Fraktionschefin über Grünen-Krise: „Die Mitte ist linker, als man denkt“
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge will die Union offensiver angehen. Ein Gespräch über die Krise ihrer Partei und Robert Habeck als Strippenzieher.
taz: Frau Dröge, wir möchten Ihnen etwas vorlesen: „Aus Angst, die Regierungsfähigkeit zu gefährden, wurden Diskussionen erstickt und die Partei auf Einheitslinie gezwungen. Damit muss Schluss sein!“ Von wem stammt das?
Katharina Dröge: Das habe ich, glaube ich, noch nie gelesen.
taz: Vielleicht geschrieben? Es ist aus einem Brief an Joschka Fischer aus dem Jahr 2006 …
Dröge: (lacht) Das habe ich befürchtet.
taz: Den Brief haben Sie als Erste unterzeichnet. Sie waren Sprecherin der Grünen Jugend in NRW, und die Grünen waren nach Rot-Grün im Bund wieder in der Opposition. Wird die Partei jetzt erneut auf Einheitslinie gezwungen – diesmal nicht ausgerichtet auf Joschka, sondern auf Robert?
Dröge: Ich bin froh, dass wir Grüne mitregieren, weil wir große Fortschritte beim Klimaschutz und für mehr Gerechtigkeit erzielt haben. Aber ich halte es für enorm wichtig, offen für Kritik zu sein. Gerade deshalb habe ich der Grünen Jugend diese Woche gesagt: Ich kenne das von früher, nicht happy zu sein mit dem Kurs einer Bundesregierung. Aber dann bleibt man doch und kämpft für einen anderen Kurs.
taz: Wir haben noch ein zweites Zitat mitgebracht, aus einem taz-Porträt von 2004. Da heißt es: „Als sich die Bundespartei in Rostock für einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan entschied, da hab ich echt gedacht, ich tret aus, ich kann nicht mehr in der Partei bleiben.“
Dröge: Damals habe ich mich gefragt: Ist das noch meine Partei? Aber ich bin geblieben und habe mich für einen anderen Kurs eingesetzt. Ich habe die Agenda 2010 kritisiert und für einen Mindestlohn gekämpft. Und dann haben wir im Bundestag für die Einführung des Mindestlohns gestimmt und aus Hartz IV das Bürgergeld gemacht. Darauf bin ich stolz.
taz: Was verlieren die Grünen mit den Austritten der Grüne-Jugend-Spitze: ein paar Klassenkämpfer*innen oder das ganze Selbstverständnis, nicht nur öko, sondern auch links zu sein?
Dröge: Was den Klassenkampf angeht, müssen Sie die Ausgetretenen fragen, das will ich nicht zuschreiben. Wir Grüne kämpfen für soziale Politik, auch in der Bundesregierung. Nehmen wir die Steuerpolitik. Letztes Jahr haben wir den Vorschlag gemacht, die kalte Progression nur für niedrige und mittlere Einkommen auszugleichen.
taz: Durchgesetzt haben Sie das nicht.
Dröge: Weil die SPD das leider nicht unterstützt hat. Aber wir haben das 9- und das 49-Euro-Ticket durchgesetzt, das macht den Nahverkehr billiger und ist für Menschen mit geringem Einkommen wichtig. Wir haben die höchste Erhöhung des Bürgergelds und des Kindergelds. Und natürlich hätte ich mir gewünscht, dass sich die SPD mit uns für die Kindergrundsicherung einsetzt.
taz: In Ihrem Brief von 2006 steht auch: „Wir als junge Grüne wollen die Grünen wieder an ihre Grundwerte erinnern.“
Dröge: Das ist keine Frage des Alters. Es ist gut, wenn wir alle an unsere Grundwerte denken. Aber man muss auch in der Lage sein, Kompromisse zu finden. Wenn man an seinen Prinzipien festhält, aber nichts herauskommt, ist niemandem geholfen.
40, ist Volkswirtschaftlerin und Co-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, seit 2013 ist die Parteilinke aus Köln Abgeordnete. Von 2002 – 2006 war sie Vorsitzende der Grünen Jugend in NRW.
taz: Bei den Realos sind manche froh über die Austritte bei der Grünen Jugend. Dort heißt es auch nach dem Rücktritt von Ricarda Lang und Omid Nouripour, Robert Habeck brauche im Bundestagswahlkampf maximale Beinfreiheit. Im linken Flügel dagegen befürchten manche einen Durchmarsch Habecks, wenn seine Vertraute Franziska Brantner, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Parteichefin wird. Wie sehen Sie das?
