Die EU rückt nach rechts: Schock und Erschütterung
Desaströses EU-Ergebnis: Scholz ist innenpolitisch angezählt, Macron ruft Neuwahlen in Frankreich aus, die Italienerin Meloni ist auf dem Vormarsch.
D ie Europäische Union rückt weiter nach rechts, die beiden größten europäischen Länder Frankreich und Deutschland rutschen noch tiefer in die Krise – das sind die wichtigsten Ergebnisse der Europawahl. Es sind keine guten Ergebnisse. Und es besteht kein Grund, sie schönzureden, wie dies die alte und wohl auch neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch am Wahlabend in Brüssel versucht hat.
Die pro-europäische Mitte hält, verkündete die CDU-Politikerin. Dabei ist sie geschrumpft, vor allem Grüne und Liberale haben Federn gelassen. Europa sei stärker geworden, meinte von der Leyen. Dabei ist es durch die Krise in Deutschland und Frankreich massiv geschwächt. In Frankreich wird es nun Neuwahlen geben, die mit einem Debakel für Präsident Emmanuel Macron enden könnten. In Deutschland wird sich die Ampel noch mehr zerstreiten, Kanzler Olaf Scholz ist innenpolitisch angezählt.
Das wird sich auch in Brüssel bemerkbar machen. Schon beim nächsten EU-Gipfel, der über die künftige EU-Kommission entscheiden soll, könnte die Krise in Paris und Berlin durchschlagen. Macron ist unberechenbar geworden, Scholz könnte noch zögerlicher auftreten. Dass das zerstrittene deutsch-französische Duo von der Leyen einfach durchwinkt und den Weg für eine zweite Amtszeit frei macht, ist keineswegs ausgemacht. Nicht auszuschließen, dass der Schock der Europawahl auch beim EU-Gipfel für Erschütterungen sorgt.
Auch im Europaparlament wird es nun ernst. Die Mehrheitsverhältnisse sind komplizierter geworden, die Gewichte haben sich nach rechts verschoben. Von der Leyen könnte versuchen, sich auf Absprachen mit den rechten Schmuddelkindern einzulassen. Sozialdemokraten und Grüne haben sie vor solchen Deals gewarnt und mit einem „Nein“ bei der entscheidenden Abstimmung im Parlament gedroht. Doch gelten diese Wahlkampfversprechen noch? Würden es SPD und Grüne wirklich wagen, die amtierende Kommissionschefin zu stürzen?
Und was können die neu gewählten Abgeordneten tun, um den wachsenden Einfluss von Politikerin wie der postfaschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni einzudämmen? Meloni ist gestärkt aus der Europawahl hervorgegangen; sie könnte nun zur „Königsmacherin“ werden.
All das sind keine guten Aussichten. Schuld daran sind allerdings nicht nur die Rechten. Schuld ist auch eine Politik, die die historischen Versprechen der EU – Frieden, Stabilität, Wohlstand für alle – aus dem Auge verloren hat. Das treibt den Gegnern Europas Wähler zu. Vielleicht ziehen ja nun ein paar neue Abgeordnete ins Europaparlament ein, die von der Leyen und ihre Mitstreiter an diese guten alten Versprechen erinnern. Dann hätte diese Wahl wenigstens ein Gutes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz