Denkmalstürze und Symbolik: Identitätspolitik als Rückschritt
Allerorten fallen die Denkmäler vermeintlich großer Männer. Ist das Befreiung oder Totenbeschwörung? Und ist Identitätspolitik nicht schon over?
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R ekapitulieren wir noch einmal die bekannte Szene, die mittlerweile Vorreiterfunktion hat. Als im englischen Bristol kürzlich antirassistische Demonstranten der Statue des Edward Colston eine Schlinge um den Hals legten, diese stürzten, etliche auf sie sprangen wie auf einen besiegten Feind, andere dann ihr Knie in den Nacken der Statue legten wie der Polizist seines in den Nacken von George Floyd. Als die Demonstranten dann die Statue durch die Stadt rollten und diese unter dem Jubel der Menge ins Wasser warfen. Da folgten sie dem Skript einer politischen Urszene: dem revolutionären Ikonoklasmus. Dem Denkmalsturm.
Es war Karl Marx, der meinte, dass Epochen des Umbruchs eine Art von „Totenbeschwörung“ seien: mit alten, entlehnten „Namen, Schlachtparolen, Kostümen“ werde eine neue Szene aufgeführt. Aber es war auch Marx, der meinte, dass solche Re-Inszenierungen nicht immer an ihre Vorbilder heranreichen.
Denkmäler stürzen hatte die Funktion, den Fall einer Herrschaft sinnfällig zu machen. Eine symbolische Befreiung vom Tyrannen. In Bristol hingegen ging es um etwas anderes. Ebenso wie bei den anderen nun grassierenden Denkmalstürzen. Da geht es nicht um das Aufschlagen eines neuen Kapitels, sondern um das Umschreiben eines alten. Und das ist durchaus ambivalent.
„Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein“ – so Walter Benjamin. Das traf im Fall von Bristol wohl zu. Edward Colston war kein Unschuldiger. Der Geschäftsmann verdiente im 17. Jahrhundert das Geld für seine breite Wohltätigkeit mit brutalem Sklavenhandel. Der Sturz der Statue hat das Barbarische, auf dem die Zivilisation der Stadt beruht, für alle Welt deutlich gemacht.
Geschichte umschreiben
Zugleich aber ging es den Denkmalstürmern um mehr. Sie wollten seinen „Namen ausradieren“. Ihm den Platz in der Stadt verwehren. Der schwarze Bürgermeister sah in der Statue „eine persönliche Beleidigung“. Der Sturz des Denkmals diente also nicht einer Befreiung. Er sollte vielmehr die Geschichte umschreiben. Säubern. Da ist sie wieder. Die Sprache der Identitätspolitik und Political Correctness. Unter all den entlehnten Verkleidungen. In all den geborgten Gesten.
Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd ist aber in den USA etwas Neues aufgebrochen: eine neue politische Demarkationslinie. Die Auseinandersetzung hat das Feld der alten Identitätspolitik verlassen.
Nun geht es nicht mehr darum, Minderheitenrechte einzufordern. Es geht um gleiche Rechte. Um eine rechtliche, soziale, ökonomische Gleichstellung. Basis dafür ist nicht der Minderheitenstatus wie ehemals bei Black Power. Die neue Schlachtparole „Black Lives Matter“ bedeutet: Die Anerkennung des Lebens der Schwarzen. Und die Forderung, diese Anerkennung in den gesellschaftlichen Institutionen – von Polizei über Gerichten bis zu Spitälern – zu verwirklichen. Also aufzeigen, dass es eben daran mangelt.
Eine neue Perspektive
Das ist keine Identitätspolitik, die Minderheiten stärken und damit auch in eine Nische stellen will. Es ist vielmehr eine neue Perspektive auf die Gesamtgesellschaft – aus einem spezifischen Blickwinkel. Aus jenem, wo offensichtlich wird: Die Gesellschaft genügt ihren eigenen Ansprüchen nicht.
Sie verfehlt ihre eigenen Prinzipien: Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichbehandlung der Bürger. Es ist ein Aufstand jener, denen ihr Bürgerstatus aufgrund ihrer speziellen Identität verweigert wird. Und die diesen nun aufgrund ihres Menschseins einfordern. Genau das macht auch ein breites Bündnis möglich. Genau das ermöglicht auch, dass sich Menschen aller Hautfarben an dieser Auseinandersetzung beteiligen.
Nun mittels Denkmalstürzen wieder Identitätspolitik zu betreiben, ist ein Rückschritt. Noch dazu ein paradoxer: Denn Identitätspolitik ist, ebenso wie Political Correctness, aufgetaucht, als man sich von der Vorstellung der einen erlösenden Revolution und von der Vorstellung einer zentralen Macht verabschiedet hat. Political Correctness nun als revolutionäre Szene zu inszenieren, ist da nicht die geringste Paradoxie.
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