Geflüchtetenhilfte mit Tauschaktion: Hamburgs Linke hebelt Bezahlkarte aus
Hamburg hat die Bezahlkarte als erstes Bundesland eingeführt. Vorreiter ist es auch beim solidarischen Gutscheintausch – trotz Angriffen von Rechts.

Ein 30-Jähriger kommt mit Gutscheinen in der Hand aus der Tür. Er hole zweimal im Monat Rewe für 100 Euro, sagt der Eimsbüttler, der lieber anonym bleiben möchte. „Ich kaufe fast alle meine Lebensmittel so“, sagt er. Überzeugt sei er gewesen, als er hier zum ersten Mal mit Menschen gesprochen habe, die auf den Gutscheintausch angewiesen sind.
Das sind Menschen, die die Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) auf eine umstrittene Bezahlkarte gebucht bekommen. Die hat Hamburg im Februar 2024 als erstes Bundesland eingeführt. Sie soll perspektivisch bundesweit an Geflüchtete ausgegeben werden, wobei Länder sie unterschiedlich umsetzen. Ähnliche Karten wie in Hamburg sind schon jetzt unter anderem in Bayern, Hessen, Sachsen, Thüringen und Teilen von Brandenburg im Einsatz.
Die „Social Card“, wie sie in Hamburg heißt, funktioniert wie eine Kreditkarte, aber ohne Dispo und ohne Konto. Auf diese Karte wird monatlich das im AsylbLG vorgesehene „Taschengeld“ gebucht, das sind derzeit 157 für Erwachsene, die in einer Unterkunft leben. Davon können sie 50 Euro Bargeld abheben.
Gutscheintausch gegen Bargeldlimit
Viel zu wenig, sagen Kritiker*innen. So bräuchten gerade Familien mehr Bargeld, um auf Flohmärkten, bei Kleinanzeigen oder im Sozialkaufhaus Gebrauchtes zu kaufen. Zudem wird die „Social Card“ in vielen kleinen Läden nicht akzeptiert und mit ihr können weder Verträge abgeschlossen noch Überweisungen getätigt werden.
Die Hamburger Sozialbehörde begründet die Bezahlkarte mit Bürokratieabbau und der Unterbindung von Zahlungen an Verwandte im Ausland. Belastbare Zahlen, die das untermauern, gibt es bisher nicht. Kritiker*innen halten die Bezahlkarte für Schikane.
Zumindest das Bargeldlimit soll durch den Gutscheintausch umgangen werden. Das Prinzip ist einfach und legal. Menschen mit „Social Card“ kaufen damit in Supermarkt- oder Drogerieketten Gutscheine und bringen sie zu einer Tauschbörse wie der im Linken-Büro. Menschen ohne Bezahlkarte kaufen dort die Gutscheine mit Bargeld.
Angestoßen hat die Tauschaktionen die Hamburger Initiative „Nein zur Bezahlkarte“. Laut einer Sprecherin werden mittlerweile monatlich rund 40.000 Euro Bargeld gegen Gutscheine getauscht. Das geht etwa im Linken-Büro in Eimsbüttel jeden zweiten Freitag zwischen 17 und 19 Uhr. In Hamburg gibt es 17 solcher Tauschorte, vier davon in Büros der Linken. In immer mehr Städten organisieren ähnliche Initiativen den Tausch, etwa „Offen! München“ oder „Konten statt Karten Leipzig“.
AfD, SPD und „Bild“ diskreditieren Gutscheintausch
In Hamburg steigt der Bedarf. Am Anfang bekamen nur Menschen die Bezahlkarte, die nach dem 15. Februar 2024 Asyl beantragt hatten und in Unterkünften untergebracht waren. Seit Mitte April 2025 wird sie schrittweise auf mehr Menschen ausgeweitet. Stand Mitte August bekommen 4.980 Erwachsene und 1.772 ihnen zugeordnete Kinder das Geld nach AsylbLG nur über die „Social Card“, so die Sozialbehörde auf taz-Anfrage.
Der solidarische Gutscheintausch wird in Hamburg gerade aus verschiedenen Ecken angegriffen. Die Hamburger AfD kritisierte Anfang August, dass die Linke Hamburg für den Gutscheintausch Räume zur Verfügung stellt. Sie werbe für „dubiose Tauschgeschäfte“. Ähnlich äußerte sich Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) im NDR: Die Linke führe „einen ideologischen Kampf gegen die Bezahlkarte“, den er fragwürdig fände.
Vorher war die Bild auf ein Interview von „Nein zur Bezahlkarte“ mit dem St. Pauli-Internetportal Millerntor.de angesprungen und behauptete, dass „Linksaktivisten Aylbewerbern [helfen], das Gesetz zu unterwandern“.
Tatsächlich verstößt der Gutscheintausch nicht gegen geltendes Recht. Inhaber*innen der Bezahlkarte kann nicht vorgeschrieben werden, dass sie damit keine Gutscheine kaufen. Ebenso wenig kann Menschen verboten werden, Bargeld gegen Gutscheine zu tauschen.
Linke Hamburg fordert Abschaffung der Bezahlkarte
Das weiß auch die bayerische CSU. Sie forderte als erste Partei, juristische Mittel gegen den Gutscheintausch zu schaffen und brachte eine entsprechende Initiative im Januar in den Bundesrat ein. Perspektivisch ist das auch erklärtes Ziel der Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag steht: „Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung beenden.“
Die Linke Bürgerschaftsabgeordnete Olga Fritzsche lehnt an einem Stehtisch vor dem Büro, in dem Gutscheine getauscht werden. Die Angriffe von Rechts bis Rechtsaußen „zeigen deren Ressentiments“, sagt sie. Fritzsche übt wie ihre Fraktion scharfe Kritik an der Bezahlkarte. Sie stigmatisiere Geflüchtete, stelle sie regelmäßig vor existenzielle Probleme und schaffe unnötige Bürokratie.
Die Linke in Hamburg fordert wie die Initiative „Nein zur Bezahlkarte“ die Abschaffung der Bezahlkarte und als Alternative die Einführung eines Basiskontos für Asylsuchende und andere Menschen ohne Konto, wie etwa obdachlose Menschen.
Dass das geht, zeigen unter anderem Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die ein Basiskonto als Alternative zur Bezahlkarte diskutieren.
Derweil prüft der Hamburger Senat seit Juli, ob auch andere Empfänger*innen staatlicher Leistungen eine Bezahlkarte bekommen können. Zumindest sind die Hamburger*innen im Gutscheintausch geübt, auch wenn es an manchen Tagen noch an Abnehmer*innen mangelt: Für 5050 Euro tauschten Geflüchtete am Freitag in Eimsbüttel Gutscheine ein. Für 2000 Euro kauften Hamburger*innen sie ab.
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