piwik no script img

Die Union nach der BundestagswahlKann Merz mehr als Linken-Bashing?

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Die Strategie der Union, der AfD Stimmen abzujagen, ist gescheitert. Trotzdem dominieren bei ihr die Verfechter eines harten Migrationskurses.

Drischt verbal gerne auf Linke ein: Friedrich Merz (CDU) Foto: Angelika Warmuth/reuters

K aum ein Tag vergeht, an dem Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Kanzler in spe, nicht sagt, dies sei die letzte Chance für die demokratische Mitte, das Ruder herumzureißen. CSU-Chef Markus Söder spricht gar von der „letzten Pa­tro­ne“. Soll wohl heißen: Wenn die Union jetzt nicht durchgreifen kann und der künftige Koalitionspartner, also die SPD, das mitmacht, droht bei der nächsten Bundestagswahl die Machtübernahme der AfD.

Das ist gefährlicher Unfug. Fast 80 Prozent der Wäh­le­r*in­nen haben die AfD nicht gewählt. Eine absolute Mehrheit ist auch in den ostdeutschen Ländern bei Weitem nicht in Sicht. Merz’ und Söders Alarmismus ist gefährlich, weil er die AfD größer macht, als sie ist. Er lähmt zudem den Rest der Gesellschaft. Und geht damit der Strategie der Rechtsextremen auf den Leim.

Entscheidend wird sein, dass die CDU stabil demokratisch bleibt. Und dazu wäre, auch mit Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl, eine selbstkritische Überprüfung der eigenen Strategie durchaus hilfreich. Angesichts des desolaten Zustands der drei Ampelparteien ist das Wahl­er­geb­nis der Union schlecht. Der Plan der Union, mit möglichst hartem rechten Kurs und po­pulistischer Rhetorik rechts der Mitte die Wahlen zu gewinnen und die AfD zu schwächen, ist nicht aufgegangen.

Die Anzahl der Wähler*innen, die die Union von der AfD zurückgewonnen hat, ist so klein, dass sie zu den Wählerwanderungen bei den Meinungsforschern von infratest dimap gar nicht erst aufgeführt wird. Verloren aber hat die Union an die ex­trem rechte Partei über eine Mil­lio­n Wäh­le­r*in­nen.

Große Teile der Union wollen nicht verstehen, dass sie zur Bekämpfung der AfD die Zivilgesellschaft als Partner brauchen

Das bestätigt erneut, was man seit Langem aus Erfahrungen im In- und Ausland und zahlreichen ­so­zial­wissenschaftlichen Studien weiß: Es zahlt sich für konservative und Mitte-rechts-Parteien nicht aus, sich Parteien wie der AfD anzugleichen. Es stärkt diese vielmehr. Die Union aber hat sich ausgerechnet in der Migrationspolitik, dem Kernthema der AfD, dieser angenähert. Und der Tabubruch, gemeinsam mit der AfD im Bundestag abzustimmen, hat den Rechtsextremen genützt, nicht der Union. Merz hat die AfD damit, allen Bekundungen zum Trotz, weiter normalisiert und zum politischen Mitspieler geadelt.

In der CDU tobt hinter den Ku­lissen ein Deutungskampf: Die eher Liberalen sind der Ansicht, dass der harte Migrationskurs und die Abstimmung mit der AfD im Bundestag Fehler waren. Die Gegenseite glaubt, dass man all das früher und noch konsequenter hätte betreiben müssen. Denn die Wäh­ler*in­nen würden der CDU nach den Merkel-Jahren den harten ­Migrationskurs noch nicht abnehmen.

Wo geht es lang? Merz und sein Generalsekretär, so ist zu befürchten, tendieren zur zweiten Position. Seit Merz’ Durchmarsch in der Partei ist der liberale Flügel geschwächt. Wichtige Personen sind mit der Wahl aus der Bundespolitik ausgeschieden, andere sind eingeschüchtert – oder wollen unter Merz noch etwas werden. Sie verhalten sich still. Die Scharfmacher haben weiterhin Oberwasser.

Kompromissfähigkeit gefragt

Erschreckend auch, dass große Teile der Union nicht verstehen wollen, dass sie zur Bekämpfung der AfD die Zivilgesellschaft als Partner brauchen, auch wenn diese vor der CDU-Parteizentrale protestiert. Die De­mons­tran­t*in­nen aber, die aus Sorge um die Demokratie auf die Straße gehen, verunglimpfte Merz als „Spinner“, die nicht „alle Tassen im Schrank“ hätten.

