Der ökonomische Generationenkonflikt: In verschiedenen Welten
Das allgegenwärtige Krisennarrativ belastet Jüngere mehr als Ältere. Kein Wunder, sitzen viele von denen doch oft in abbezahlten Eigenheimen.
Neulich in Darmstadt unterwegs mit dem Fahrrad: An der roten Ampel einer Kreuzung fiel mein Blick auf ein großes Werbeplakat. Darauf war ein älterer Herr mit weißem Kinn- und Oberlippenbart abgebildet. Daneben der Slogan: „Man ist nie zu alt, um über seine Zukunft zu entscheiden.“ Ich, der Millennial, der 1988 geboren ist, fand diesen Satz im ersten Moment richtig, weil er so etwas Versöhnliches, Generationenübergreifendes hatte. Am liebsten hätte ich ein Foto gemacht und es in sozialen Medien mit ein paar Daumen-hoch-Emojis geteilt.
Als ich nähertrat, sah ich neben einem roten Smiley die Aufschrift: „Sozialwahl 2023. Für Rente & Gesundheit.“ Wird die Zukunft auf das Thema Rente und Gesundheit reduziert? Geht es den Alten nur um ihre Zukunft? Wer fühlt sich von dieser Plakatwerbung angesprochen?
Ich bog ab ins Industriegebiet. Links und rechts Autohäuser, Werkstätten, Baumärkte, neben einem FKK-Club ein Werbeplakat für die AfD. Das Ganze wirkte wie raumgewordenes Testosteron. In der Luft lag ein Geruch von Waschstraße, Motorenöl und Grillhähnchen. So roch es schon in meiner Kindheit. Ich kam mir vor wie in einem Freilichtmuseum, das antiquierte Gegenstände ausstellt. Imprägniert, wer sein Auto wachst, sich gegen den Zeitgeist?
Ich musste wieder an das Plakat von vorhin denken. „Man ist nie zu alt, um über seine Zukunft zu entscheiden.“ Der Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich murmelte ihn mehrmals vor mich hin. War das Sparkassen-Deutsch? Oder ein Aphorismus mit einer tieferen Bedeutung? Der ältere Herr sprach wohlgemerkt von „seiner“ und nicht von „unserer“ Zukunft; ein Wörtchen, das so viel über unsere Gesellschaft aussagt.
Das Schlimmste kommt noch
Die Zukunft, vor der heute meine Alterskohorte, die Millennials (geboren zwischen 1980 und 1996; d. Red. ), aber vor allem die Angehörigen der Generation Z, die nach 1996 geboren wurden, stehen, ist ja eine ganz andere als die der Boomer, die sich gerade peu à peu in den Ruhestand verabschieden.
Während viele Senioren in ihren abbezahlten Eigenheimen sitzen und es sich in der Komfortzone ihrer SUVs bequem gemacht haben, blicken die Jüngeren in eine sorgenvolle Zukunft: Klimakatastrophe, Wasserkriege, Pandemien. Niemand kann sagen, ob man in 50 Jahren noch Rente bekommt oder überhaupt auf dem Planeten leben kann.
Der Soziologe Heinz Bude hat in der Süddeutschen Zeitung von einer „Inversion der Angstrichtung“ geschrieben: „Lag für die Generationen der Weltkriegsteilnehmer und der Kriegskinder das Schlimmste, was einem passieren kann, hinter ihnen, so kommt für die Generationen von 9/11, von Fukushima und der Pandemie das Schlimmste noch auf sie zu.“
Das perpetuierte Krisennarrativ verändert etwas in der Wahrnehmung und Perspektive junger Menschen: Die Zukunft ist kein Möglichkeitsraum mehr, sondern ein Gefahrenraum. Es geht nicht mehr darum, die Welt zu verbessern, sondern darum, das Schlimmste zu vermeiden.
Aus dem Ideenlabor der Politik ist ein Reparaturbetrieb geworden. Erst kürzlich zeigte eine Studie („Jugend in Deutschland“), dass der Dauerkrisenmodus 14- bis 29-Jährige viel mehr stresst als ältere Menschen. Es ist das Gefühl, dass sich da ein Berg von Herausforderungen auftürmt, denen man nicht mehr gewachsen ist.
Man spürt diese Verunsicherung überall. Vor ein paar Monaten sprach ich mit einer Kulturmanagerin am Telefon. Sie erzählte mir, ihre 12-jährige Tochter habe so große Zukunftsängste, dass sie sagte: „Mama, ich möchte nicht erwachsen werden.“
Lebensverneinende Sätze
Ich fand das einen schlimmen, lebensverneinenden, aber auf eigentümliche Weise auch erwachsenen Satz, weil aus ihm nicht die Infantilität einer Spaßgesellschaft spricht, sondern ein sehr ernsthaftes Krisenbewusstsein. Eines, das den Vätern meiner Generation abgeht, wenn sie bei der Wohnungssuche die Frage stellen: „Ist da auch ein Stellplatz dabei?“
Als wäre das ein Kriterium! Man kann sich glücklich schätzen, überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wer nichts erbt, für den ist der Traum eines Eigenheims ohnehin geplatzt, selbst bei gutem Einkommen kann man sich das nicht leisten.
Ich bin ein Kind der 1990er Jahre. Damals machte man sich keine großen Sorgen um die Zukunft, es war alles unbeschwerter, vielleicht auch, weil es feste Fahrpläne gab. Am Weltspartag brachte man sein Erspartes zur Bank, im Radio liefen Werbespots wie „Auf diese Steine können Sie bauen“ (Schwäbisch Hall) und „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause“ (LBS).
Für viele meiner Generationsgenossen klingen diese Jingles heute wie Hohn – genauso wie das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft, das einem in den Spätjahren der Bonner Republik in regelmäßigen Boostern eingeimpft wurde: „Schaffe, schaffe, Häusle bauen.“
Von wegen! In der „Abstiegsgesellschaft“ (Oliver Nachtwey), wo der Fahrstuhl außer Betrieb ist und man die Rolltreppe gegen die Fahrtrichtung hochlaufen muss, ist sozialer Aufstieg kaum noch möglich.
Großes Fressen ist vorbei
Das große Fressen ist vorbei, der Kuchen wird von Jahr zu Jahr kleiner. Die Steine, auf denen die Boomer bauten und mit denen sie ihren sozialen Status zementierten, wurden mit billigen fossilen Rohstoffen finanziert – einer ökologischen Hypothek zulasten jüngerer Generationen. Die müssen nun den Überkonsum der Älteren bezahlen – nicht nur mit einem steigenden CO₂-Preis, auch mit Einschränkungen ihrer Freiheit.
Damit konfrontiert, gehen die Boomer oft in eine Abwehrhaltung, als würde man ihre Lebensleistung infrage stellen. Man habe früher selbst nicht viel gehabt, bekommt man dann zu hören, das Badewasser wurde geteilt, Fleisch gab es nur sonntags, und den Schlafsack fürs Zeltlager nähte die Mutter in Heimarbeit.
Aus dieser entbehrungsreichen Zeit leiten die Boomer bis heute ihren Anspruch auf Konsum ab, als wäre es ein wohlerworbenes Recht, zum Golfen nach Ägypten zu jetten. Man hat ja schließlich jahrzehntelang hart dafür gearbeitet – im Gegensatz zur „faulen“ Jugend, die jetzt die Viertagewoche fordert!
Haben die Alten nicht kapiert, dass uns Jungen die Zeit davonrennt? Dass die Klimauhr erbarmungslos tickt? Dass wir kaum noch Zeit haben, unseren Alltag zu bewältigen?
Wenn man die saturierten Rentner sieht, die Cafés und Restaurants bevölkern und seelenruhig in ihrem Milchkaffee rühren, könnte man meinen, dass man in zwei verschiedenen Zeitzonen lebt. Hier die gehetzten Jungen, dort die entspannten Alten, die ihren Ruhestand auskosten – nach dem Motto: Wir haben Rente bestellt, jetzt müssen die Jungen liefern!
Neulich ist mir das wieder beim Bäcker aufgefallen: Da kommandierte ein älterer Herr mit apfelroten Wangen eine Auszubildende mit diesem Lehrjahre-sind-keine-Herrenjahre-Ton durch den Laden, der sagen wollte: „Fräulein, lern erst mal Brötchen schmieren!“ Ich war im ersten Moment sehr wütend: Soll der alte Mann doch froh sein, dass überhaupt noch jemand im Laden steht und seine Rente finanziert!
Im zweiten Moment dachte ich: Diese verdammten Herrenjahre! Sie sind der Grund, warum wir heute alles neu lernen müssen.
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