Dresscode beim SWR: Erlaubt ist, was nicht stört
Der SWR will eine geschlechtsspezifische Kleidungsordnung einführen. Daran gibt es Kritik, denn Teile der Gesellschaft bleiben unterrepräsentiert.
Wenn Janboris Rätz die Nachrichten moderierte, erregte bisher etwas Kleines viel Aufmerksamkeit. Rätz, eine nichtbinäre Person, die von vielen Menschen als männlich gelesen wird, trug Nagellack in Bordeaux, Tannengrün oder Orange. Doch im November tauschte Rätz den Nagellack gegen Ohrstecker, quasi als Ersatz. Denn „SWR aktuell“ hatte den Entwurf eines „Styleguides“ an seine Moderator:innen kommuniziert.
„Sichtbar lackierte Nägel“ seien darin nicht länger vorgesehen, kritisierte Janboris Rätz in einem Statement auf Instagram. Nur unscheinbare Nägel in „dezenten Farben“ – als Beispiele werden im Dokument, das der taz vorliegt, transparent, nude oder French Nails genannt – sollen diesem Entwurf nach künftig möglich sein. Ein mögliches Verbot von auffallendem Nagellack würde eigentlich für alle Geschlechter gelten, träfe Rätz aber besonders.
Für die Moderator:in sind bunte Nägel nämlich nicht nur modisches Statement, sondern ein selbstbestimmter Weg, um den Zuschauer:innen zu signalisieren: „Hey, ich bin kein Nachrichtenmoderator. Ich bin eine Nachrichtenmoderator:in.“ „Codes“ nennen sich solche visuellen Marker, die die eigene, queere Identität nach Außen vermitteln, indem sie die Abweichung vom üblichen Geschlechterbild im Detail sichtbar machen – zum Beispiel durch Nagellack.
Das könnte aber bald nicht mehr möglich sein. „Mein Eindruck ist, dass ich als Problem wahrgenommen werde, als was, das so nicht geht“, sagt die Moderator:in gegenüber der taz. Der Südwestrundfunk (SWR) betont, dass es sich um einen Entwurf handle, bindende Regeln werde es erst im kommenden Jahr geben. Aufgrund von Rätz’ Kritik äußerte der Sender die Bereitschaft, die Nagellack-Richtlinie zu evaluieren.
Unisex-Kategorie?
Festgelegt wird im Styleguide eine geschlechtsspezifische Kleiderordnung, die verbildlicht, was Nachrichtenseher:innen kennen: Männer im Anzug, Frauen im Kleid oder Hosenanzug. Was aber ist mit Personen, die nicht in dieses Schema passen? Der SWR hat für sie eine „Unisex-Kategorie“ vorgesehen, die aber noch nicht fertig ausgearbeitet ist.
Weil Rätz im Moment die einzige nichtbinäre Moderationsperson bei „SWR aktuell“ ist, wird Rätz aktuell in die Einarbeitung der „Unisex“-Kategorie miteinbezogen und probiert mit einer Styleberatung Looks aus. Welche Outfits für nichtbinäre Moderator:innen künftig erlaubt sind, hängt dann davon ab, worauf sich Rätz mit dem SWR einigen kann. Im Entwurf ist aktuell von „Unisex-Anzügen oder -Kombinationen“ die Rede, die mit Hemden, Blusen, Shirts oder Pullis getragen werden dürfen. Was letztendlich getragen werden darf, ist noch unklar.
Wie Moderator:innen gestylt sind, mag zweitrangig wirken, wenn es um die Frage geht, wer vor die Kamera treten darf. Dennoch enthält die Begründung des SWRs für die Kleiderordnung genau das Argument, das nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen Ausschlüsse bewirken kann, kritisiert Janboris Rätz auf Instagram. „Die Regeln helfen uns dabei, dass die Menschen, die das Publikum durch unsere Sendungen führen, nicht mit ihrem Styling von den eigentlichen Informationen ablenken. Nur so können wir allen eine freie Meinungsbildung ermöglichen“, heißt es vom SWR.
Rätz erhebt auf Instagram den Vorwurf, diese Begründung sei „im Kern Diskriminierung“. Denn schließlich würde alles, was wir nicht gewohnt sind, ablenken – zum Beispiel jemanden im Rollstuhl oder mit Kopftuch moderieren zu sehen. Dass viele Gruppen im Fernsehen unterrepräsentiert seien, kritisiert auch Polo Türk, Vorstandsmitglied der Neuen Deutschen Medienmacher*innen: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk büßt an Glaubwürdigkeit bei den Gruppen ein, die unsichtbar gemacht werden.“
Offiziell wünscht sich der Sender Diversität. In einem Reel rief Intendant Kai Gniffke 2021 queere Menschen auf, sich für ein Volontariat zu bewerben. Das mit der Diversität „ist aktuell noch nicht unsere Stärke“, sagte er damals. Ob der neue Styleguide einen positiven Beitrag leisten wird, bleibt fraglich. Rätz jedenfalls trägt nicht nur keinen bunten Nagellack mehr. Auf Instagram sagte die Moderator:in, es gehe jetzt darum herauszufinden, ob Rätz sich bei „SWR aktuell“ noch wohl und verstanden fühlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP