es auf polnisches Territorium schaffen, werden nicht alle an die Grenze zurückgeschoben. Auf welcher Grundlage ausgewählt wird, weiß niemand. Sie können dann in Polen Asyl beantragen. Bis darüber entschieden ist, werden sie in eines von neun geschlossenen Internierungslagern im Land gesperrt. Die Verfahren dauern so lange, dass selbst von denen, die im August ankamen, noch kein Verfahren beendet ist. Die Anerkennungsquote in Polen ist niedrig: 2020 stellten 2.800 Menschen einen Antrag, 161 wurden anerkannt.
Ohne Anwalt haben Schutzsuchende kaum eine Chance. Helfer:innen versuchen deshalb noch im Wald, die Menschen Vollmachten unterschreiben zu lassen. „Wir müssen sie finden, bevor die Grenzpolizisten sie finden“, sagt der Anwalt Tadeusz Kołodziej. „Ich versuche so oft wie möglich selber in den Wäldern unterwegs zu sein. Aber als Anwalt kann ich das ja nicht die ganze Zeit machen. Deshalb gehe ich oft am Wochenende dorthin.“
Kołodziej, der bei der Stiftung Ocaelenie angestellt ist, hat bislang Mandate von ungefähr 50 Personen übernommen, die über Belarus gekommen waren. Zu den letzten zählen zwei Syrer, die am vergangenen Montag so entkräftet von Helfer:innen aufgefunden wurden, dass sie nicht mehr sprechen konnten. Die Helfer:innen riefen einen Krankenwagen. Die Krankenhäuser informieren in solchen Fällen die Polizei. Die nimmt die Menschen in Gewahrsam, sobald ihr Zustand das zulässt. Aus dem Gewahrsam wiederum werden viele nach Belarus zurückgeschickt, sagt Kołodziej. „Um das zu verhindern, rufen wir – wenn möglich – den Europäischen Gerichtshof in Straßburg an.“ Der soll dann per einstweiliger Verfügung anordnen, dass die Menschen in Polen einen Asylantrag stellen dürfen. „Aber das kostet Zeit“, sagt Kołodziej. „Und manchmal sind sie dann schon weg.“
Schon die Kontaktaufnahme mit seinen Mandanten sei ein Problem, sagt Kołodziej. Teilweise lasse die Grenzpolizei ihn nicht mit Menschen in Gewahrsam sprechen. „Es ist schon ein Erfolg, wenn wir durchsetzen können, dass die Menschen überhaupt ins Internierungslager gebracht werden. Denn da verhungern und erfrieren sie nicht. Und sie können Asyl beantragen.“ Ab und zu darf er die Mandanten in den Lagern persönlich treffen. Doch die sind im ganzen Land verteilt. „Manchmal wären es sieben Autostunden. Dann sprechen wir per Skype oder Zoom.“
Millionenbeträge für den Grenzschutz
353 Millionen Euro soll die „Barriere“ kosten, die Polen nun entlang des Grenzstreifens errichten wird. Deutsche Politiker wie Alexander Lambsdorff (FDP) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) äußerten sich zustimmend. Kretschmer etwa sagte: „Wir brauchen Zäune und wir brauchen vermutlich auch Mauern“. Für diese will Polen die EU bezahlen lassen. „Einer für alle, alle für einen“, sagte dazu der belgische EU-Ratspräsident Charles Michel am Dienstag in Berlin. Angesichts der „brutalen, hybriden Attacke“ von Lukaschenko und dessen Instrumentalisierung der Flüchtenden sei nun „eine Debatte darüber eröffnet, ob die EU eine physische Grenz-Infrastruktur finanziert.“
Das ist eine mutwillige Irreführung der Öffentlichkeit. Denn diese Debatte ist längst beendet. Laut einer Studie des Amsterdamer Transnational Institute von 2019 haben EU-Staaten seit 1990 rund 900 Millionen Euro für Grenzzäune und Mauern ausgegeben – ein erheblicher Teil davon war Geld aus Brüssel. Und für die neue Haushaltsperiode von 2021 bis 2027 wurde eigens ein neuer Fonds für unter anderem solche Ausgaben aufgelegt: Der „Integrated Border Management Fund“, ausgestattet mit rund 6,4 Milliarden Euro.
Seit Anfang August hat die polnische Grenzpolizei ungefähr 32.000 Versuche unterbunden, die Grenze zu überschreiten. Wie viele Menschen das insgesamt waren, ist unklar. Viele haben es mehrfach versucht und wurden dabei jedes Mal gezählt. Bis zum vergangenen Montag kamen 9.500 Menschen über Belarus nach Deutschland und wurden hier aufgegriffen.
Bald könnten es weniger werden: Viele Flugverbindungen nach Minsk sind auf EU-Druck seit vergangener Woche gekappt, am Donnerstag wurden rund 400 Iraker:innen zurückgeflogen. Es kann aber auch sein, dass der Flüchtlingsstrom nicht abbricht: Am Dienstag sagte Gitanas Nausėda, der Präsident von Litauen, Flüchtlinge würden nun mit Flügen über Moskau nach Minsk gebracht werden.
Das Sterben im Grenzgebiet geht weiter
Igor Cherginets, der CEO der belarussischen Staats-Airline Belavia, nannte dies eine „Lüge“, auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies zurück. Russland allerdings ist in diesen Fragen nicht zu trauen. Präsident Putin hatte noch am Montag behauptet, er habe mit der „Migrationskrise“ nicht das Geringste zu tun und „erst aus den Medien davon erfahren“.
Derweil geht das Sterben im Grenzgebiet weiter. In der Nacht zum Donnerstag meldet das Polnische Zentrum für Internationale Hilfe (PLPM), das Ärzt:innen zu den Flüchtenden in die Wälder schickt, Folgendes: „Um 2.26 Uhr erhielten wir eine Nachricht, dass mindestens eine Person, die sich jetzt im Wald aufhält, ärztliche Hilfe benötigt. Vor Ort stellte sich heraus, dass drei Personen verletzt wurden. Sie waren 1,5 Monate im Wald!“ Um 6.04 Uhr twittern die Ärzt:innen: „Der junge Mann hatte starke Bauchschmerzen. Er war hungrig und dehydriert. Außer ihm brauchte ein syrisches Ehepaar Hilfe. Der Mann hatte eine Schnittwunde am Arm, die Frau eine Stichwunde am Unterschenkel. Ihr einjähriges Kind starb im Wald.“ Das Kind wäre der dreizehnte bekannte Todesfall.
Woher stammen die „Stichwunden“? Woran genau sterben die Menschen in den Wäldern im Osten Polens? Offizielle Angaben gibt es dazu kaum. Zwei der Leichen wurden auf belarussischem Territorium gefunden, eine in der südlichen Woiwodschaft Lublin. Bei dieser handelt es sich um den am Montag begrabenen Ahmed al-Hasan, der laut Staatsanwaltschaft im Grenzfluss Bug ertrunken ist. Für die übrigen Todesfälle ist die Staatsanwaltschaft der Woiwodschaft Podlachien in Białystok zuständig. Sie ließ unsere Anfragen dazu unbeantwortet.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ob die Gewalt durch polnische oder belarussische Grenzschützer für einige Todesfälle relevant war, weiß niemand. Müssten schon die Pushbacks selbst und die daraus folgende Unterkühlung und Entkräftung juristisch als Todesursache gelten? Die Juristin Marta Górczyńska glaubt: Ja.
Hoffnung Internationale Strafgerichtshof
Górczyńska arbeitet für die Helsinki Foundation in Warschau. „Wir glauben, dass hier Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Völkerstrafrechts vorliegen könnten.“ Und für die ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zuständig. Seit Monaten beobachtet Górczyńskas Gruppe die Situation an der Grenze und dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen.
Die Beweise werden an die Ankläger des IStGH weitergeleitet. Der müsste dann wiederum ein Ermittlungsverfahren einleiten. „Hier sind eine ganze Reihe der Elemente von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt“, sagt Marta Górczyńska. „Wir haben Fälle von Folter und schwerer Misshandlung durch belarussische Sicherheitskräfte dokumentiert, die Menschen über die Grenze zwingen“, sagt sie. „Den Menschen wird der Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten verweigert – von beiden Seiten. Sie werden im eiskalten Wald unter lebensbedrohlichen Bedingungen zurückgelassen.“ Und natürlich müsse man auch in Betracht ziehen, dass die bisher wohl dreizehn Todesfälle auf solche kriminellen staatlichen Aktionen zurückzuführen sein könnten.
Sie selbst könnten nicht alle dafür notwendigen Beweise sammeln, so Górczyńska. Das sei Aufgabe des Staates. „Aber wenn wir unseren Antrag stellen, kann auch der IStGH-Ankläger die Ermittlungen führen.“ Aber das sei „noch ein weiter Weg“.
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