Dröge: Ich bin überzeugt, dass gute Führung nur im Team funktionieren kann. So leite ich mit Britta Haßelmann die Fraktion, und so leiten wir Grüne in Regierung, Parlament und Partei. Außerdem bin ich ein Fan der Doppelspitze.
taz: Aber ganz an der Spitze steht Robert Habeck, der Kanzlerkandidat werden soll.
Dröge: Es ist nun mal nicht vorgesehen, zwei Kanzlerkandidaten aufzustellen. Aber ansonsten ist Führung im Team stärker, weil man nicht nur unterschiedliche Perspektiven gut miteinander verhandeln, sondern gemeinsam den Laden auch besser ziehen kann.
taz: Und was heißt das für die Frage nach der Kombi Habeck/Brantner, also einem möglichen Realodurchmarsch der beiden?
Dröge: Das ist ja keine Kombi Habeck/Brantner, sondern eine Kombi Brantner/Banaszak.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
taz: Manche sehen das anders.
Dröge: Ich sehe das so. Ich würde auch keiner Frau ihre Eigenständigkeit absprechen, das ist unfeministisch und wird Franziska Brantner nicht gerecht. Ich kenne sie als Abgeordnete mit starken Überzeugungen, die sich auch nicht immer in Flügel einsortieren lassen.
taz: Aber wenn Habeck und Brantner sich einig sind, wird es Felix Banaszak vom linken Flügel, der mit Brantner für die Posten der Parteichefs kandidiert, nicht leicht haben.
Dröge: Am Ende funktioniert eine Parteispitze gut, wenn die Vorsitzenden gut zusammenarbeiten. Und nach den Vibes der letzten Tage bin ich hoffnungsvoll, dass die beiden das hinkriegen.
taz: Es gibt die Erzählung, dass Robert Habeck beim Rücktritt von Ricarda Lang und Omid Nouripour die Strippen gezogen hat, um Brantner zu installieren. Sie sind als Fraktionschefin Teil der sogenannten Sechserrunde und waren bei wichtigen Gesprächen dabei. Was ist da dran?
Dröge: Ricarda Lang hat gesagt: „Ich habe meine Entscheidung für mich selber getroffen, und wer mich kennt, weiß, dass ich meine Entscheidungen selber treffe.“ Es ist eine Frage des Respekts, zu akzeptieren, dass das so ist.
taz: Also ist da nichts dran?
Dröge: Hat sie ja sehr klar gesagt.
taz: Wir fragen Sie. Ricarda Lang hat in dem Interview, aus dem diese Äußerung stammt, auch eingeräumt, dass man als Parteivorsitzende in den Medien nicht immer ehrlich ist.
Dröge: Ich nehme sie beim Wort.
taz: Die Verärgerung der Wähler*innen zielt auf die Ampel, bei den Grünen zuvorderst auf Robert Habeck. Sind Ricarda Lang und Omid Nouripour eine Art Bauernopfer?
Dröge: Der Bundesvorstand hat sich nach der Europawahl angeschaut, was gut und was schlecht gelaufen ist. Am Ende sind sie zu der Einschätzung gekommen, dass sie es nicht mehr schaffen, die Kraft zu sein, die wir jetzt für Veränderung brauchen. Und natürlich sind die beiden als Parteivorsitzende für die Wahlkämpfe verantwortlich.
taz: Was ist diese Veränderung, die die Neuen jetzt schaffen müssen?
Dröge: Wir sind überzeugt, dass wir die richtigen politischen Lösungen haben. Aber wir müssen stärker in die Auseinandersetzung gehen. Unsere Mitbewerber geben uns für alles die Schuld, bei CDU und CSU ist das ja eine Dauerschleife. Dafür müssen wir uns nicht entschuldigen! Das gilt gerade beim Klima. Friedrich Merz sagt offen, dass er alles rückabwickeln will, was wir beim Klimaschutz geschafft haben. Die Wahl wird eine Richtungsentscheidung.
taz: Was heißt das für Habecks Überlegungen zu den Grünen als Bündnispartei? Die Grünen sind mittiger als je zuvor und stehen bei 10 bis 12 Prozent. Braucht es statt Bündnispartei mehr klare Kante gegen Merz?
