Demonstration für Liebig34: „Die letzte Schlacht gewinnen wir“
Nach der Räumung der Liebig34 in Berlin wird für das Hausprojekt demonstriert – inklusive Sachbeschädigungen und Zusammenstößen mit der Polizei.
Schon als sich Hunderte Unterstützer:innen aus der linken Szene am regnerischen Freitagabend im Monbijou-Park in Mitte sammeln, ist die Wut und Frustration über die Räumung des anarcha-queer-feministischen Hausprojekts Liebig34 förmlich greifbar. „Nehmt ihr uns die Liebig ab, machen wir euch die City platt“, skandierten die Demonstrierenden. Ein Slogan, der an diesem Abend noch öfter zu hören sein wird und dem einige der Teilnehmer:innen auch Taten folgen lassen: Entlang der Route kommt es zu zahlreichen Sachbeschädigungen an Geschäften und Autos.
Der Ton ist rau an diesem Abend: „Wir haben die Schnauze gestrichen voll“, drückt es eine Rednerin unmissverständlich aus. Mit der Räumung setze die Stadt Profitinteressen eines Spekulanten durch, kritisiert sie, auch wenn dabei Menschen inmitten einer Pandemie auf die Straße gesetzt würden. Noch vor Demonstrationsbeginn kommt es zu einzelnen Flaschenwürfen auf die Polizei, die wie schon am Morgen mit einem Großaufgebot von 1.900 Beamt:innen vor Ort ist. Zwei mutmaßlich rechte Youtuber:innen werden von Demoteilnehmer:innen energisch aus der Versammlung gedrängt und müssen anschließend von der Polizei hinaus eskortiert werden.
Bereits am frühen Freitagvormittag hatte die Polizei das Haus in der Liebigstraße geräumt. Begleitet wurde die Räumung von Aktionen und Protesten von etwa 1.000 Personen. Mehr als 2.500 Polizeibeamt:innen waren dabei im Einsatz. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen; einige Menschen wurden festgenommen. Dem Aufruf zur Demo am Abend der „Tag X“ genannten Räumung folgten zeitweise bis zu 2.000 Menschen.
Presseführung durchs geräumte Haus
Für Unmut sorgte auch ein Pressetermin der Berliner Polizei am Nachmittag, bei der Pressevertreter:innen eine Führung durch das geräumte Haus angeboten wurde. Videos der Privaträume der ehemaligen Bewohner:innen wurden in den sozialen Medien von rechten Nutzer:innen hämisch kommentiert.
Das Hausprojekt in der Liebigstraße in Friedrichshain galt als einer der zentralen Bezugspunkte der linken Szene. Rund 40 Menschen wohnten in dem Haus. Über seine Symbolwirkung hinaus war es damit ein Rückzugsort für Frauen, trans*, queere und intersexuelle Menschen.
Das Haus wurde 1990 besetzt und kurz darauf legalisiert. Nach einem Eigentümerwechsel 2008 an den Immobilien Spekulanten Gijora Padovicz, erhielten die Bewohner:innen nur einen Gewerbemietvertrag, der 2018 ablief. Padovicz besitzt über 200 Häuser in Berlin und ist berüchtigt für seine rabiaten Entmietungspraktiken.
Mit über einer halben Stunde Verspätung setzt sich der Demonstrationszug schließlich in Bewegung. Teilnehmer:innen skandieren „Alles zusammen gegen Spekulanten“ und „Die Häuser denen, die sie brauchen“. Dabei treffen sie nicht nur auf Zustimmung: Ein offenbar mit anarchistischer Theorie nicht sehr vertrauter Anwohner ruft aus seinem Fenster: „Nie wieder Stalin!“
Es knallt zum ersten Mal
Der Zug kommt in der engen Oranienburgerstraße nur stockend voran. Ein dem Kleidungsstil eher der Party- als der autonomen Szene zuzuordnender junger Mann wirft eine Flasche in Richtung der Beamt:innen. Dem Geräusch zufolge scheint ein Helm getroffen, der Aufzug wird vorerst gestoppt. Nachdem die Versammlungsleitung auf die Teilnehmer:innen einwirkt, keine Gegenstände mehr zu werfen, geht es weiter. Als die Demo die Neue Schönhauser Straße erreicht, knallt es zum ersten Mal. Vereinzelt fliegen Steine, Böller und Feuerwerk werden gezündet, Flaschen klirren. Immer wieder verschwinden Kleingruppen in den Nebenstraßen, teilweise um weitgehend ungehindert von der Polizei zu randalieren.
Am Ende der Nacht dürfte der Sachschaden hoch sein. Die Schaufenster der umliegenden Nobelboutiquen werden zerschlagen. Besonders in der Alten Schönhauser Straße bleibt kaum ein Ladenfenster heil. Bei vielen Luxuswagen werden die Scheiben kaputtgemacht, teilweise wird versucht, die Autos in Brand zu setzen.
Hart gehen die Polizist:innen gegen Demonstrant:innen vor. Nach einem Steinwurf laufen die Beamt:innen in die ersten Reihen, versuchen, einzelne Menschen herauszuziehen und ihnen die als Sichtschutz dienenden Transparente zu entreißen. Journalist:innen und Fotograf:innen werden gestoßen und geschubst, es kommt auch zu Übergriffen auf Demo-Sanitäter:innen. Ähnliche Szenen wiederholen sich viele Male an diesem Abend. Immer wieder stürmt die Polizei in die Demo, um einzelne Teilnehmer:innen zu verhaften.
„What a fight“, rufen die Touristen
Entlang der Straßen stehen neugierige Tourist:innen, Restaurant- und Bargäste. Sie nehmen das Spektakel mit einer Mischung aus Verwunderung und Faszination war. Viele filmen mit ihren Smartphones, ein Mann grölt: „Endlich wieder Berlin“, als der schwarze Zug an ihm vorbei zieht. Eine andere Passant:in fragt: „Wofür sind die Leute hier? Was machen die?“ Die Antwort kommt aus dem Demozug: „Liebigstraße, Rigaer bleibt, one struggle, one fight.“
Die Route führt durch den Bezirk Mitte in den Prenzlauer Berg. Als die Demonstrant:innen die Hausprojekte Linie206 und das Tuntenhaus in der Kastanienallee 86 passieren, werden sie von den Bewohner:innen mit Pyrotechnik und Jubel begrüßt. Sie sind die wenigen noch verbleibenden alternativen Orte in den ansonsten durchgentrifizierten Kiezen. Ein Schicksal, das auch der Rigaer Straße zu drohen scheint.
Aus einem Lautsprecher vor dem Tuntenhaus erklingt der Ton Steine Scherben-Klassiker „Die letzte Schlacht gewinnen wir“. Zu einer letzten Schlacht kommt es an diesem Abend aber zum Glück nicht. Den letzten Teil der Route läuft die Demo zügig und weitgehend ohne Zwischenfälle, bis sie an der Eberswalder Straße gegen 0 Uhr 30 wenige Meter vor dem geplanten Endpunkt von der Versammlungsleitung aufgelöst wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung