Globale Energiewende: Wo klappt es mit dem grünen Strom?
Der Solar- und Windausbau ist ein quälend langsames Projekt? Muss nicht sein. Ein neuer Datensatz zeigt, in welchen Ländern die Stromwende gelingt.
E s ist der Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters, schreiben die Analyst*innen. 2023 steht die Welt an einem historischen Wendepunkt. Die Menge an Treibhausgasen, die für die Produktion von Strom entstehen, könnte ab diesem Jahr dauerhaft sinken. Wir stehen an der Spitze, jetzt geht es wohl abwärts.
Diese Einschätzung stammt aus dem Global Electricity Review des Thinktanks Ember, das jährlich die Stromerzeugungsdaten von mehr als 200 Ländern und Territorien zusammenstellt. Die Daten geben einen tiefen Einblick, wo die Energiewende in der Stromproduktion gelingt – und wo nicht. Denn wie steil der Fall der Kohle-Gas-Kurve wird, an deren Peak wir stehen, entscheidet auch darüber, wie lebenswert unsere Zukunft wird.
Die taz hat die Daten des Global Electricity Review ausgewertet und nach Ländern analysiert, in denen in den letzten Jahren besonders viel passiert ist. In welchen Staaten ist es gelungen, Solar- oder Windstrom auszubauen? Wo gibt es nicht nur ein kontinuierliches Wachstum, sondern einen großen Sprung? Vietnam, Dänemark, Kenia, Portugal und Chile etwa zeigen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen, dass Veränderung möglich ist.
In Vietnam zum Beispiel wurde in den letzten vier Jahren Erstaunliches geschafft. Das Land war noch 2018 eines der Schlusslichter der solaren Stromproduktion, nun stieg es innerhalb weniger Jahre in die Top 10 auf. Inzwischen macht Solarenergie 10 Prozent des vietnamesischen Strommixes aus. Gemeinsam mit einem großen Anteil Wasserkraft und einem sehr kleinen Anteil an Windkraft war 2022 mehr als die Hälfte des Stroms in Vietnam aus erneuerbaren Quellen. Und das, obwohl in dem Land immer mehr Strom verbraucht wird.
Im globalen Vergleich liegt Vietnam damit deutlich über dem Durchschnitt. Weltweit kommen 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen und Atomkraft, davon 12 Prozent aus Wind und Solar.
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Grundsätzlich ist Strom eine der ersten Herausforderungen des globalen Klimaschutzes. Er ist einer der größten Bereiche der Energienutzung. Etwa ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen kommen aus der Stromerzeugung. Und Elektrizität wird künftig eine viel größere Rolle spielen: etwa wenn Autos künftig mit Batterien fahren, mit Elektrizität betriebene Wärmepumpen Häuser heizen oder industrielle Prozesse auf Strom als Energiequelle umstellen. Der Klimaschutz in all diesen Bereichen hängt an der Annahme, dass der Strom aus emissionsfreien Quellen kommt.
Zugleich ist die gegenwärtige Bilanz schwierig. Die Stromproduktion wandelt sich zu langsam, Kraftwerke wurden in der Vergangenheit für einen jahrzehntelangen Betrieb gebaut. Weltweit steigt außerdem der Stromverbrauch, weil in vielen Ländern der Lebensstandard steigt und zig Millionen Menschen weltweit aus der Energiearmut, also dem zu geringen Zugang zu Strom, aufsteigen. Weltweit ist der aus erneuerbaren Energien produzierte Strom zwar stark gestiegen, aber auch der Stromkonsum hat sich nahezu verdoppelt. Und so stiegen 2022 die Emissionen aus der Stromerzeugung weiter.
„Man muss sich immer die Alternative vor Augen halten, dass der steigende Strombedarf durch fossile Energien gedeckt würde“, sagt Nicolas Fulghum, Datenanalyst bei Ember. „Wenn es 2022 keine Solar- oder Windkraft gegeben hätte, wären die Emissionen des Stromsektors 20 Prozent höher gewesen.“ Der Mehrbedarf an Strom im vergangenen Jahr wurde zu 92 Prozent von erneuerbaren Energien gedeckt. Embers Prognose ist, dass im laufenden Jahr dieser Anteil auf mehr als 100 Prozent steigt, dass also auch fossile Energieträger ersetzt werden. Das wäre der Wendepunkt, an dem die Emissionen sinken.
Weltweit gibt es weiterhin Länder, die seit der Jahrhundertwende kaum Fortschritte gemacht haben. In Saudi-Arabien, Libyen oder Turkmenistan kommt nach wie vor 100 Prozent des produzierten Stroms aus fossilen Quellen. Auf der anderen Seite gibt es auch Staaten, deren Strommix schon seit Jahrzehnten fast komplett ohne fossile Quellen auskommt. Manche sind immer wieder in den Schlagzeilen: Island, Costa Rica, Norwegen oder Bhutan. Andere, wie Paraguay oder die Zentralafrikanische Republik, sind weniger bekannt.
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Gemeinsam ist ihnen, dass sie einen sehr großen Anteil ihres Stroms aus Wasserkraft erzeugen. In drei Ländern – Schweden, Finnland und der Schweiz – wird die Wasserkraft noch durch einen großen Anteil an Atomkraft ergänzt. Frankreich ist mit einem Atom-Anteil von fast 70 Prozent weltweit singulär.
Deutschland ist eines der zehn größten Länder der Welt, wenn es um die Stromproduktion geht – der Wandel hier ist also besonders wichtig. Mit etwa 45 Prozent erneuerbaren Energien im Strommix liegt Deutschland zwar über dem weltweiten Durchschnitt, dieser Anteil stagniert allerdings seit einigen Jahren.
Ember blickt vor allem auf Wind und Solar, um die Transformation von Ländern zu beurteilen. Diese Energieformen seien bereit für einen kometenhaften Aufstieg. Sie sind überall – mehr oder weniger – vorhanden und gelten als billigste Energiequelle in der Menschheitsgeschichte. Was den erfolgreichen Ländern bei der Energiewende oft gemeinsam ist: politische Entschiedenheit und eine langfristige Perspektive. In Vietnam bot die Regierung eine hohe Einspeisevergütung für Solarenergie, die 20 Jahre lang garantiert wurde. Firmen bekamen Steuernachlässe, die Technik wurde von Einfuhrzöllen ausgenommen. Die Bewegung dort zeigt, dass Veränderung schnell gehen kann.
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In Vietnam hat sich die Stromproduktion seit 2000 verzehnfacht. Für viele der 97 Millionen Vietnames*innen bedeutete das einen Aufstieg in ein angenehmeres Leben. Für den Klimaschutz heißt es, dass die Emissionen Vietnams von zunächst 8 auf 112 Millionen Tonnen CO2 stiegen, dann allerdings wieder auf 98 Tonnen sanken – dank des Solarbooms.
„In der Energiekrise im vergangenen Jahr war es für einige Länder sogar billiger, die erneuerbaren Energien auszubauen, als alte Kohle- oder Gaskraftwerke weiterzubetreiben“, sagt Nicolas Fulghum von Ember. In Vietnam, wo fossile Brennstoffe vor allem importiert werden, wurde Ember zufolge durch neu gebaute Solarkraft sogar Geld gespart. Das Land hat Mehrkosten in Höhe von 1,6 Milliarden Euro vermieden, indem es auf die Sonne setzte.
Kenia: mehr Strom, weniger Emissionen
Es zischt und brodelt, wenn der 120 Grad heiße Wasserdampf aus dem Boden schießt. Mitten im Hell’s Gate Nationalpark in Kenia, zwischen Zebraherden, Büffeln und Touristen, wird der Wasserdampf aus dem Erdinneren über Rohre in Turbinen geleitet und betreibt so die sechs Olkaria-Erdwärmekraftwerke.
Bereits 2022 erzeugte Kenia fast 90 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Die Hälfte davon entsteht aus ebenjener Erdwärme: Diese ist nicht nur wetterunabhängig und somit verlässlicher als andere Energiequellen, sondern in Kenia auch reichlich vorhanden. Die kenianische Regierung schätzt, dass mit Geothermie fünfmal so viel Strom gewonnen werden könnte, wie das Land derzeit verbraucht.
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Neben Erdwärme gewinnt Kenia auch durch Wasserkraft und Windkraft Ökostrom. Weil das Potenzial der Wasserkraft aufgrund der in Ostafrika immer häufiger werdenden Dürren kontinuierlich abnimmt, setzt die Regierung umso mehr auf Windkraft. In Turkana, einer Region im Norden Kenias, eröffnete die Regierung – trotz der Proteste der indigenen Bevölkerung, die die Rechtmäßigkeit des Landerwerbs infrage stellt – einen der größten Windparks des Kontinents. Dieser liefert inzwischen fast 14 Prozent des kenianischen Stroms.
Seit Anfang des Jahrhunderts ist Kenias Bevölkerung von 31 auf 53 Millionen Menschen angestiegen. Die Stromproduktion hat sich dabei verdreifacht und liegt mittlerweile bei über 12 Milliarden Kilowattstunden. Im gleichen Zeitraum halbierte sich der Strom aus fossilen Quellen. Die Konsequenz: Kenia steigerte die Stromproduktion und senkte gleichzeitig die Treibhausgasemission aus der Stromerzeugung. (mit epd)
Dänemark: der Stromwende-Star
Dänemark ist der Energiewende-Star der Stromerzeugung. Seit Anfang der 2000er Jahre erhöhten die Dänen den Anteil der erneuerbaren Energien von 15 auf 84 Prozent. Damit gelang Dänemark eine fast einzigartige Transformation.
Im Sommer 1991 installierten Ingenieure die ersten Offshore-Windkraftanlagen weltweit vor der dänischen Küste. Die elf Windräder versorgten 2.200 Haushalte mit Strom. 1998 führten die Dänen eine Ökostromumlage ein, die alle Haushalte mit der Stromrechnung zahlten und die genutzt wurde, um weitere Wind- und Solaranlagen zu fördern. So erzeugte Dänemark nur zehn Jahre nach den ersten Offshore-Windkraftanlagen bereits 12 Prozent des Strommixes aus der Windkraft. Inzwischen liefert diese mehr als die Hälfte der jährlichen Stromproduktion.
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Nun plant Dänemark zwei künstliche Inseln in der Nordsee, auf denen genug Windräder stehen sollen, um alle dänischen Haushalte mit Strom zu versorgen. Fast ein Viertel des dänischen Stroms stammt außerdem aus der Verbrennung von Biomasse, dafür importieren die Dänen massig Holzpellets aus dem Baltikum. Solarenergie erzeugt hingegen nur etwa 6 Prozent des dänischen Strommixes.
Auch die Zukunftsziele des Energiewendevorreiters lassen sich sehen: Dänemark möchte die Stromerzeugung aus Wind und Solar vervierfachen und den Überschuss in Nachbarländer wie Deutschland exportieren. Aus wenigen zentralen Kraftwerken entstand in kurzer Zeit ein dezentrales Kraftwerksnetz, in dem sich heute hunderte Heizkraftwerke, tausende Windräder und zehntausende Solaranlagen tummeln.
Chile: raus aus der fossilen Abhängigkeit
Der Schock, der in Chile zu einer 180-Grad-Stromwende führte, erfolgte Mitte der 2000er Jahre. Argentinien reduzierte seine Gasexporte in das Nachbarland drastisch, um sich auf den heimischen Markt zu konzentrieren. Die Bevölkerung kämpfte plötzlich mit strengen Energierationierungen und regelmäßigen Stromausfällen.
Auf der Suche nach einer Alternative entdeckte Chile die Solarenergie für sich. Das Land verfügt über eine der stärksten und gleichmäßigsten Sonneneinstrahlungen weltweit, vor allem in der Atacama-Wüste im Norden. Die Chilen*innen investierten kräftig in Solar- und Windprojekte und schrieben Elektrizitätsunternehmen einen Mindestanteil an erneuerbarer Energie in ihrem Strommix vor.
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In den vergangenen zehn Jahren erhöhte sich deshalb der Anteil von Wind- und Solarkraft am chilenischen Strommix von 0,6 auf 28 Prozent, die Emissionen sanken im gleichen Zeitraum deutlich. Wenn man die Stromerzeugung aus Wasserkraft dazurechnet, lieferten die Erneuerbaren 2022 mehr als die Hälfte des chilenischen Stroms. Das Ziel bis Ende des Jahrzehnts lautet: 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren.
Zugleich legte Chile einen anspruchsvollen Kohleausstiegsplan vor. Die Regierung zog das Ausstiegsdatum kurzerhand von 2040 um zehn Jahre vor. Dabei gingen 8 von 28 Kohlekraftwerken bereits 2022 vom Netz. Die stillgelegten Kraftwerke wirken sich auch auf den Strommix aus: Der Kohleanteil sinkt seit 2016 kontinuierlich, 2022 fiel er noch mal deutlich herab und wurde dabei fast komplett durch Strom aus Erneuerbaren ersetzt. (mit ap)
Portugal: der vorgezogene Kohleausstieg
Den Kohleausstieg vollzog Portugal bereits Ende 2021, als das Kraftwerk Pego nordöstlich der Hauptstadt Lissabon stillgelegt wurde. Den Portugiesen gelang der Kohleausstieg somit acht Jahre früher als ursprünglich geplant. Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks entstehen zwar bis 2025 Solar- und Windkraftanlagen, aber auch das dort angesiedelte Erdgaskraftwerk soll noch bis 2035 weiterlaufen.
Mit 300 Sonnentagen im Jahr und der Lage an der Atlantikküste ist Portugal prädestiniert für den Ausbau erneuerbarer Energien. So verzwanzigfachte sich die Stromproduktion aus der Windkraft seit 2005.
Wie das so schnell gelang? Die Regierung förderte den Windkraftausbau bis 2017 mit hohen Einspeisevergütungen. Die Solarenergie hingegen wächst langsamer. 2022 machte Solarstrom nur etwa 6 Prozent des portugiesischen Strommixes aus. Wasserkraft erzeugte immerhin etwa 16 Prozent des Stroms, der Anteil schwankt jedoch stark mit der Trockenheit.
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2022 nahm eines der größten schwimmenden Solarkraftwerke Europas auf dem Stausee des Alqueva-Wasserkraftwerks die Arbeit auf. Das ist durchaus eine Innovation: Dort verbrauchen die Solarpanele keinen zusätzlichen Platz und arbeiten durch die Kühlung des darunter plätschernden Wassers effizienter. Zwei Jahre zuvor eröffnete Portugal außerdem einen der ersten schwimmenden Windparks Europas.
Auch für die kommenden Jahre setzt sich die Regierung unter Premierminister António Costa ehrgeizige Ziele: 2026 sollen 80 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien kommen. Im Jahr 2040 möchte Portugal eine komplett fossilfreie Stromerzeugung. (mit ap)
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