Fragen und Antworten zum Humboldt Forum: Reißt es ab!
Für KritikerInnen ist so ziemlich alles falsch am Berliner Humboldt Forum. Doch was genau passt ihnen am Schloss eigentlich nicht?
Was ist eigentlich das Problem mit dem Schloss?
„Dieses Haus ist in seiner systemischen Gesamtheit für viele Menschen verletzend – und das wird vom Humboldt Forum, und von allen, die dafür mitverantwortlich sind, konsequent nicht anerkannt. Unsere Kritik richtet sich gegen diese Ignoranz und wir kritisieren dabei alle äußerlichen, strukturellen und inhaltlichen Probleme des Humboldt Forums und die Wunden, die es wieder oder neu aufreißt. Wir sagen: Alles daran ist Gewalt, und deshalb können wir auch nichts davon gebrauchen!“Das Kollektiv der Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum (CCWAH)
„30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges müssen wir uns in Europa fragen, wo wir angesichts der globalen Herausforderungen von Flucht, Migration und Klimakatastrophe stehen. Wir müssen uns heute fragen, warum wir uns für das wiedervereinigte Deutschland ein Schloss errichtet haben – ein Symbol der preußischen Versklavungs- und europäischen Imperialgeschichte. Hätten wir uns nicht vielmehr unserer europäischen Verantwortung stellen und uns für globale Gerechtigkeit einsetzen müssen? Hätten wir das Geld nicht eher für Reparations- und Restitutionsleistungen einsetzen sollen? Ich glaube, heute ist den meisten klar, dass der Bau des Humboldt Forums eine kapitale Fehlentscheidung war.“ Noa K. Ha, postkoloniale Stadtforscherin
Was ist so schlimm an der rekonstruierten Fassade mit der Kuppel? Ist doch ganz hübsch…
„Das Hohenzollern-Schloss kann im Grunde nur als Dokumentationszentrum für den verhängnisvollen brandenburgisch-preußisch-deutschen Kolonialismus und Imperialismus funktionieren. Darin könnte man Herrn Prinz von Preußen dann auch ein Wohnrecht zugestehen.“ Christian Kopp, Sprecher von Berlin Postkolonial
Baustopp Seit der Grundsteinlegung 2013 fordert das Bündnis No Humboldt 21 ein Moratorium, um Sinn und Zweck des Prestigeprojekts in einer öffentlichen Debatte zu hinterfragen. No Humboldt 21 ist ein Zusammenschluss von 80 afrodiasporischen, entwicklungspolitischen, postkolonialen und antirassistischen Vereinen und Organisationen aus ganz Deutschland, darunter Berlin Postkolonial, AfricAvenir und der Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag (BER).
Protestraum Im Sommer 2020 gründete sich die Coalition of Cultural Workers against the Humboldt Forum (CCWAH) als Bündnis von internationalen Kulturschaffenden mit Sitz vor allem in Berlin. Die CCWAH unterhält derzeit am Spreeufer 6, gegenüber vom Schlossneubau, einen Veranstaltungsraum für Proteste.
Netz Seit Dezember 2020 imaginiert der virtuelle Raum Barazani.Berlin den leeren Schlossplatz als Ort des Widerstands gegen das koloniale Schloss-Projekt.
Denkmal Aus Protest gegen die Eröffnung des Humboldt Forums wird sich am heutigen Dienstag um 12 Uhr auf der Rathausbrücke die afrodeutsche Aktivistin Amina Koß von Berlin Postkolonial als lebendes Antikolonialdenkmal inszenieren.
Demo Für Dienstag um 13 Uhr laden die oben genannten Initiativen zur Demonstration in den Lustgarten gegenüber vom Schloss. (sum)
„Positive Resonanz findet die neopreußische Allmachtsfantasie bei der hiesigen Privatwirtschaft, deren Akteur*innen die verstohlene Selbstkrönung am 30. Mai (2020, als die Kuppel enthüllt wurde, Anm.d.Red.) mit großzügigen Spenden möglich machten. Zum Dank für ihre Spende von einer Million Euro durfte Inga Maren Otto den Reichsapfel selbst mit einer Widmung versehen für ihren verstorbenen Mann, den Versandhauskönig Werner Otto. Mit dieser Geste wird die Otto Gruppe samt Tochterfirma ECE Project Management, deren triste Shoppingmalls viele deutsche Innenstädte zieren, ins kaiserliche Gottesgnadentum erhoben. Noch zweifelhafter wird dieser Pakt angesichts der Tatsache, dass jenes Kuppelkreuz der Hohenzollern nachträglich hinzugefügt und nie im Bundestag oder in einem anderen demokratischen Forum beschlossen wurde.“ Das Kollektiv der CCWAH
Was ist mit dem Inhalt? Im Forum findet doch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus statt?
„Zentral für unsere Kritik ist die Frage, warum in Berlin überhaupt ein Museum für ein koloniales Spektakel neu gebaut und eröffnet wird, während überall auf der Welt Monumente rassistischer und kolonialer Geschichte und Gewalt abgerissen werden. Wir kritisieren den gesamten Umgang mit der Debatte der Restitution, oder besser gesagt: das Schweigen und den Unwillen, diese Debatten zu führen. Anstatt die Rückführung von appropriierten Gegenständen einzuleiten nutzen das Humboldt Forum und die darin angesiedelten Museen die Gegenstände weiter profitorientiert aus – für ihr eigenes Marketing, das Stadtmarketing und für Besucherzahlen.
Es existieren auch immer noch keine öffentlich oder online zugänglichen Inventarlisten aller Gegenstände, die sich im Besitz der Museen unter dem Dach des Humboldt Forums befinden. Für die in jeglicher Hinsicht nicht ausreichende Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus würde das nur einen kleinen Zwischenschritt darstellen, der schon lange überfällig ist.“ Das Kollektiv der CCWAH
„Ich finde es unerträglich, dass Millionen ausgegeben werden, um im Schloss der deutschen Kolonialherrscher die uns gestohlenen Kulturschätze zu präsentieren. Statt teure Ausstellungen zu erarbeiten, sollte sich die Stiftung Preußischer Kolonialbesitz endlich für die umgehende Rückgabe der geraubten Gebeine unserer Ahnen engagieren. Die nämlich liegen noch immer zu Tausenden in ihren Depots.“ Mnyaka Sururu Mboro, tansanischer Aktivist und Mitbegründer von No Humboldt 21!
Was hat das Schloss mit dem Völkermord in Namibia vor über 100 Jahren zu tun?
„Wir haben erkämpft, dass Deutschland jetzt offiziell von einem Genozid an unseren Vorfahren spricht. Doch eine rechtliche Anerkennung des Völkermords und Entschädigungszahlungen lehnt die Bundesregierung weiter ab. Stattdessen bietet es der Regierung Namibias ein Taschengeld: über dreißig Jahre jährlich 36 Millionen Euro für Entwicklungszusammenarbeit. Der Berliner Palast des Völkermörders Wilhelm II. kostet mehr als doppelt so viel!“ Israel Kaunatjike, Herero-Aktivist in Berlin und Sprecher des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!“
Und jetzt: Das Humboldt Forum de-finanzieren? Was soll das bringen?
„Das Humboldt Forum zu definanzieren erscheint uns in Anbetracht der notorischen Überfinanzierung desselben (rund 60 Millionen Euro/Jahr Unterhaltskosten, Anm.d.Red.) als eine sinnvolle Forderung. Das „Defunding“ des Humboldt Forum im Video und in unserer Kampagne ermöglicht eine andere Vorstellung, in der die Gelder in kulturelle Initiativen und nichtkommerzielle Räume zurückfließen, die bereits dekolonial arbeiten.
Die appropriierten Gegenstände des Museums werden in das soziale Umfeld zurückgeführt, aus denen sie stammen und für die sie spirituelle Eigenschaften haben. Das Luf-Boot beispielsweise könnte auf dem umgedrehten Geldstrom wieder hinausschwimmen – und von dort aus zurück. In diesem Sinne: Tear it down and turn it upside down!“ Das Kollektiv der CCWAH
„Eine Kampagne wie “Defund the so-called Humboldt Forum“ ist wesentlich, weil sie uns alle zwingt, innezuhalten, nachzudenken und Fragen zu stellen. Sie schafft Bewusstsein und sagt den Mächtigen die Wahrheit. Es ist unsere Art, aktiv NEIN! zum kulturellen Kolonialimperialismus zu sagen. Sie zwingt uns, Deutschland, den Museen und Kulturinstitutionen wie dem Humboldt Forum ins Gesicht zu schauen und sie an ihre Rolle bei den Plünderungen, der Zerstörung und der Kolonisierung anderer Kulturen in ihrem Streben nach Dominanz zu erinnern. Eine solche Kampagne ist notwendig, um einen Beginn von Heilung für die generationenübergreifenden Traumata zu bewirken, die Kolonialismus und Imperialismus bis heute verursacht haben.“ hn. lyonga, Schwarzer Aktivist von Barazani.berlin & CCWAH
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