Ermittlungen gegen Dachdecker beendet: Staatsanwaltschaft sieht keine Volksverhetzung
Wegen einer rassistischen Stellenanzeige in Sebnitz ermittelte die Staatsanwaltschaft. Anklagen will sie aber nicht. Das erstaunt Expert:innen.
Allerdings ist W. offenbar wählerisch. Mit rassistischen und antisemitischen Begriffen schloss er Menschen von seinem Angebot aus. Im Folgenden nennt die taz diese diskriminierenden Begriffe. Wer das nicht lesen möchte, kann den nächsten Satz überspringen. In der Anzeige von Ronny W. stand: „Ausbildungsplatz ab 2026 aber: keine Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger“.
Volksverhetzung? Nein, sagt die Dresdner Staatsanwaltschaft – und hat die Ermittlungen vergangene Woche eingestellt. Das Angebot sei „geschmacklos und moralisch anstößig“, aber strafrechtlich nicht zu beanstanden. „Die Äußerungen sind als von der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen.“ W. rufe nicht zu „Gewalt- oder Willkürmaßnahmen“ gegen Personengruppen auf und die drei Begriffe seien teils gar nicht bestimmten Personengruppen zuzuordnen.
Auf Nachfrage der taz, welche Begriffe nicht eindeutig Personengruppen zuzuordnen seien, antwortet die Staatsanwaltschaft: „Zeppelträger“ und „Hakennasen“.
Schon vor der NS-Zeit verbreitet
Expert:innen, etwa von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias), zeigen sich verwundert von dieser Begründung. „Wir halten die Einstellung für rechtlich fehlerhaft“, erklärt Rias Sachsen an diesem Freitag auf Anfrage der taz. Der Rias-Bundesverband prüfe juristische Schritte gegen die Einstellungsverfügung.
Es sei irritierend, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft den Begriff „Hakennase“ keiner Gruppe zuordnen könne. „Belege für die ‚jüdische Hakennase‘ als antisemitisches Stereotyp“ ließen sich bereits im Mittelalter finden, erklärt die Informationsstelle. In der deutschen Nazi-Diktatur sei die Zuschreibung zudem in Propaganda- oder Schulmaterial verbreitet gewesen.
Dass ein Dachdecker diese Bezeichnung im Jahr 2025 in einer Stellenanzeige verwende, zeige, „wie sich dieses antisemitische Stereotyp bis heute fortsetzt“. Er richte sich „ganz offensichtlich in einer die Menschenwürde verletzenden Weise an Jüdinnen:Juden“, findet Rias. Die NS-Wortwahl stelle Jüdinnen:Juden als „unterwertig dar und spricht ihnen letztlich das Lebensrecht in der Gemeinschaft ab“.
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei aber kein Einzelfall. „Antisemitismus wird immer noch viel zu oft von der Justiz nicht ernst genommen“, bemängelt Rias. Das erschüttere das Vertrauen der jüdischen Community.
Auf eine weitere Perspektive des Falls weist Ferda Ataman hin. Die unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung betont, dass jede Diskriminierung am Arbeitsmarkt verboten sei – egal ob strafrechtlich relevant oder nicht. Ob eine Stellenanzeige diskriminiere, „kann nur ein Gericht in einem zivilrechtlichen Prozess entscheiden“.
„Zivilrechtlich“ heißt jedoch: Nur Menschen, die sich bei Ronny W. auf eine Lehre zur Dachdecker:in hätten bewerben wollen, aber von seinem Ausschluss betroffen wären, könnten klagen. Ataman glaubt: „Den Mut, mit persönlicher Anschrift gegen mutmaßliche Rechtsradikale zu klagen, werden viele aber nicht aufbringen.“ Das zeige, weshalb „es ein Verbandsklagerecht und ein Klagerecht für Antidiskriminierungsstellen braucht.“
Handwerkskammer prüft auch nicht mehr
Als die Werbeanzeige im April öffentlich wurde, sorgte das bundesweit für Aufsehen. Bei der Dresdner Staatsanwaltschaft ging „eine Vielzahl“ an Strafanzeigen ein. Die Stadtverwaltung Sebnitz bezeichnete die Werbung als ausländerfeindlich. Der lokale Fußballverein, bei dem der Dachdecker Ronny W. über Jahre Sponsor war, löschte dessen Logo von der Website.
Auch der Präsident des Sächsischen Handwerktages, Uwe Nostiz, betonte dazu in einem Statement: „Wir als sächsisches Handwerk stehen für Toleranz, Weltoffenheit und Miteinander.“ Es schien, als habe die rassistische Stellenanzeige Folgen für Ronny W.
Laut der Sächsischen Zeitung prüfte die Handwerkskammer in der Folge, ob der Dachdecker – der einen von der Handwerkskammer zertifizierten Ausbildungsbetrieb führt – persönlich geeignet für Lehrlinge sei. Dann, kurz nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Dresden, hieß es diese Woche: Es bestünden „keine hinreichenden Gründe mehr, die Ausbildungsberechtigung aufgrund mangelnder persönlicher Eignung zu entziehen“.
Es wäre das erste Mal gewesen, dass die Handwerkskammer in Sachsen einem Betrieb die persönliche Eignung aberkannt hätte. Der Freistaat braucht halt Fachkräfte und jeden, der sie schaffen kann. Daran ändert offenbar auch der Antisemitismus und Rassismus eines Dachdeckers nichts.
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