Merz’ Frage, wo die De­mons­tran­t*in­nen beim Tod Walter Lübckes gewesen wären, war Demagogie, schlicht unverschämt. Peinlich für Merz, dass ihm Irmgard Braun-Lübcke, Witwe des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten, öffentlich widersprach. Auch die Kleine Anfrage mit ihren 551 Fragen, die Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, wohl einschüchtern soll und an Methoden der AfD und anderer autoritärer Parteien erinnert, lässt nicht Gutes erwarten.

Sie hat auch die Skepsis, die in der SPD gegen Merz ohnehin herrscht, noch einmal verschärft. Zum Regieren aber braucht Merz die Sozialdemokrat*innen. Er muss jetzt zeigen, dass er mehr kann, als Linke zu verunglimpfen und politische Absichtserklärungen von sich zu geben. Er muss die SPD ins Boot holen, die CSU bei der Stange halten und seine mitunter haltlosen Wahlversprechen so umstricken, dass sie in einer schwarz-roten Regierung rea­li­täts­taug­lich sind. Er muss zeigen, dass er kompromissfähig ist.

Ob Merz das kann? Besser wäre es. Vergeigt er es, ist die Republik noch nicht an dem Abgrund, den er selbst gern heraufbeschwört. Aber einen weiteren Schritt in diese Richtung wäre sie schon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Merz ist nicht kompromissfähig, zumindest nicht dann, wenn es um sein Ego und seine Rechthaberei geht. So eine Figur hatten wir in der letzten Regierung auch schon und der hat die Zusammenarbeit zerstört und dann verraten - aus Eigennutz und unglaublicher Selbstüberschätzung. Merz tickt sehr ähnlich.

  • taz: *Kann Merz mehr als Linken-Bashing?*

    Natürlich kann Merz mehr als Linken-Bashing, denn er kann auch über Bürgergeldempfänger und Flüchtlinge schimpfen und kräftig herziehen. Der ehemalige BlackRock-Lobbyist Merz (wir werden ja bald sehen wie "ehemalig" Friedrich Merz für den weltgrößten Vermögensverwalter ist) lenkt mit solchem Bashing natürlich gezielt davon ab, dass die Merz-CDU demnächst die Reichen noch reicher machen möchte und die Merz-CDU sich schon gar nicht um Umwelt- und Klimaschutz kümmern wird. Und Klimaschützer möchte man demnächst wohl noch mehr "kriminalisieren", damit man sie anschließend wegsperren kann. Die klimaschädliche Wirtschaft soll schließlich ungestört ihre sinnlosen Waren an den Mann/Frau bringen kann ('Hurra, es lebe der ausufernde Kapitalismus der Merz-CDU'), damit der Wirtschaftswachstumswahnsinn ins Unendliche schießt. *Wir erleben gerade den Beginn des Generalangriffs auf den Natur- und Klimaschutz*, schreibt die DUH auf ihrer Seite über den Angriff der CDU mit ihren '551 Fragen der Kleinen Anfrage'. Wir werden sicherlich noch "viel Spaß" mit Friedrich Merz in den nächsten Jahren haben, aber wenigstens ist Christian Lindner nicht mit an Bord.

  • Wie verblendet muss man denn sein um die Realität nicht anzuerkennen? SPD und Grüne haben zusammen fast 12,5% verloren, die CDU hat 4,2% dazu gewonnen. Merz wurde gewählt. Punkt. Immer spricht man von Verantwortung, macht aber jetzt schon wieder die selben Fehler wie vor der Wahl. Klar kann man auch ne Minderheitsregierung RRG machen, weil man Merz oder die CDU doof findet, aber hat mal irgendjemand daran gedacht was der Preis dafür ist? Ich kann nur hoffen das man sich bei der CDU und SPD jetzt itte bitte zusammenreißt, einen vernünftigen und tragbaren Konsens findet und vernünftigen Politik macht. Ich kann dieses "Ihr seid doof" und "Nein, ihr seid doof" von beiden Seiten einfach nicht mehr hören.

  • Merz wird erst dann Kanzler, wenn er dazu von einer Mehrheit der Parlamentarier gewählt wird. Sollten alle Abgeordneten von SPD und cdU mitziehen, hätte er eine knappe Mehrheit von 12 Stimmen.



    Sollte er allerdings weiter so auftreten wie zuletzt..und damit allzuviele Abgeordnete vergrätzen..tja dann blieben noch die Stimmen der afd. Merz wäre dann eben ein *Kanzler von Höckes Gnaden*..







    Aber vlt ist diese Horrorvision ja sogar ganz inspirierend..und die CDU besinnt sich darauf, daß sie einen der beliebtesten Politiker in ihren Reihen hat: Hendrik Wüst.

    Meine Prognose:

    -mit Merz als Kanzler liegt die afd in 4 Jahren bei 25%.



    - mit Wüst als Kanzler dagegen unter 15%.

    Die CDU sollte endlich begreifen, daß sie mit Merz auf das Ende ihres Status als Volkspartei zusteuert..und sich lieber an ihre alten Tugenden erinnern.







    Und nicht zuletzt: ein *Team Wüst - Pistorius* wäre eine echte Chance für das Wiedererstarken der Demokratie mit neuen Gesichtern.







    ..schaun wer mal..

    • @Wunderwelt:

      Sorry, aber was schreiben Sie denn da? Unabhängig von von Sympathie oder politischen Überzeugungen, die Leute haben März und nicht Wüst gewählt. Und bei der SPD scheinen auch einige daran Gefallen zu finden, März zum Kanzler ihrer Gnaden machen zu wollen. Und aktuell ist eher die SPD dabei den Status als Volkspartei zu verlieren. Die CDU hat über 4% gewonnen, die SPD über 10% verloren.

    • @Wunderwelt:

      Ich teile diese Hoffnung. Die Union macht derzeit alles falsch, was man nur falsch machen kann im Kampf gegen die Rechtsextremen. Das kann doch bei der Kanzlerwahl nicht ohne Konsequenzen bleiben.

    • @Wunderwelt:

      Mit Merz als Kanzler liegt die AfD 2029 eher bei 30%-40%.



      Denn Merz glaubt, er müsse nur die Migration und Migranten bekämpfen und für ein Wirtschaftswachstum von 2% sorgen, dann würde alles gut. Er begreift nicht, dass viele Menschen, die heute die AfD wählen, früher etablierte Parteien gewählt haben. Und aus Verzweiflung darüber, dass die etablierten Parteien Probleme wie fehlende Wohnungen, zu hohe Mieten, zu teure Energie und Lebensmittel, zu niedrige Löhne und Renten, verfallende Infrastruktur nicht annäherungsweise gelöst haben, dann zur AfD gegangen sind. Klar gibt es auch Menschen, die wirklich rechtsradikal sind und Menschen, die in erster Linie wegen der Migranten die AfD wählen. Und klar stellt die AfD das Thema Migranten in den Vordergrund, weil es immer schön einfach und griffig ist, Sündenböcke für etwas verantwortlich zu machen. Aber selbst wenn morgen keine Migranten mehr kommen werden und alle abgeschoben werden, würden immer noch viele Menschen die AfD wählen, weil viele andere Probleme damit immer noch ungelöst wären

    • @Wunderwelt:

      Joa mit Wüst als Kanzler würden sie wohl ganz sicher den Status Volkspartei verlieren.



      Der CDU Weg kann ja eben nicht sein jetzt weiter SPD Politik zu machen mit vlt lediglich anderen Nuancen als Scholz. Wüst wäre da ja schlicht ein Weiter So.

      Es wird so wie die letzten Jahre nicht mehr weiter gehen. Man kann natürlich jetzt versuchen Merz abzusäbeln (auch als Wahlgewinner), aber man wird die Politik trotzdem sehr deutlich restriktiver in Migrationsfragen und sehr viel freundlicher gegenüber der Wirtschaft aufstellen müssen, wie auch massiv aufrüsten.

      Egal wer da nun Führung übernimmt, es wird Politik gemacht werden, die den meisten Linken deutlichst missfallen wird. (Leider)

  • "Die Strategie der Union, der AfD Stimmen abzujagen, ist gescheitert. Trotzdem dominieren bei ihr die Verfechter eines harten Migrationskurses."

    Logisch, die Parteien die einen weichen Migrationskurs fordern haben ja auch stark verloren. (auch wenn die Linke im Aufwind ist, so hat sie dennoch weniger als die AfD oder CDU im Vergleich zu 2021 gewonnen).



    Zum anderen impliziert die Aussage, dass Migration nur wegen der AfD Thema sei.

    "Fast 80 Prozent der Wäh­le­r*in­nen haben die AfD nicht gewählt." Ab wann wirds denn relevant? Ab 51%?



    20% sind so unglaublich viele, dass wenn es noch mehr werden, Wahlen irgendwann überflüssig werden, weil es alle Parteien für eine Koalition benötigt. Aber ist dann noch Demokratie gegeben, wenn dann egal wie gewählt wird, alle Parteien benötigt werden? Dann wird die Wahl schlicht egal.

  • Wenn jetzt die Union den falschen Wahlkampf gemacht hat warum sind dann die SPD und Grünen für ihre immer weiter so Politik dann so massiv vom Wähler abgestraft worden ?

  • Merz ist eine absolute Fehlbesetzung, der auf Unverschämtheiten und auch Lügen seine Position aufgebaut hat, mit dem bayrischen Dämon Söder im Rücken, oder besser Nacken. Wenn dann nach der Wahl zum Kanzler endlich alle Grenzübergänge überwacht sind, alle Abschiebekandidaten in "Lagern" hocken und warten. Wenn sie alles gemacht haben, was AFD-Wünsche waren und sind, dann wird der nächste verwirrte oder von Russland gekaufte Migrant eine Untat ausführen und dann?! Waren dann die Behörden und die Polizei so voraussehend um das Schlimmste zu verhindern? Hat dann der Verfassungschutz, das BKA oder sonstige zuständige Behörden die messenger-Kanäle nach potentiellen Tätern durchforstet gehabt? Hatten sie IS-Rekrutierer vom Netz genommen? Hatten sie überall ihre Finger am Puls des Geschehens wie weiland zur RAF-Zeit? Wahrscheinlich nicht. Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Die AFD wird triumphieren und der Verbotsantrag ist immer noch nicht gestellt. Gute Nacht Deutschland.

  • Aus dem Artikel entnehme ich hauptsächlich, dass der Kampf gegen die AfD wichtig ist; bei einer guten Regierung wäre die AfD allerdings höchstens halb so gross. Ich sehe nicht, warum die Nachfrage nach Verwendung der Steuergelder bei den NGO's ein Problem darstellen soll, es ist eine normale Nachfrage und wenn da alles rechtens zugeht, braucht niemand etwas zu befürchten.

  • Ca. 70% der Bevölkerung wollen eine schärfere Zuwanderungspolitik. Die Zivilgesellschaft ist nicht auf den Strassen, sondern möchte eine Änderung der bisherigen Politik. Folgt die CDU den Kurs von SPD, Grünen und Linken, dann ist das Wählerpotenzial für die AfD nach oben nicht begrenzt.

    • @Puky:

      Nein, 70% wollen längst nicht alle eine schärfere Zuwanderungspolitik. Wo kommt diese Zahl denn her? Von TikTok? Die Mehrheit der Bevölkerung will ein verlässliches Handeln und ja, auch menschliches Handeln. Das gibt's nämlich. CSDUAfD wollen Krawall und Ängste. Das ist ein Unterschied.

  • Okidoki, Merz und die Union sind also die loser, bevor sie überhaupt eine Regierung gebildet haben.

    Die Ampel ist dann was?

  • Ein "harter" Kurs in der Migrationsfrage wird von einer Mehrheit der Bevölkerung gewünscht und vom BT jetzt auch erwartet. Der von der CDU eingebrachte Gesetzentwurf wird in der Sache im Wesentlichen auch von der SPD mitgetragen. Warum sollte die CDU jetzt Abstand davon nehmen?



    Eine höhere Akzeptanz unter den Menschen wird es nur für eine Migrationspolitik geben, die die gesamten Lasten nachvollziehbar gerecht auf alle Staaten der EU verteilt und auf einem wirkungsvollen Sicherheitskonzept (Zusammenwirken von Bundes- und Landesbehörden) basiert.

  • Bitte nicht in CDU-Narrative verfallen. Dieses Mittel nutzt diese Union bei so ziemlich allem. Alles was sie will sei alternativlos, andere Lösungen würden zur Katastrophe führen. Ob Mindestlohn oder Legalisierung von Cannabis. Alles!