Ein Jahr Fridays for Future: Erst Hype, jetzt Demopause
Nach einem Jahr Fridays for Future ist die Luft raus. Einige Ortsgruppen hören auf, wöchentlich zu demonstrieren.
Aber eines ist anders: Thunberg und Neubauer, die seit einem Jahr weltweit und in Deutschland die Aufmerksamkeit auf sich und ihr Thema ziehen, lenken von sich ab – auf das Thema und ihre MitstreiterInnen. „Bitte berichten Sie über diese wichtigen Geschichten!“, fordert Neubauer die JournalistInnen im Saal mehrmals auf. Thunberg redet nur ein paar Sätze, Neubauer moderiert. Ausführlich zu Wort kommen Betroffene von den Marshall-Inseln, aus Moskau und den USA, die die Auswirkungen von Klimawandel und Unterdrückung schildern.
Der Greta-Hype ist Teil des unglaublichen Erfolgs – und auch Teil des Problems, das ihre Bewegung Fridays for Future (FFF) mittlerweile hat: Zwar herrscht auf der COP ein „Sicherheitsniveau wie bei Staatsgästen“ um die FFF-Ikone, wie ein UN-Beamter sagt. Zwar haben die 16-jährige Schwedin – und hierzulande auch ihr deutsches Pendant Neubauer – den Status von Popstars erreicht. Faktisch haben sie bislang jedoch wenig bewegt. Thunberg hat mit dem Papst und vor der UNO gesprochen. Am Donnerstag ätzte US-Präsident Donald Trump, es sei „lächerlich“, dass das Magazin Time sie zur Persönlichkeit des Jahres gekürt habe. Die Klimakrise hat durch die FFF-Proteste also ungeahnte Aufmerksamkeit erlangt – aber keine effektivere Klimapolitik.
Keine wöchentlichen Streiks mehr
Die Bewegung hat nicht nur kaum messbare Auswirkungen, auch die freitäglichen Schülerstreiks haben sich offenbar auserzählt. Die Demos, die einige LehrerInnen und PolitikerInnen lange zu verhindern suchten, sind nicht mehr so gut besucht. Beim globalen Klimastreik Ende November sind in Deutschland nicht mal mehr halb so viele Protestierende wie bei der Vorgängerveranstaltung am 20. September auf die Straßen gegangen. FFF sprach von 630.000 Protestierenden, zwei Monate zuvor hatten sie noch 1,4 Millionen gezählt.
Deshalb haben nun zwei der größten Regionalgruppen weltweit eine gewichtige Entscheidung getroffen: Pünktlich zum einjährigen Jubiläum der Schulstreiks in Deutschland hört FFF auf, wöchentlich zu streiken. Die Fridays-Gruppen in Berlin und Köln wollen an diesem Freitag zum 52. und letzten Mal im wöchentlichen Turnus vor die Rathäuser ziehen. Andere Ortsgruppen dürften dem Beispiel folgen.
Teile von FFF verabschieden sich damit von dem Vorgehen, das sie so bekannt gemacht hat. „Wir haben in einem Jahr viel erreicht“, sagt Immanuel Nikelski von FFF-Berlin. Die SchülerInnen haben das Thema Klimawandel in die Mitte der Gesellschaft getragen – viele vor ihnen haben das nicht geschafft. „Aber eines haben wir eben nicht erreicht“, räumt er ein: „Dass sich die Politik wirklich bewegt. Deshalb wollen die SchülerInnen jetzt in einen „strategischen Prozess“ gehen. Und überlegen: Wie kann man PolitikerInnen dazu bringen, sich zu bewegen?
Die Bewegung stößt an ihre Grenzen
Es ist eine Vernunftentscheidung und zugleich das Eingeständnis, dass die Bewegung an ihre Grenzen stößt, wenn sie sich nicht verändert. Nicht nur die Öffentlichkeit hat das Interesse an den wöchentlichen Demos verloren, auch die Bewegung schwächelt: In Berlin waren zuletzt nur noch etwa 300 bis 800 SchülerInnen an den Freitagsstreiks beteiligt – je nach Stundenplan. In Hamburg sind es konstant etwa 300, in Köln eher um die 100. Die Streiks binden Kräfte und schlucken Ressourcen, und sie halten die SchülerInnen von der nun wichtigsten Frage ab: Wie soll es weitergehen?
Das weiß auch Pauline Brünger von FFF Köln nicht. „Wenn wir den Plan jetzt schon hätten, würden wir ihn direkt umsetzen“, sagt sie. Die FFF-Maxime „Wir streiken, bis ihr handelt“ sei nicht aufgegangen, das sehe man am wirkungslosen Klimapaket und dem verzögerten Kohleausstieg in Deutschland, aber auch am Missmut der PolitikerInnen auf der COP.
Andere Gruppen protestieren weiterhin freitags
Nicht alle deutschen Ortsgruppen halten das Ende der wöchentlichen FFF-Streiks für eine gute Idee. „Es ist wichtig, weiter zu zeigen, dass wir da sind und dass wir nicht einverstanden sind, dass politisch nichts passiert“, sagt Annika Rittmann von der Hamburger Regionalgruppe. Diese will weiter wöchentlich demonstrieren.
In vielen kleineren Städten hat FFF ohnehin längst mit dem Wochenprotest aufgehört. Schließlich macht es kaum Eindruck, wenn 15 oder 20 SchülerInnen freitags vor dem Rathaus stehen.
Andere Gruppen diskutieren, wie lange der Takt noch aufrechtzuerhalten ist. Eins versichert aber Immanuel Nikelski aus Berlin: Mit Unterrichtsausfall habe das Ende der wöchentlichen Schulstreiks „eher wenig“ zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau