Forscher fordern Boykott Israels: Gaza-Krieg polarisiert Unis
Eine schwedische Universität verbietet „politische Manifestationen“. Und 953 Forscher aus 5 Ländern fordern einen Boykott israelischer Hochschulen.
Zum „Schutz der Sicherheit für Studenten und Angestellte“ und mit der Begründung so „die Universität als Platz für Ideenaustausch sichern“ zu wollen, wurden alle „politischen Manifestationen“ auf dem Campusgelände verboten. Gemeint sei damit, „dass sich Menschen versammeln und politische Ansichten so äußern, dass der Passant die Botschaft nicht übersehen oder überhören kann, und dazu gehört auch die Plakatierung“.
Was war geschehen, dass man meint, die Meinungsfreiheit von 10.000 StudentInnen und 3.000 Hochschulangestellten so beschränken zu müssen?
Vor zwei Wochen hatten sich 25 StudentInnen aus Solidarität mit den BewohnerInnen Gazas zu einer Schweigeminute vor dem Gebäude der Studierendenvertretung versammelt, ein Tischchen mit Kerzen aufgestellt und Unterschriften für die Forderung gesammelt, dass Chalmers die Zusammenarbeit mit Universitäten stoppen solle, die mit der israelischen Militärindustrie zusammenarbeiten.
Viel Kritik am Rektor der TU Göteborg
Alles sei ruhig und friedlich abgelaufen, bestätigte die Chalmers-Pressesprecherin Karin Wik gegenüber der lokalen Göteborgs-Posten: Es habe keine Klagen gegeben, niemand habe sich gestört gefühlt. Allerdings sei für Sanktionen wie die, für die Unterschriften gesammelt wurden, nicht Chalmers, sondern die schwedische Regierung der richtige Adressat.
Warum also dieser in Schweden bislang beispiellose Schritt, den Kommentare von der linken Flamman bis zum liberalen Dagens Nyheter nun als Angriff auf die akademische Freiheit und die demokratischen Grund- und Freiheitsrechte von StudentInnen und Universitätsangestellten kritisieren?
In Diktaturen und autoritären Staaten seien solche Methoden ja an der Tagesordnung, meint Dagens Arena. Während ETC Orwells 1984 bemüht, von einem „prinzipiellen Dammbruch“ spricht und appelliert: Wer nun nicht Widerstand leiste „riskiert sein Engagement aufzuschieben, bis es zu spät ist“. Und für Dagens Nyheter beweist dieser Schritt von Chalmers-Rektor Martin Nilsson Jacobi vor allem, dass der „seinen Auftrag nicht verstanden hat“.
Vergleich mit totalitären Staaten
Wenn Chalmers sich von China, Nordkorea und Saudi-Arabien inspirieren lasse, sei dies zwar schon schlimm genug, meint Expressen. Wenn Schwedens Bildungsminister Mats Persson aber auch noch Beifall klatsche, wenn man „eine der ältesten und für die Demokratie zentralsten Formen des Gedankenaustausches verbiete“, müsse man schon fragen, ob die Politik das Ziel verfolge Schweden zu einem Land „voller Ängstlicher, Unwissender und politisch Desinteressierter“ zu machen.
Persson hatte sich vor einem Jahr ausdrücklich gegen jegliche Zensurversuche ausgesprochen: „Eine Universität ist nicht irgendein Ort. Kritik, Infragestellen und offene Diskussionen sollten hier an der Tagesordnung sein. So hat es in einer liberalen Demokratie auszusehen.“ Aber damals war es auch um Cancel Culture gegangen.
Nun begrüßte er das Chalmers-Verbot ausdrücklich. Universitäten sollten sich nämlich „auf ihren Kernauftrag konzentrieren“. Außerdem habe es jüdische StudentInnen gegeben, die sich „unbehaglich“ gefühlt hätten. Und Schwedens Jüdischer Zentralrat habe sich beunruhigt darüber gezeigt, dass Manifestationen für Gaza als Unterstützung für den Hamas-Terror aufgefasst werden könnten.
Die Vermutung, die Schweigeminute habe einen antisemitischen Hintergrund gehabt oder der Hamas-Unterstützung gelten können, weist Sara Nihad, eine der MitveranstalterInnen der Manifestation, als „völlig ignorant“ zurück: „Alle, die uns kennen, wissen, dass es überhaupt nicht um das jüdische Volk geht. Hier geht es um das besetzte Volk Palästinas.“
Hochschuldozenten für Boykott israelischer Unis
Die Forderung nach einem Boykott der Zusammenarbeit skandinavischer Forschungseinrichtungen mit akademischen Institutionen Israels „bis Israel seinen Krieg gegen Gaza beendet und seiner illegalen Besetzung und Apartheidsherrschaft in Palästina ein Ende setzt“, ist auch Teil einer Solidaritätserklärung für Gaza, den 939 ProfessorInnen und wissenschaftliche MitarbeiterInnen an Universitäten und Hochschulen Dänemarks, Schwedens, Norwegens, Finnlands und Islands am Mittwoch veröffentlicht haben.
Wobei die UnterzeichnerInnen ihren Aufruf als Antwort auf einen offenen Brief der palästinesischen Birzeit-Universität verstehen, in dem internationale akademische Institutionen aufgefordert wurden, gegen „den völkermörderischen Krieg gegen das palästinensische Volk und den israelischen Siedlerkolonialismus“ zu agieren.
„Wir trauern zutiefst um alle palästinensischen und israelischen Zivilisten, die seit dem 7. Oktober getötet wurden, und wir sind entsetzt über die Gewalteskalationen der letzten Wochen, die fatale Folgen für das Leben so vieler Zivilisten hatten“, heißt es in dem nordischen Aufruf.
Forderung nach Ende des kolonialen Denkens
Wobei man nun nicht mehr einfach schweigend zusehen könne, „wie der israelische Staat vor unseren Augen Tausende palästinensischer Zivilisten tötet“. Es wird ein sofortiger Waffenstillstand, das Öffnen der Grenzen Gazas für humanitäre Hilfe und der Stopp aller wirtschaftlicher Investitionen in israelischen Siedlungen auf besetztem Territorium gefordert.
„Wir verstehen den Kampf für die Befreiung der Palästinenser als einen inhärenten Teil eines größeren Projekts, bei dem es darum geht, Unterdrückung und koloniale Gewalt in jeglichem Kontext zu stoppen“ heißt es abschließend: „Von unserer Position in den nordischen Ländern aus bedeutet dies auch, mit unserem kolonialen Erbe in Bezug auf Sápmi ( Samenland) und Kalaallit Nunaat (Grönland) Schluss zu machen. Wir betrachten diese Kämpfe als zusammengehörend.“
Hinweis: In einer ersten Fassung stand in der Überschrift, dass es um die Unterstützung der Hamas gehe. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben die Überschrift entsprechend geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen