Empörung über die Berlinale: Der Ruf nach Konsequenzen
Nach den vorwiegend propalästinensischen Statements auf der Bühne schlägt die offizielle Kulturpolitik Alarm. Ist das noch gerechtfertigt?
D eutschland ist empört. Der Bundeskanzler sagt, „dass eine derart einseitige Positionierung so nicht stehen gelassen werden kann“. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) kündigt an, die „Vorfälle“ aufarbeiten zu wollen, damit so etwas nie wieder passiert. Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein findet, die ausländischen Filmschaffenden hätten „ihr Gastrecht missbraucht“. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) kündigt Konsequenzen für die Kulturförderung an. Der Justizminister droht mit strafrechtlichen Konsequenzen.
Was ist passiert? Auf der Abschlussgala der Berliner Filmfestspiele äußerten sich Jury-Mitglieder sowie Preisträgerinnen und Preisträger zu Israels Krieg in Gaza. Einige forderten mit Ansteckern einen Waffenstillstand. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach von einem „Genozid“, er und andere trugen Palästinensertücher. Der israelische Filmemacher Yuval Abraham, dessen Film über die Siedlungspolitik seines Landes in der Westbank ausgezeichnet wurde, sprach von „Apartheid“. Sein palästinensischer Co-Regisseur Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Das Publikum applaudierte. Die Berlinale-Leitung distanzierte sich anschließend von den Statements.
In den überschäumenden Reaktionen ist jetzt viel von „Israel-Hass“ und „Antisemitismus“ die Rede. Dabei handelt es sich in all diesen Fällen um eine politische Kritik. Man kann diese Kritik einseitig und falsch finden, für plakativ, völlig überzogen, naiv oder unfair halten. Es bleibt aber eine politische Kritik an Staaten, in diesem Fall an Israel und Deutschland. Das ist etwas anderes als ein Ressentiment gegen eine Minderheit, und es ist von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt, auch wenn es einer vermeintlichen „Staatsraison“ widerspricht.
Muss man das aushalten? Ja, auch wenn es einem nicht gefällt. Alles andere läuft auf Gesinnungsprüfungen, Benimmregeln, Verbote und Zensur hinaus. Das wollen manche offenbar, denn das meinen sie mit „Konsequenzen“. Das sollten sie dann auch so offen sagen, statt sich hinter Antisemitismusvorwürfen zu verstecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist