Debatte über staatliches „Grunderbe“: Blühende Erbschaften
Die Ostbeauftragte schlägt ein „Grunderbe“ vor, um die Vermögensungleichheit zwischen Ost und West zu mindern. Ohne Vermögenssteuer wird das nichts.

O st und West verstehen sich nicht. Immer noch nicht? Wohl eher: Wieder nicht. Hatten Menschen in Ost wie West bis vor einigen Jahren das Gefühl, dass tatsächlich zusammenwächst, was zusammengehört, um mal eine Wiedervereinigungsfloskel zu bemühen, bricht es jetzt auseinander. Im Westen sagen laut einer Forsa-Umfrage 61 Prozent der Menschen, dass sie eher „Trennendes“ sehen, im Osten sind es sogar 75 Prozent. Was ist passiert, dass Ossis und Wessis sich wieder stärker beargwöhnen, anstatt in der Kneipe miteinander Soljanka und Rheinischen Sauerbraten zu tauschen?
Um das zu verstehen, ist ein Blick in die Statistik hilfreich. Und der offenbart, dass die Lücke nicht zwischen Ost und West klafft, sondern zwischen Gefühl und Realität. So belegen die zahlreichen Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass es den Menschen insgesamt, von individuellen Unterschieden mal abgesehen, besser geht als vor 35 Jahren – und das in Ost und West. Einkommen, Vermögen, Wohneigentum haben sich angeglichen, der Osten hat aufgeholt.
Wenngleich sich hier tatsächlich nach wie vor Gräben auftun. So liegt der Durchschnittsbruttoverdienst laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung im Westen aktuell bei 4.800 Euro, im Osten bei rund 4.000 Euro. Im Westen wohnen 45 Prozent der Menschen in Eigenheimen, im Osten sind es 31 Prozent. Und so geht das weiter: Ostdeutsche sind seltener in Führungspositionen und politischen Entscheidungsgremien zu finden, die Zonen zwischen Binz und Annaberg-Buchholz werden wegen der hohen AfD-Wahlergebnisse gern als Dunkeldeutschland verunglimpft.
Das ist alles richtig – und trotzdem kein Grund, alles, was bisher erfolgreich war, infrage zu stellen. Schauen wir allein in die ostdeutschen Kommunen: sanierte Plattenbauten, befestigte Gehwege, ausgebaute Infrastruktur. Es blüht zwar nicht jede Landschaft, aber es gibt auch keine Brachflächen mehr wie vor 35 Jahren.

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Unterschiede zwischen Stadt und Land
Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die größten wirtschaftlichen Unterschiede nicht im Ost-West-Vergleich zu finden sind, sondern zwischen Stadt und Land. Um es kurz und salopp zu sagen: Menschen in den Städten geht es in der Regel wirtschaftlich besser als jenen auf dem Land.
Der Grund: Landflucht, vor allem der jungen Leute. Ländliche Strukturen sind für junge Menschen und Familien nur dort interessant, wo sie im Speckgürtel größerer Städte liegen. Nur dort gibt es ausreichend (attraktive) Arbeitsplätze, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten und im besten Fall auch eine gute Bus- oder Bahnverbindung. Wo das nicht gewährleistet ist, ziehen die Menschen weg, was zwangsläufig zum Verfall ländlicher Regionen und verständlicherweise zu einer größeren Unzufriedenheit führt – unabhängig von der deutschen Einheit.
Um die materiellen Ost-West-Unterschiede zu untermauern, werden mittlerweile gern Erbschaften herangezogen. Grundsätzlich wird viel vererbt, jede und jeder dritte Erbe darf sich über rund 100.000 Euro freuen.
An dieser Stelle allerdings ist das Ost-West-Gefälle besonders krass: In Baden-Württemberg, Hessen und dem Saarland sind Erbschaften mit über 50.000 Euro normal, während sich Erben im Osten mit weit unter 50.000 Euro abfinden müssen. Das würde die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser gern ausgleichen und schlägt ein „Grunderbe“ vor: ein Startkapital, vom Staat finanziert.
Ein klein wenig Gerechtigkeit
Die Idee hat Charme, weil sie nicht vordergründig auf den Ost-West-Ausgleich fokussiert, sondern auf den erheblichen Unterschied zwischen Arm und Reich. Etwa 1,5 Prozent der Erwachsenen in Deutschland kann über ein Nettovermögen von mindestens 1 Million Euro verfügen, während die vermögensarme Hälfte nur wenige Tausend Euro besitzt. Zieht man heran, dass jede und jeder vierte Milliardär dieses Vermögen nicht selbst erarbeitet, sondern geerbt hat, würde ein Grunderbe tatsächlich für ein klein wenig Gerechtigkeit sorgen.
Doch so schön die Idee auch klingt, so unrealistisch ist sie derzeit. Die Bundesregierung debattiert über eine Bürgergeldreform und will von einer Vermögenssteuer nichts hören. Die Botschaft ist klar: Dort, wo das Geld sitzt, soll es auch bleiben, und dort, wo kaum etwas ist, wird es noch weniger. Und das ist kein Ost-West-Problem, sondern ein gesamtdeutsches.
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