Dröge: Es braucht klare Kante gegen die Union. Aber die Bündnispartei ist weiter ein guter Ansatz, wir haben mehr Bündnispartner als früher. Die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, hat auf dem grünen Zukunftskongress in dieser Woche betont, dass die IG Metall zur Elektromobilität steht und das Verbrenner-Aus nicht infrage stellt. Selbst der Ford-Chef in Köln sagte der Bild, es sei eine absurde Debatte, die Merz da begonnen habe.
taz: Aber mit Ford und der IG Metall können Sie nicht koalieren. Die CDU will nicht mehr mit den Grünen, und das Verhältnis zu Flüchtlings- und Klimaaktivist*innen war auch schon besser.
Dröge: Die CDU muss das intern diskutieren, und Merz muss aufpassen, dass Markus Söder mit ihm nicht dasselbe macht wie damals mit Armin Laschet. Wir Grüne regieren mit allen demokratischen Parteien in den Ländern, und die Umweltverbände und die Klimabewegung sehen sehr wohl, was wir in der Regierung geschafft haben. Es reicht ihnen natürlich nicht. Das ist gut, denn von der Klimabewegung muss der Drive kommen, damit wir im Parlament Dinge durchsetzen können.
taz: Funktioniert diese Arbeitsteilung noch? Die Grünen zielen auf die Mitte, die aber nach rechts gerückt ist. Wo bleiben da die Linken bei den Grünen?
Dröge: Wir haben bei der Europawahl Menschen in alle Richtungen verloren: an die Nichtwähler*innen, an die CDU und an Volt. Deshalb müssen wir von überall Wähler*innen zurückgewinnen. Also Leute, die sich etwas Progressiveres wünschen, und Leute, die ein bisschen konservativer sind. Das geht mit Klarheit. Und man erreicht auch nicht alle mit einer Maßnahme. Das 49-Euro-Ticket ist da super, wo Bus und Bahn auch fahren. Für die anderen brauchen wir andere Angebote.
taz: Robert Habeck zielt klar auf die ehemaligen Merkel-Wähler*innen.
Dröge: Ein Teil der Menschen, die Angela Merkel wegen „Wir schaffen das“ gewählt haben und die ein weltoffenes Deutschland wollen, sind enttäuscht von der Merz-CDU. Sie zu den Grünen einzuladen ist richtig. Andererseits ist die Mitte teils linker, als man gerade den Eindruck hat: Eine Mehrheit will mehr Umverteilung und einen höheren Mindestlohn. Da liegt die gesellschaftliche Mitte, und die möchte ich überzeugen, uns zu wählen.
taz: Die Grünen haben die Macht verloren, sich selbst zu definieren. Das wird beim Thema Migration ganz besonders deutlich – Sie machen massenweise Zugeständnisse und die dominante Erzählung ist: Weil Sie ideologisch verbohrt sind, bremsen Sie jede Verschärfung aus. Wie kommen Sie da raus?
Dröge: Das ist für uns Grüne tatsächlich kein leichtes Thema, es gibt sehr unterschiedliche Perspektiven in der Partei. Deshalb haben wir uns zu sechst jetzt noch mal gefragt, wie kann da ein Kurs draus werden, der für uns alle und für die Gesellschaft funktioniert? Wir machen zweierlei: Wir verteidigen das Recht auf Asyl und sagen aber auch sehr klar: Wer hier Straftaten begeht, wer hier Terror-Anschläge begeht, der verliert sein Recht auf Schutz.
taz: Sie verteidigen das Recht auf Asyl mit gefängnisartigen Lagern an den EU-Außengrenzen?
Dröge: Die GEAS-Entscheidung, also das Gemeinsame europäische Asylsystem, war eine sehr schwierige Entscheidung für uns Grüne. Wenn ich aber auf die aktuelle Debatte schaue, bin ich froh, dass wir uns auf etwas geeinigt haben. Die CDU will mit der Zurückweisung an der Grenze ja offensichtlich zurück zu einer nationalen Asylpolitik. Wir mussten in den letzten Wochen sagen, was alles nicht geht: die Notlage, eine Obergrenze, das Ruanda-Modell. Das sind im Kern Sachen, die das Grundrecht auf Asyl in Frage stellen.
taz: Sie haben viele Zugeständnisse gemacht, aber die Erzählung bleibt: Die Grünen blockieren aus ideologischen Grünen. Wie wollen Sie das ändern?
Dröge: Indem wir darum kämpfen, dass sinnfreie Vorschläge, die nicht umsetzbar sind, nicht als unideologisch bewertet werden: Wenn Friedrich Merz etwa fordert, rechtswidrig die Grenzen in Europa zu schließen und das einfach drei Monate ausprobieren will um zu gucken, was passiert. Wenn das nicht als unideologisch beschrieben würde, wären wir in der Debatte schon ein ganzes Stück weiter. Es geht der Union ja nicht darum, Vorschläge zu machen, die funktionieren. Es geht darum, den Menschen das Gefühl zu geben, dass Regierung zu wenig macht.
taz: Aber das verfängt. Wie kommen Sie da raus?
Dröge: Ich glaube an die Vernunft im öffentlichen Diskurs. In der letzten Generaldebatte im Bundestag habe ich für die Fähigkeit zu differenzieren geworben. Danach haben mir CDU-Wähler geschrieben, dass sie das überzeugt hat und sie sich für Friedrich Merz schämen. Es gibt viele Menschen, die keine Lust auf dieses Schwarz-Weiß haben. Die müssen wir überzeugen.
taz: Anderes Thema, bei dem Sie in der Defensive sind: Klimaschutz. Wie weiter?
Dröge: Auf jeden Fall lassen wir uns nicht mehr sagen, man dürfe zum Beispiel bei schlimmen Hochwassern nicht über die Klimakrise reden. Dabei muss man genau dann über die Klimakrise reden, wenn uns vor Augen geführt wird, was sie bedeutet. Das zweite ist, dafür mehr zu werben, dass Klimaschutz etwas ist, was Spaß machen kann und mit dem man Geld verdienen oder zumindest sparen kann. Also die Vorteile stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Und das dritte haben wir gerade bei unserem großen Zukunftskongress als Konzept vorgeschlagen: Die dreckigsten Konzerne der Welt wollen wir für ihre Emissionen mehr in die Verantwortung nehmen. Das ist aus meiner Sicht deshalb sinnvoll, weil von konservativer Seite versucht wird, das Thema zu individualisieren und den Leuten schlechte Laune zu machen.
taz: Klimaschutz mit mit dem guten Leben zu verbinden, das haben Sie auf dem Zukunftskongress auch gesagt. Aber viele Menschen empfinden Klimaschutz als Zumutung.
Dröge: Ich persönlich denke, die größere Zumutung ist die Klimakrise – wenn das eigene Haus weggeschwemmt wird oder, noch schlimmer, Angehörige in den Fluten ertrinken. Auch wenn Städte irgendwann so heiß sind, dass man da nicht mehr drin leben kann, ist das eine ziemlich heftige Zumutung. Oder auf den Flüssen keine Schiffe mehr fahren können. Die Maßnahmen, die mehr Klimaschutz bringen, sind dagegen ziemlich zumutungsfrei. Erneuerbaren Energien machen am Ende den Strom billiger, und die Leute, die eine Solaranlage auf dem Dach haben, können sogar Geld damit verdienen. Die Wärmepumpe haben wir so weit runtersubventioniert, dass sie genauso teuer ist wie eine Gasheizung.
taz: Aber vielerorts geht das Geschimpfe schon los, wenn das Wort Wärmepumpe auch nur zu hören ist.
Dröge: Was an der Debatte des letzten Jahres über das Gebäudeenergiegesetz liegt. Vorher haben sich ja sogar alle FPDler in ihre Häuser Wärmepumpen eingebaut – und sie dann später schlecht geredet. Ich finde, es ist keine Zumutung, eine klimafreundliche Heizung einzubauen, für die wir den Leuten 70 Prozent der Kosten schenken. Die Klimakrise ist laut Nachwahlbefragungen eine von zwei großen Ängsten. Wenn die Leute Angst haben, aber nicht die Lösung wählen, dann muss man für einen optimistischen Blick werben und zeigen, dass es eine funktionierende Lösung gibt.
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